»Coll«, sagte er leise, als sie ihn auf die Knie sinken ließen und gegen Damson lehnten. »Gebrauche das Schwert von Shannara. Warte nicht länger. Gebrauche es.«
Coll sah den Dunklen Onkel unsicher an. »Aber ich bin nicht sicher, was es tun wird.«
Walker Bohs Stimme wurde hart wie Stahl. »Gebrauche das Schwert, Coll. Gebrauche es, oder wir werden ihn verlieren!«
Coll wandte sich schnell ab und kniete sich neben Par und Damson. Er hielt das Schwert von Shannara vor sich und hatte beide Hände um sein Heft gelegt. Er mußte diesen Talisman benutzen, aber er würde auch die Konsequenzen seines Gebrauchs tragen müssen.
»Morgan, achte auf die Treppe«, befahl Walker Boh. »Matty Roh, die Gänge.« Er trat zu Par. »Damson, laßt ihn los.«
Damson sah betroffen zu ihm auf. Überraschende Wärme lag in Walkers Blick, eine Mischung aus Beruhigung und Freundlichkeit. »Laßt ihn los, Damson«, sagte er sanft. »Geht zurück.«
Sie ließ Par los, und der Talbewohner sackte vornüber. Coll fing ihn auf, barg ihn einen Moment in seinen Armen, nahm dann die Hände seines Bruders und legte sie neben seine eigenen um das Heft des Schwertes. »Walker«, flüsterte er flehend.
»Gebrauche es«, zischte der Dunkle Onkel.
Morgan schaute unbehaglich herüber. »Das gefällt mir nicht, Walker...«
Aber er kam zu spät. Von der Kraft von Walkers Befehl überzeugt, hatte Coll die Magie bereits heraufbeschworen. Das Schwert von Shannara wurde flackernd lebendig, und der Raum wurde von Licht überflutet. In eine erstickende Wolke betäubender Unentschlossenheit gehüllt und seiner Angst ausgeliefert, spürte Par, wie die Magie des Schwertes wie Feuer aus der Dunkelheit herandrängte und sich in ihn hinabbrannte. Die Magie des Wunschgesangs hob sich ihr als weiße Wand entschlossenen Schweigens entgegen, um sie abzuwehren. Schutztüren fielen darinnen krachend zu, Schlösser schnappten ein, und das Zittern seiner Seele ließ ihn wanken. Er war sich vage bewußt, daß Coll die Magie des Schwertes angerufen hatte, daß die Macht dazu irgendwie die seine war, wenn sie nicht Pars gewesen war, und es fühlte sich an, als stünden die Dinge auf dem Kopf. Er zog sich vor der Annäherung der Magie zurück und war unfähig, die Wahrheit zu ertragen, die sie bringen würde. Er wollte sich nur für immer in sich selbst verbergen.
Aber die Magie des Schwertes von Shannara kam dieses Mal mit dem Gewicht der Stimme seines Bruders heran und drängte sich in ihn hinab. Hör zu, Par. Hör zu. Bitte hör zu. Die Worte bahnten sich ihren Weg an der Abwehr des Wunschgesangs vorbei und ließen ein, was folgte. Er dachte, daß es zuerst nur Colls Worte waren, die seine Verteidigung durchbrachen und das weiße Licht hineinließen. Aber dann sah er, daß es mehr war. Es war sein eigenes erschöpftes Bedürfnis, ein für allemal das Schlimmste zu erfahren, was es zu erfahren gab, von den Zweifeln und dem Entsetzen befreit zu werden, mit denen das Nichtwissen ihn quälte. Er hatte lange genug damit gelebt, um noch länger damit leben zu wollen. Seine Magie hatte ihn von allem abgeschirmt, aber das war vorbei, wenn er es nicht mehr wollte. Er war an die Wand seines Wahnsinns zurückgetrieben worden und konnte nicht weiter zurück.
Er streckte sich mit seiner Stimme eifrig und zwingend nach der Stimme seines Bruders aus. Sage es mir. Sage mir alles.
Der Wunschgesang spuckte und zischte wie eine Katze, die in die Enge getrieben wurde, und das war sie ja auch, denn sie unterstand seinem Befehl, seinem Geburtsrecht und seinem Vermächtnis, und nichts, was sie tun würde, konnte seiner Vernunft und seinen Bedürfnissen widerstehen. Er hatte sie seinem Willen gebeugt, als seine Angst und seine Zweifel ihn ausgehöhlt hatten, aber er war nie vollständig zerbrochen, und jetzt würde er für immer von dieser Unsicherheit befreit werden.
Coll, bat er. Sein Bruder war da und beruhigte ihn. Coll.
Sich aneinander und an dem Schwert festhaltend, verschränkten sie ihre Finger und glitten in das Licht der Magie hinab. Dort tröstete Coll Par und versicherte ihm, daß die Magie ihn heilen und ihm keinen Schaden zufügen würde, daß er seinen Bruder, was auch immer geschähe, nicht im Stich lassen würde. Und schließlich gab Par seinen Widerstand auf, die Schlösser lösten sich, die Türen öffneten sich, und die Dunkelheit war verbrannt. Er schüttelte die letzten Fesseln des Wunschgesangs ab und überließ sich mit einem Seufzen.
Und dann begann die Wahrheit in Erinnerungen hereinzurinnen, die schnell zu einem Strom wurden. Alles, was in Pars Leben war und je gewesen war, die Geheimnisse, die er sogar vor sich selbst verborgen gehalten hatte, die Schmach und die Verlegenheiten, die Fehlschläge und Verluste, die er in sich verschlossen hatte, marschierten vorbei. Sie kamen ins Licht, und obwohl Par zunächst davor zurückschrak, vor dem qualvollen und unendlichen Schmerz, wuchs seine Kraft mit jeder Erinnerung, und die Aufgabe, zu akzeptieren, was sie bedeuteten und wie sie ihn als Mensch maßen, wurde erträglich.
Dann verlagerte sich das Licht, und er sah, wie er bis hierher gelangt war, wie er auf Allanons Drängen auf die Suche nach dem Schwert von Shannara gegangen und bestrebt gewesen war, diese Aufgabe zu erfüllen und die Wahrheit über sich selbst zu entdecken. Aber wie ernst war sein Bestreben wirklich gewesen? Denn was er fand, war die Möglichkeit, daß er genau das Wesen sein konnte, an dem er festgehalten hatte. Was er fand, war FelsenDall, der bereits auf ihn wartete und ihm sagte, daß er nicht der sei, für den er sich hielt, daß er jemand völlig anderer sei, eines der dunklen Wesen, eines der Schattenwesen. Nur ein Wort, hatte Felsen-Dall geflüstert, nur einen Namen. Er sah ein Schattenwesen, das Schattenwesenmagie zur Verfügung hatte, das eine Macht besaß, die sich von der der rotäugigen Geister in nichts unterschied, und das fähig war, zu sein, was sie waren, und zu tun, was sie taten.
Und jetzt sah er in dem kühlen weißen Licht der Wahrheit des Schwertes, daß dies alles stimmte.
Einer von ihnen.
Er war einer von ihnen.
Er schreckte vor der Erkenntnis zurück, vor der Unausweichlichkeit dessen, was ihm gezeigt wurde, und ihm war, als hätte er entsetzt aufgeschrien, obwohl er das innerhalb des Lichts nicht sagen konnte. Ein Schattenwesen! Er war ein Schattenwesen! Er spürte, wie Coll vor ihm zurückwich. Er spürte, wie sein Bruder zurückschreckte. Aber Coll ließ nicht los. Er hielt ihn weiterhin fest. Es ist egal, was du bist, du bist mein Bruder, hörte er. Es ist egal. Du bist mein Bruder. Und damit verhinderte er, daß Par in den Wahnsinn abglitt. Und so wurde er angesichts seines Entsetzens, seiner erschreckenden Erkenntnis seiner selbst am Boden gehalten.
Und es ließ ihn den Rest dessen erkennen, was die Wahrheit enthüllen würde.
Er sah, daß ihn sein Elfenblut und seine Abstammung an die Schattenwesen banden, denn auch sie waren Elfen. Aus derselben Linie, aus derselben Geschichte stammend, waren sie so gebunden wie Menschen, die eine ähnliche Vergangenheit teilen. Aber es lag auch die Wahl darin, etwas anderes zu sein. Er stammte sowohl von Shannara als auch von den Schattenwesen ab, und er brauchte nicht zu sein, was die Magie vielleicht aus ihm machte. Der Gedanke, daß es ihm vorherbestimmt sei, eines der dunklen Wesen zu sein, war eine Lüge, die Felsen-Dall in ihn eingepflanzt hatte, als er ihn in jenem Gewölbe traf, das das Schwert von Shannara barg, als er mit Coll und Damson zum letzten Mal in die Grube hinabgestiegen war. Felsen-Dall hatte zugelassen, daß er das Schwert erprobte, denn er wußte wohl, daß es nicht funktionieren würde, weil seine eigene Magie es nicht zulassen wollte. Sie war ein Hindernis für eine Wahrheit, die sich als zu unerfreulich erweisen könnte, als daß er sie akzeptieren konnte. Felsen-Dall hatte ihm weisgemacht, daß er die Ausgeburt eines Schattenwesens sei, daß er einer von ihnen sei, ein Gefäß für ihre Magien, und hatte ihm die Unsicherheit vermittelt, die erforderlich war, damit die miteinander ringenden Magien des Schwertes und des Wunschgesangs daran gehindert wurden, sich zu vereinigen. So hatte er die lange Spirale des Zweifels in Gang gesetzt, die Par schließlich zu seiner Umwandlung geführt hätte, wenn nur die Möglichkeit, zu werden, was er auch sein könnte, so groß würde, daß sie eine Tatsache war.