Auf der Klippe am Ende des Tales, von wo aus sie dies alles beobachtet hatte, atmete Wren Elessedil jetzt langsam in die Stille hinein. Triss stand mit geöffnetem Mund neben ihr, und Stresas Atem war ein Raspeln an ihrem Stiefel. Sie schluckte gegen die Trockenheit in ihrer Kehle an und schaute dann erstaunt über das Tal von Rhenn hinaus, während ein letztes Wunder geschah.
So weit das Auge reichte, erblühten auf den verdorrten und kahlen Ebenen überall Wildblumen im Sonnenlicht.
36
Was war in dem Licht, Walker?« fragte Coll.
Es war bereits später Vormittag, und sie saßen im Schatten der Bäume auf dem vom Runne nördlich zu den Ruinen der Südwache hinabführenden Hang. Unter ihnen dampfte und rauchte und brannte der Schattenwesenkeep noch immer. Seine Mauern waren zu Schutt zusammengefallen, und der einst glatte schwarze Stein war spröde und stumpf geworden. Walker saß allein an der Seite, in die zerrissenen Überreste seiner dunklen Gewänder gehüllt. Par und Coll saßen ihm gegenüber. Morgan lehnte gegen den breiten Stamm eines roten Ahorns, kaute auf einem Grashalm und betrachtete seine Stiefel. Matty Roh stand gegen ihn gelehnt, so daß ihre Schulter die seine berührte. Damson lag schlafend einige Meter entfernt. Sie waren zerschlagen und ausgelaugt und mit Blut und Staub bedeckt, und Coll hatte außerdem einen gebrochenen Arm und gebrochene Rippen. Aber die Anspannung war aus ihren Körpern und die Vorsicht aus ihren Augen gewichen. Sie liefen nicht mehr davon, und sie hatten auch keine Angst mehr.
»Es war Magie«, sagte Par mit stiller Überzeugung.
Sie waren den Kellern des Schattenwesenkeeps durch den von Walker erwählten Tunnel entflohen, während Steine rund um sie herum zerbröckelt und herabgefallen waren, als sie durch die unterirdische Dunkelheit eilten. Nur das Druidenfeuer hatte sie geleitet. Der Tunnel bog und wand sich dahin, und es hatte den Anschein gehabt, als ob sie niemals rechtzeitig herausgelangen würden. Sie hatten hinter sich gehört, wie der Keep zusammenbrach, und hatten den Druck der stickigen Luft und des Staubs in ihrem Rücken spüren können, als die Mauern im Innern einstürzten. Sie hatten befürchtet, eingeschlossen zu werden, aber Walker war sich des Weges anscheinend sicher gewesen, so daß sie ihm fraglos gefolgt waren. Schließlich hatte sich der Tunnel durch ein Dickicht hindurch nach außen auf einen flachen Hang oberhalb des Keeps geöffnet, und von dort waren sie aufwärts in den Schutz des Waldes gestolpert, um von dort die Feuersbrunst und den Rauch zu beobachten, die den Zusammenbruch des Keeps verkündeten. Damson war wieder bewußtlos, und Walker kümmerte sich um sie. Er gebrauchte die Druidenmagie und heilte sie, wie er auch Par vor Wochen geheilt hatte, als der Talbewohner von den Wehrbestien vergiftet worden war. Ihre Verletzungen ließen sie fiebern, aber Walker konnte das Fieber senken, und er kühlte sie, damit sie schlafen konnte. Während er damit beschäftigt war, wuschen und verbanden sich die anderen, so gut sie konnten.
Während das Sonnenlicht jetzt die Hügel im Westen überflutete, saßen sie beisammen und schauten über die Ebenen hinweg zurück zu der Stelle, an der die Südwache glomm. Wo auch immer sie hinschauten, wuchsen Wildblumen, die mit dem Einsturz des Keeps der Schattenwesen und der Rückkehr des Lichts zur Erde aufgeblüht waren. In einer Fülle von Farben bedeckten die Blüten das ganze Land, so weit das Auge reichte, bedeckten sogar jene Gebiete, die vergiftet und zerstört gewesen waren. Ihr Geruch schwebte auf der Morgenluft leicht heran und schien einen neuen Anfang anzuzeigen.
»Gestohlene Magie«, fügte Walker Boh hinzu.
Was Par von der Magie des Schwertes von Shannara gezeigt worden war, hatte Walker mit seinen Druideninstinkten erspüren können. Walkers dunkle Augen waren asche- und schmutzumrandet, und er sah erschöpft aus, aber trotzdem war Kraft in seinem stetigen Blick. Sie hatten gemeinsam die Geschichten jedes einzelnen gehört und dachten jetzt über die Gründe nach, die hinter allem, was ihnen widerfahren war, sichtbar wurden.
Walker hob sein Gesicht. »Das Licht war die Magie der Schattenwesen, die der Erde gestohlen worden war. So haben sie ihre Macht erlangt. Es war Elfenmagie, die sie in der Zeit der Feen von den Elementen ausgeborgt hatten, hauptsächlich von der Erde, denn die Erde war ihre stärkste Quelle. Als die Elfen diese verlorene Magie nach Allanons Tod entdeckten, gedachten die Abtrünnigen unter ihnen, die Schattenwesen, sie auf eine Art zu gebrauchen, für die sie nicht bestimmt war. Wie die Schädelträger und die Mord Wraiths vor ihnen, verließen sich nun auch die Schattenwesen so sehr auf die Magie, daß diese sie schließlich verwandelte. Sie wurden süchtig danach und vertrauten darauf, daß sie ihnen helfen würde zu überleben. Schließlich war dies vielleicht ihr einziger Daseinsgrund. Zuerst stahlen sie sie in kleinen Mengen, und als sie stärker werden mußten, als sie so viel Macht haben wollten, daß sie das Schicksal der Rassen und der Vier Länder kontrollieren konnten, bauten sie die Südwache, um die Magie in großen Mengen entziehen zu können. Sie fanden einen Weg, sie aus dem Kern der Erde zu entnehmen und das, was sie gestohlen hatten, unter dem Keep festzuhalten. Die Südwache und die darin gesammelte Magie wurde die Quelle ihrer allgegenwärtigen Macht. Aber als sie sie dazu benutzten, sich zu vermehren und Wesen wie die Kriecher zu erschaffen, um sich zu stärken, schwächten sie die Erde, der die Magie entnommen worden war. Die Vier Länder begannen zu erkranken, weil die Magie nicht mehr stark genug war, sie gesund zu erhalten.«
»Die Träume Allanons«, sagte Par.
»Sie wären rechtzeitig genug wahr geworden. Nichts konnte das verhindern, es sei denn, die Magie wurde wieder freigesetzt.«
»Und als sie freigesetzt war, vernichtete sie ihre Wärter.«
Walker schüttelte den Kopf. »Nicht so, wie du denkst. Sie hat sie nicht absichtlich getötet. Was geschehen ist, war grundsätzlicher Art. Als sie erst einmal befreit war, zog sie all das wieder in sich hinein, was gestohlen worden war. Sie nahm die Macht zurück, die entzogen worden war. Als sie es tat, ließ sie die Schattenwesen und ihre Monster ohne das zurück, was sie am Leben erhalten hatte. Sie hinterließ sie so hohl wie Seemuscheln, die zum Trocknen auf den Strand gelegt werden. Die Magie hat sie am Leben erhalten. Als sie fortgenommen wurde, starben sie.«
Sie waren einen Moment lang still und dachten darüber nach. »War die Südwache auch lebendig?« fragte Coll.
Walker nickte. »Lebendig, aber nicht im gleichen Sinn wie wir. Sie war ein Organismus, eine Schöpfung der Schattenwesen, die dazu diente, sie zu ernähren und zu beschützen. Sie war die Mutter, die sie nährte, eine Mutter, die sie aus der Magie erschaffen hatten. Sie nährten sich von dem, was sie ihnen gab.«
Matty Roh verzog das Gesicht und scharrte auf der Erde. »Ihre Krankheit kam wieder in sie selbst zurück«, murmelte sie.
»Ich verstehe aber nicht, warum es so viele verschiedene Arten von Schattenwesen gab«, sagte Morgan plötzlich. »Die in der Südwache, wie Felsen-Dall und seine Sucher, schienen sich unter Kontrolle zu haben. Aber was ist mit jenen armen Wesen in der Grube? Was ist mit den Waldbewohnerinnen und dem Riesen, die wir auf unserem Weg nach Culhaven getroffen haben?«