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Im allerersten Moment rührte sich niemand, dann aber trat Gero zögernd vor und sagte: »Wir haben keinen Dorfschulzen, wenn Ihr das meint, hoher Herr. Aber Ihr... könnt mit mir reden, wenn Ihr es wünscht.«

Abbé antwortete erst einmal gar nicht, sondern starrte mit schräg gehaltenem Kopf den nagelbesetzten Knüppel an, den Gero noch immer in der Hand hielt. Als dieser seinen Blick bemerkte, ließ er seine improvisierte Waffe hastig sinken. Robin hatte das Gefühl, daß er sie am liebsten hinter dem Rücken versteckt hätte, wie ein Kind, das einen Apfel gestohlen hatte und auffrischer Tat ertappt worden war.

»Nun, dann werde ich das tun«, sagte Bruder Abbé schließlich. »Aber nicht hier.« Er wies auf Robins Mutter. »Deine ... Tochter hat eine Menge Gutes über dich erzählt. Und ich brauche einen Ort, um mich ein wenig auszuruhen ... Welches Haus ist deines?«

»Gleich das erste links«, antwortete Robins Mutter automatisch. »Aber was... ?«

»Also gut, dann treffen wir uns dort«, sagte Bruder Abbé. Er deutete auf Gero. »Du kommst ebenfalls. Und falls es außer dir noch jemanden in eurem Dorf gibt, mit dem ich reden kann, soll er auch kommen.«

Damit ritt er weiter und nahm auch Robins Pferd am Zügel mit, so daß ihre Mutter hastig aus dem Weg springen mußte, um nicht über den Haufen geritten zu werden. Sie erreichten das Dorf, das nur aus einer kurzen Straße und einer Handvoll einfacher Häuser bestand, die sich rechts und links davon zusammendrängten, obwohl es ringsum Platz im Überfluß gab. Die Nachricht von ihrem Kommen schien bereits die Runde gemacht zu haben, denn nun brannte in den meisten Häusern Licht. Nahezu das ganze Dorf war auf den Beinen, aber nur sehr wenige wagten es, ihnen nahe zu kommen.

Abbé lenkte sein Pferd zu dem Haus, das Robins Mutter ihm bezeichnet hatte, stieg aus dem Sattel und winkte den am nächsten stehenden Mann herbei. »Du gibst auf die Pferde acht«, sagte er barsch. »Bring ihnen zu trinken, und Hafer. Ich habe noch einen langen Weg vor mir.«

Er drehte sich zu Robin um und erwartete ganz offensichtlich, daß sie aus dem Sattel stieg, machte aber diesmal keine Anstalten, ihr irgendwie zu helfen. Robin kletterte umständlich vom Rücken des Pferdes. Da sie vor allem darauf achtete, Jans toten Körper nicht zu berühren, stellte sie sich weitaus ungeschickter an, als sie andernfalls vermocht hätte, und wäre beinahe gestürzt. Nur mit einem hastigen Schritt zur Seite fand sie ihr Gleichgewicht wieder. Bruder Abbé sah ihr kopfschüttelnd zu, enthielt sich aber jeden Kommentars, sondern machte nur eine Geste zur Tür.

Robin betrat das Haus als erste. Bruder Abbé folgte ihr dichtauf. Obwohl er nicht besonders groß war, mußte er sich bücken, um sich nicht an der niedrigen Tür zu stoßen. Drinnen angekommen, drehte er sich einmal um seine Achse und unterzog dabei das Innere der Hütte einer schnellen, aber sehr aufmerksamen Musterung.

»Hier lebst du also«, sagte er.

Robin spürte, wie ihr Schamesröte ins Gesicht stieg. Abbés Stimme war vollkommen ausdruckslos; es war weder Spott noch Überheblichkeit darin. Dennoch machte die Hütte auf ihn bestimmt einen erbärmlichen Eindruck. Vermutlich war er sogar entsetzt. Immerhin war er ein Ritter, wahrscheinlich unermeßlich reich, und aß nur von goldenen Tellern und schlief auf Betten aus feinstem Linnen.

Die Hütte bestand aus einem einzigen, nicht sehr großen Raum. Es gab einen Tisch mit einer Bank und zwei niedrigen Schemeln sowie eine große, hölzerne Truhe, in der Robins Mutter ihre wenigen Habseligkeiten verwahrte. Als Bett diente eine breite Ofenbank, auf der zwei strohgefüllte Säcke und einige Decken lagen, und damit erschöpfte sich die Einrichtung auch schon fast. Einziger Zierat waren das schlichte Holzkreuz über der Tür sowie ein runder, lederbezogener Schild und ein Schwert in einer groben, hölzernen Scheide, die über der Ofenbank an der Wand hingen.

Robin schämte sich ihres Zuhauses immer stärker. Sie wußte, daß sie arm waren, aber da nur wenige im Dorf wesentlich wohlhabender als ihre Mutter waren - oder gar reich! -, hatte ihr das bisher nichts ausgemacht. Jetzt wünschte sie sich fast, im Boden versinken zu können.

»Ein eigenartiger Wandschmuck für eine Witwe, die allein mit ihrer Tochter lebt«, sagte Abbé, während er nachdenklich Schild und Schwert an der Wand betrachtete.

»Das hat meinem Vater gehört«, sagte Robin. Der Soldat hatte seine Waffen damals zurückgelassen, als er und seine Kameraden das Dorf wieder verließen. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, daß er ihr geraten hatte, sie zu verkaufen, falls sie einmal in Not geraten sollte, denn obwohl es sich um einfache Waffen handelte, stellten sie doch einen enormen Wert dar. Sie hatten seither mehr als ein schlechtes Jahr erlebt, aber ihre Mutter hatte niemals auch nur daran gedacht, diese Waffen zu verkaufen.

»Dein Vater«, sagte Abbé nachdenklich. »Das sind englische Waffen... daher auch der Name. Robin. Sag, Kind - habt ihr einen Pfarrer in eurem Ort?«

»Nein.«

»Und natürlich auch keine Kirche.« Bruder Abbé seufzte. »Großer Gott - und wir ziehen ins Heilige Land, um dort Gottes Wort zu verkünden!«

Robin verstand nicht wirklich, was er damit meinte, aber sie spürte sehr wohl die verletzende Absicht dahinter, und das machte sie wütend. Der Tempelritter wußte rein gar nichts über sie und ihr Leben und erst recht nicht über das ihrer Mutter. Wieso maßte er sich an, über sie zu richten?

Sie war so zornig, daß sie diesen Gedanken vielleicht sogar laut ausgesprochen hätte, wäre nicht in diesem Moment die Tür aufgegangen und ihre Mutter hereingekommen, gefolgt von Gero, Hark und der alten Janna, die zwar nicht ihr gewähltes Oberhaupt war, wohl aber die Dorfälteste und dazu eine sehr kluge, alte Frau.

Abbé drehte sich zu ihnen herum und trat dann zwei Schritte zurück, um den Eintretenden Platz zu machen. Trotzdem herrschte in der Hütte eine fast drückende Enge, als Hark die Tür hinter sich schloß. Das Haus war wirklich nicht sehr groß.

»Gut, daß ihr kommt«, sagte Abbé, bevor einer der anderen das Wort ergreifen konnte. »Ich brauche Wasser. Und ein sauberes Tuch.«

Während Robins Mutter eine Holzschale auf den Tisch stellte und zum anderen Ende des Raumes eilte, um Wasser aus dem Eimer zu schöpfen, der dort immer stand, nahm Abbé am Tisch Platz und begann den Ärmel seines Kettenhemdes hochzustreifen. Robin sah jetzt erst, daß Blut durch das feinmaschige Kettengewebe tropfte. Der Verband, den er darunter trug, war naß und schwer geworden.

»Ihr seid verletzt, Herr!« sagte Hark erschrocken.

»So etwas kommt vor, wenn man gezwungen ist zu kämpfen«, antwortete Abbé gleichmütig. Er löste den Verband, und der Stoffstreifen fiel mit einem schweren Klatschen auf den Tisch. Die Stichwunde darunter blutete noch immer, und das erschreckend heftig. Robin warf einen prüfenden Blick in sein Gesicht. Sie fand, daß er jetzt deutlich blasser war als vorhin in der Kapelle. Er mußte eine Menge Blut verloren haben.

»Das sieht nicht gut aus«, sagte Gero besorgt. »Ich werde meine Frau rufen. Sie versteht sich auf die Behandlung von Wunden.«

»Bleib«, sagte Abbé rasch. »So schlimm ist es nicht. Ich werde die Wunde reinigen und einen festen Verband anlegen, das muß reichen.«

Robins Mutter kam zurück, goß Wasser in die Schale und reichte dem Tempelritter ein sauberes Tuch. Dabei betrachtete sie die Wunde in Abbés Arm stirnrunzelnd. Dann wandte sie sich um, ging zu ihrer Truhe und kam mit einem kleinen Beutel aus Tuch zurück.

»Legt diese Blätter auf die Wunder, Herr«, sagte sie. »Sie lindern den Schmerz, und sie verhindern, daß Ihr Wundbrand bekommt.«

Abbé nahm den Beutel zwar entgegen, öffnete ihn aber nicht, sondern wog ihn nachdenklich in der unversehrten Hand. »Was bist du, Weib?« fragte er. »Eine Hexe?«

»Nur eine Frau, die die heilenden Kräfte von Gottes Natur kennt«, sagte Janna, bevor Robins Mutter antworten konnte. Nach einer viel zu langen Pause, um das Wort zu irgend etwas anderem als Spott werden zu lassen, fügte sie hinzu: »Herr.«