Par lächelte und nahm ihre Hand in die seine. »Ich liebe dich, Damson Rhee«, sagte er ruhig zu ihr. Seine Worte waren so leise, daß sie im Rascheln seiner Kleidung untergingen.
Er erhob sich. »Wir verlassen die Stadt. Wir werden versuchen, Hilfe zu finden. Von Morgan oder den Geächteten oder von sonst jemandem. Wir können nicht allein weitermachen.« Er schaute auf die zusammengekauerte Gestalt des Maulwurfs hinab. »Maulwurf, kannst du uns aus der Stadt heraushelfen?«
Der Maulwurf sah Damson an. »Es gibt Tunnel unter der Stadt, die euch zu der Ebene bringen werden. Ich kann sie euch zeigen.«
Par wandte sich wieder Damson zu. Einen Moment lang sagte sie nichts. Ihre grünen Augen waren von unausgesprochenen Gedanken erfüllt. »In Ordnung, Par, ich werde mitgehen«, sagte sie schließlich. »Ich weiß, daß wir nicht bleiben können. Zeit und Glück gehen für uns hier in Tyrsis dem Ende entgegen.« Sie trat nahe an ihn heran. »Aber jetzt mußt du mir dein Versprechen geben – genauso wie du es Padishar gegeben hast. Versprich mir, daß wir zu ihm zurückkehren werden – daß wir ihn nicht dem Tod überlassen werden.«
Sie denkt keinen Augenblick lang an die Möglichkeit, daß er bereits tot sein könnte. Sie glaubt, daß er stärker ist. Und das denke ich vermutlich auch.
»Ich verspreche es«, flüsterte er.
Sie lehnte sich dicht an ihn und küßte ihn fest auf den Mund. »Ich liebe dich auch, Par Ohmsford«, sagte sie. »Ich liebe dich bis zum Ende.«
Sie brauchten die ganze Nacht, um das Labyrinth der Tunnel, die unter Tyrsis lagen, und die alten Gänge, die lange genug als Schlupfwinkel für die Verteidiger der Stadt gedient hatten und jetzt ihr Fluchtweg waren, zu durchqueren. Die Tunnel kreuzten sich wieder und wieder, manchmal breit und hoch genug, daß Wagen hätten hindurchgelangen können, manchmal kaum weit genug für den Maulwurf und seine Gefährten. An manchen Stellen war der Fels trocken und staubig und roch nach alter Erde, und es gab keinerlei Spuren, daß er benutzt wurde, und manchmal war er feucht und kalt und roch nach Abwässern. Ratten quiekten bei ihrem Herannahen und verschwanden in den Mauern. Insekten krochen davon wie trockene Blätter, die über Fels geweht werden. Das Geräusch ihrer Stiefel und ihres Atems hallte hohl durch die Gänge, und es schien, als würden sie die Stadt wahrscheinlich nicht unentdeckt verlassen können. Aber der Maulwurf wählte ihren Weg sorgfältig und führte sie sehr häufig von der direkten Route fort, setzte den Weg auf der Grundlage der Dinge fort, die er allein spürte und kannte. Er sprach die Stunden über kein Wort. Er führte sie durch seine schweigende Unterwelt voran wie ein Geist auf der Jagd. Hin und wieder hielt er inne, um zu ihnen zurückzuschauen oder etwas zu betrachten, was er auf dem Tunnelboden gefunden hatte, oder um die Dunkelheit zu prüfen, die rund um sie herum auf sie eindrang. Er wirkte verwirrt und abwesend in seinem Sinnen. Par und Damson blieben jeweils mit ihm stehen. Sie warteten und beobachteten ihn und fragten sich, was er wohl dachte. Sie fragten niemals. Par wollte es, aber wenn Damson es für besser hielt, ruhig zu bleiben, war er überzeugt, daß er es ihr gleichtun mußte. Schließlich erreichten sie eine Stelle, an der die Dunkelheit vor ihnen durch einen flüchtigen Silberschimmer unterbrochen wurde. Sie stolperten durch einen Vorhang alter Spinnweben und Staub darauf zu und kletterten einen Felshang hinauf, der sich nach oben hin verengte, bis sie fast kriechen mußten. Büsche versperrten den Weg vor ihnen. Sie waren so dicht, daß der Maulwurf gezwungen war, mit einem langen Messer, das er irgendwie in seinem Pelz verborgen gehalten hatte, einen Weg für sie zu eröffnen. Sie schoben die abgetrennten Zweige beiseite, krochen durch das letzte Blattwerk, das ihnen den Weg versperrte, und drangen ans Licht.
Sie richteten sich auf und schauten sich um. Die Berge, die die Klippe, auf der Tyrsis sich erhob, abschirmten, ragten hinter ihnen empor, eine gezackte, schwarze Wand vor dem Licht der im Osten aufbrechenden Dämmerung. Der Schatten ihrer Gipfel erstreckte sich im Norden und Westen über die Ebenen wie ein dunkler Fleck, der dann in den Bäumen des dahinterliegenden Waldes verschwand. Die Luft war warm und roch nach Gras, das von der Sommersonne getrocknet wurde. Vogelgesang stieg aus der Verborgenheit des Waldes auf, und Leuchtkäfer schössen über kleine, unkrautbestandene Teiche, die von Rinnsalen gebildet wurden, die aus den Felsen hinter ihnen herabliefen.
Par schaute zu Damson hinüber und lächelte. »Wir sind draußen«, sagte er weich, und sie lächelte zurück.
Er wandte sich an den Maulwurf, der in dem ungewohnten Licht unsicher blinzelte. Impulsiv griff er hinab. »Danke, Maulwurf«, sagte er. »Danke für alles.«
Das Gesicht des Maulwurfs furchte sich, und das Blinzeln wurde heftiger. Er hob zaghaft eine Hand, berührte Par und zog sie wieder zurück. »Es ist in Ordnung«, war seine sanfte Antwort.
Damson kam herüber, kniete sich vor den Maulwurf hin und legte ihre Arme um ihn. »Auf Wiedersehen für den Augenblick«, flüsterte sie. »Bring dich in Sicherheit, Maulwurf. Halte dich von den dunklen Wesen fern. Halte dich verborgen, bis wir zurückkehren.«
Die Arme des Maulwurfs hoben sich, und seine runzligen Hände strichen über die schmalen Schultern des Mädchens. »Immer, liebliche Damson. Immer, für dich.«
Sie gab ihn dann frei, und die Finger des Maulwurfs streichelten sanft ihr Gesicht. Par glaubte Tränen in den Winkeln seiner hellen Augen zu sehen. Dann wandte sich der Maulwurf von ihnen ab und verschwand wieder in der Dunkelheit.
Sie sahen ihm einen Moment lang nach und schauten dann einander an.
»Wo entlang?« fragte Par.
Sie lachte. »So ist es recht. Du weißt nicht, wo der Firerim Reach ist, nicht wahr? Ich vergesse es manchmal, denn du scheinst so sehr ein Teil der Dinge zu sein.«
Er lächelte. »Es ist schwer, sich daran zu erinnern, da ich eine Zeitlang nicht bei dir war, nicht wahr?«
Sie sah ihn fragend an. »Ich beschwere mich nicht. Und du?«
Er ging zu ihr hinüber und hielt sie einen Moment lang fest. Er sagte nichts, sondern stand einfach nur da, die Arme um sie gelegt, seine Wange an ihrem kastanienbraunen Haar und die Augen geschlossen. Er dachte über all das nach, was sie überstanden hatten, wie viele Male ihr Leben in Gefahr und wie gefährlich ihre Reise gewesen war. Dafür, daß sie so weit gekommen waren, war die Reise kurz gewesen, sann er. So wenig Zeit hatten sie gehabt, um so vieles zu entdecken.
Sie noch immer umfassend, streichelte er ihren Rücken in kleinen Kreisen und flüsterte: »Ich sage dir etwas. Manchmal scheint es, als hätte ich die ganze Zeit Angst. Die ganze Zeit, seit Coll und ich Varfleet zum ersten Mal verlassen haben. All diese vergangenen Wochen lang habe ich Angst gehabt. Alles, was geschieht, scheint etwas zu kosten. Ich habe niemals gewußt, was ich als nächstes verlieren würde, und das hasse ich. Aber was mich am meisten ängstigt, Damson Rhee, ist die Möglichkeit, daß ich dich verlieren könnte.«
Er verstärkte seine Umarmung und preßte sie an sich. »Wie denkst du darüber?« flüsterte er.
Zur Antwort umfaßte sie ihn ebenfalls fester.
Sie wanderten durch den frühen Morgen, ohne danach noch viel zu reden, ließen die Stadt Tyrsis hinter sich und zogen gen Norden über die Ebenen zu der bewaldeten Grenze der Drachenzähne. Der Tag erwärmte sich schnell, die Kristalle des Nachttaus vergingen bei Sonnenaufgang, und die Feuchtigkeit trocknete in Staubwolken ab. Sie sahen lange Zeit niemanden, und dann auch nur Händler und Familien, die von den Bauernhöfen zum Markt in die Stadt zogen. Par stellte fest, daß er wieder an zu Hause dachte, an seine Eltern und Coll, aber dies alles schien vor langer Zeit geschehen zu sein. Er wünschte sich vielleicht, daß die Dinge wieder so wären, wie sie gewesen waren, und hätte gern alles, was seit seiner Begegnung mit Cogline geschehen war, ungeschehen gemacht, aber er wußte auch, daß er sich genauso hätte wünschen können, daß der Tag zur Nacht und die Sonne zum Mond würde. Er sah Damson an, die neben ihm ging, betrachtete die weichen, starken Linien ihres Gesichts und die Bewegungen ihres Körpers, und schob schnell beiseite, was anders hätte sein können.