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Das hatte Robin nicht gemeint. Was Bruder Abbé mit seinen Worten wirklich gesagt hatte, war, daß es ihre Schuld war. Hätte sie ihr Versprechen nicht gebrochen, dann hätte Olof niemals von dem geheimen Treffen zwischen Helle und dem Tempelritter erfahren und wäre nicht heute hier aufgetaucht, um dieses fürchterliche Blutbad anzurichten. Ebensogut, dachte sie bitter, hätte sie Jan und Helle auch gleich selbst erschlagen können.

Sie wollte etwas sagen, aber in diesem Moment drangen gedämpfte Laute aus der Dunkelheit zu ihnen, und als Robin erschrocken hochsah, glaubte sie etwas (jemanden?) davonhuschen zu sehen. Vielleicht nur ein Tier, das vor ihnen floh, vielleicht aber auch etwas anderes. Waren das nicht... Schritte gewesen?

Auch der Tempelritter schien das Geräusch gehört zu haben, denn er richtete sich kerzengerade im Sattel auf. Seine Hand senkte sich auf das Schwert, und der Blick seiner kleinen Schweinsäuglein bohrte sich in die Dunkelheit. Nach einem Moment ließ seine Wachsamkeit allerdings schon wieder nach.

Robin entspannte sich dagegen überhaupt nicht. Im Gegenteil. Sie wurde immer nervöser, sah sich immer hektischer um. Als sie das letzte Mal ein solches Warnsignal ignoriert hatte, hatte es Jan und Helle das Leben gekostet.

»Hast du Freunde, Junge?« fuhr Bruder Abbé fort. »Geschwister?«

»Nein«, antwortete Robin. »Ich habe keine Geschwister. Nur meine Mutter. Mein Vater lebt schon lange nicht mehr.«

»Aber du hast doch sicher Freunde in eurem Dorf«, bohrte Bruder Abbé weiter. »Jungen in deinem Alter - oder vielleicht gar schon ein Mädchen?« Er lächelte. »Nur keine Scheu. Du hast ja selbst gesehen, daß auch ich der Liebe nicht ganz abgeneigt bin.«

»Judith«, gestand Robin. »Die Tochter unseres Nachbarn ... und Gese. Aber sie ist schon älter. Ungefähr wie Helle.«

»Dann halte dich an sie«, sagte Bruder Abbé. »Eine erfahrene Frau kann dir eine Menge beibringen... liebst du deine Mutter?«

»Natürlich.«

»Und natürlich liegt dir auch viel an deinen Freunden, dem Nachbarsmädchen und an dieser Gese. Und wahrscheinlich auch noch an dem einen oder anderen. Euer Dorf ist sehr klein. Da kennt jeder jeden. Also hör mir zu: Wenn wir jetzt in dein Dorf kommen, dann wirst du gar nichts sagen. Ich rede, und du wirst einfach nur zuhören. Und wenn man dich fragt, ob das, was ich sage, die Wahrheit ist, dann wirst du es bestätigen. Wenn ich dabei bin, und auch später. Wenn du nicht sicher bist, was du sagen sollst, dann sagst du, daß du dich nicht mehr erinnerst, weil alles so schrecklich war und du so große Angst hattest. Hast du das verstanden?«

Robin nickte.

»Das will ich hoffen«, sagte Abbé mit einem dünnen, angedeuteten Lächeln. »Denn wenn nicht, dann werde ich wiederkommen. Ich werde dir kein Haar krümmen, aber ich werde deine Mutter töten, deine kleine Freundin, Gese und jeden anderen aus deinem Dorf, der dir etwas bedeutet.«

KAPITEL 3

Ihre Annäherung blieb nicht unbemerkt. Obwohl die meisten Dorfbewohner kurz nach der Abenddämmerung zu Bett gingen, kam ihnen eine kleine Abordnung der Bewohner entgegen, als sie sich den ersten Häusern näherten - unter ihnen auch Robins Mutter, die ob der Verspätung ihrer Tochter offenbar schon in großer Sorge gewesen war. Außer ihr gehörten noch ein gutes halbes Dutzend weiterer Männer und Frauen zu der kleinen Abordnung, die Robin und Abbé fünfzig Schritte vor den ersten Häusern erwartete. Die meisten hielten brennende Fackeln in den Händen. In ihrem hell flackernden Licht erkannte Robin nicht nur besorgte Gesichter, sondern auch mindestens zwei bewaffnete Männer, eine Tatsache, die auch Bruder Abbé keineswegs entgehen konnte: Gero, Geses Mann, hatte einen armlangen Knüppel dabei, durch dessen oberes Ende er eine Anzahl langer Nägel getrieben hatte, und der Bauer Hark hatte sich passender Weise mit einem Dreschflegel bewaffnet.

Sie warf einen raschen Blick zu Bruder Abbé hinüber. Der Tempelritter schien völlig gleichmütig, aber er konnte nicht vollkommen verhindern, daß sich ein dünnes, verächtliches Lächeln auf seine Lippen stahl. Sie mußte daran denken, wie mühelos er Olof getötet hatte, nachdem er erst einmal wieder im Besitz seines Schwertes gewesen war, und sie war plötzlich sicher, daß er selbst jetzt, verletzt wie er war, ganz allein das halbe Dutzend Männer und Frauen erschlagen könnte.

Leider fürchtete sie auch, daß ihm der Tod einiger einfacher Bauern nicht besonders nahegehen würde ...

Als sie dicht genug heran waren, um ins Licht der Fackeln zu reiten, machte sich Unruhe unter den Dorfbewohnern breit. Robin sah, wie ihre Mutter erschrocken zusammenfuhr, die Hand vor dem Mund schlug und unverzüglich auf sie losrennen wollte, aber von Hark daran gehindert wurde. Auch auf den Gesichtern der anderen machten sich die unterschiedlichsten Emotionen breit: Erstaunen, Überraschung, zum allergrößten Teil aber Schrecken und Furcht.

Sie mußten auch einen erschreckenden Anblick bieten, wie sie so aus der Dunkelheit auftauchten. Robins Gesicht und auch ihr Gewand waren voller eingetrocknetem Blut und Schmutz. Quer vor ihr lag ein Toter über dem Pferderücken, und auch Bruder Abbé hatte eine häßliche, dick verkrustete Platzwunde an der Schläfe. Dazu begann sein Gesicht nun deutlich anzuschwellen und sich in allen nur denkbaren Schattierungen blaugrün zu färben. Trotzdem bot der Tempelritter in seinem Wappenrock und hoch oben auf dem Rücken seines gewaltigen Schlachtrosses einen beeindruckenden Anblick. Das flackernde rote Licht der Fackeln schien seine ganze Gestalt in Blut zu tauchen, so daß er trotz des Kreuzsymbols auf seiner Brust mehr wie ein Dämon aussah, der direkt aus dem Schlund der Hölle geritten kam, aber keinesfalls wie ein Krieger Gottes.

Dasselbe mußte auch für sie gelten, denn der Schrecken, mit dem Hark und die anderen - einschließlich ihrer Mutter! - sie musterten, beinhaltete kein Mitgefühl, sondern eher das Entsetzen von Menschen, die sich plötzlich und unerwartet mit dem Leibhaftigen konfrontiert sehen.

Ihre Mutter beherrschte sich, bis Robin und der Tempelritter fast vor ihr waren, dann aber machte sie sich gewaltsam aus Harks Griff los und stürmte auf sie zu. »Robin!« schrie sie. »Großer Gott, Robin! Was ist geschehen?!«

Abbé hielt sie mit einer herrischen Geste zurück und warf Robin einen raschen, eindeutig drohenden Blick zu, ehe er sich an ihre Mutter wandte: »Seid Ihr seine Mutter, Weib?«

»Robin ist meine Tochter, ja«, antwortete Robins Mutter. In ihren Augen blickte es kampfeslustig auf. Weder Abbés Kleid noch sein überheblicher Ton schien sie in diesem Moment sonderlich zu beeindrucken.

Abbé blinzelte überrascht und warf Robin einen schnellen, völlig verwirrten Blick zu. »Eure ... Tochter?«

»Was habt ihr mit ihr gemacht?« fragte Robins Mutter erregt. »Was habt Ihr ihr angetan?«

»Hüte deine Zunge, Weib«, sagte Abbé kühl. »Deiner Tochter ist nichts geschehen.«

»Aber all das Blut...«

»...ist nicht ihres.« Abbés Stimme wurde schneidend. »Es ist das Blut meines treuen Knappen, der sein Leben geopfert hat, um meines zu beschützen. Und so ganz nebenbei auch das deiner Tochter, Weib.«

Robins Mutter schwieg. Sie war kein bißchen beruhigt, aber offensichtlich hatte Abbé sie nun doch eingeschüchtert. Ihr Blick irrte unstet zwischen Robins Gesicht und dem des Tempelritters hin und her, doch bevor sie weitersprechen konnte, sagte Robin rasch: »Er sagt die Wahrheit, Mutter. Ich bin nicht verletzt. Nur ein Kratzer. Aber ich wäre tot, wenn er nicht gewesen wäre.«

»Danke, Robin«, sagte Abbé spöttisch. »Ich bin wirklich froh, daß du meine Version bestätigst.« Er wandte sich an das halbe Dutzend Männer und Frauen, das noch immer in einigen Schritten Entfernung dastand und ihn mißtrauisch beäugte. »Wer von euch hat hier das Sagen?«