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»Was ist los mit dir?« fragte sie erschrocken. »Was hat du? Gero!«

»Lauf weg!« stöhnte Gero. »Für mich ist es zu spät, aber du ... kannst noch entkommen. Sie bringen ... alle um!«

Aber vielleicht war es auch für sie schon zu spät. Robin sah hoch und schrie vor Schrecken, als sie einen der Tempelritter genau auf sich zuspringen sah. Sie wußte nicht, welcher es war, denn sein Gesicht verbarg sich nun hinter dem kreuzförmigen Schlitz eines wuchtigen Topfhelms, aber sie erkannte ihn eindeutig als einen der vier, die sie hinter der Kapelle beobachtet hatte. Er hatte sich im Sattel weit nach vorne und zur Seite gebeugt und galoppierte direkt auf Gero und sie zu. In der rechten Hand schwang er einen gewaltigen, dreikugeligen Morgenstern.

»Lauf!« schrie Gero. Er versetzte ihr einen Stoß, sprang gleichzeitig in die Höhe und rannte dem Ritter schreiend entgegen. Der Templer machte eine fast beiläufige Bewegung mit dem Morgenstern, und eine der drei wuchtigen Eisenkugeln traf Geros Stirn und tötete ihn auf der Stelle.

Robin stand da wie gelähmt. Gero hatte sein Leben geopfert, um sie zu retten, aber sie stand einfach nur da und starrte die riesige weiße und rote und silberne Gestalt an, die auf sie zugerast kam und ihren Morgenstern zu einem weiteren, tödlichen Hieb schwang. Sie hatte nicht einmal Angst. Sie hoffte nur, daß es schnell gehen würde.

Plötzlich aber spie die Dunkelheit einen weiteren Reiter aus. Ohne zu zögern, lenkte er sein Tier zwischen Robin und den herangaloppierenden Tempelritter, riß seinen Schild in die Höhe und fing den heruntersausenden Morgenstern damit ab. Die Wucht des Hiebes war so gewaltig, daß der Reiter fast aus dem Sattel geworfen wurde und sein Pferd mit einem schrillen Wiehern auf die Hinterläufe stieg. Trotzdem schlug er fast gleichzeitig mit seinem eigenen Schwert zu. Funken stoben auf. Der Hieb war aus seiner unglücklichen Position heraus schlecht gezielt und mit zu wenig Kraft ausgeführt, und die Klinge prallte vom Kettenhemd des Tempelritters ab, ohne es zu durchdringen. Trotzdem ließ seine schiere Wucht den Tempelritter wanken. Er ließ seinen Morgenstern fallen und hatte für einen Moment Mühe, sein Pferd unter Kontrolle zu behalten.

Als er die Gewalt über sein Tier zurückerlangt hatte, hatte sich auch das Pferd des anderen Ritters wieder beruhigt. Der Schild des Mannes war unter dem Hieb des Morgensternes gerissen. Er schüttelte ihn ab, ergriff statt dessen sein Schwert mit beiden Händen und erwartete den Angriff des Tempelritters, der ebenfalls sein Schwert zog.

Der erwartete Angriff kam jedoch nicht, denn in diesem Moment tauchten zwei weitere Reiter aus der Nacht auf, und diese Übermacht schien selbst dem Templer zu groß zu sein, denn er riß sein Tier mit einer brutalen Bewegung herum und sprengte davon. Robin erwartete, daß die drei Reiter ihn auf der Stelle verfolgen würden, aber statt dessen drehte sich der, der zuerst aufgetaucht war, im Sattel herum und wandte sich an sie.

»Was um alles in der Welt geht hier vor?«

»Sie... sie sind tot«, murmelte Robin. »Meine Mutter. Carla und... und Gero. Sie haben sie ... alle erschlagen.«

»Sie?« Der Ritter deutete in die Richtung, in der der Templer verschwunden war. »Dieses verdammte Templerpack?«

Robin nickte. Sie konnte nicht antworten. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Obwohl das Helmvisier des Reiters geschlossen war, erkannte sie ihn sofort. Es war der Blonde - der gleiche Mann, der den vier Tempelrittern vorhin an der Kapelle Befehle erteilt hatte. Alles war gelogen.

Sie wurde Zeugin eines sorgsam in Szene gesetzten Theaterstücks, dessen Einsatz wirkliche Menschenleben waren und dessen Sinn sie mit jedem Moment weniger verstand. Aber es gab keinen Grund, Menschen zu töten. Es gab keinen Grund, ihre Mutter zu tötenl Sie hatte niemandem etwas getan.

Sie starrte den Ritter weiter wortlos und aus aufgerissenen Augen an, und natürlich deutete der Krieger ihren Blick falsch. »Hab keine Angst, Kind«, sagte er grimmig. »Wir werden dem ein Ende bereiten. Los!«

Das letzte Wort galt seinen beiden Begleitern, die daraufhin ihre Waffen zogen und zusammen mit ihm losgaloppierten. Es war noch nicht vorbei, dachte Robin benommen. Sie hatten noch nicht erreicht, was sie wollten. Noch mehr Tote. Noch mehr Zerstörung.

»Nein«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. »Aufhören. Hört doch... endlich auf!« Und dann schrie sie, so laut sie nur konnte: »Aufhören! Es ist alles Lügel« und rannte hinter den Reitern her, so schnell sie nur konnte.

Sie brauchte nicht lange, um sie einzuholen. Die vier Tempelritter hatten die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes, die noch lebte, auf dem großen Platz in der Mitte zusammengetrieben. Sie sah, daß einige von ihnen verletzt waren, aber trotzdem machte sich für einen Moment eine wilde, verzweifelte Hoffnung in ihr breit. Vielleicht hatte sich Gero ja geirrt. Vielleicht hatten ihm Schmerzen und Feuerschein etwas vorgegaukelt, was nicht wahr war, und vielleicht -

Ihr Blick tastete verzweifelt über die Gesichter der Menschen, die sich angstvoll in der Mitte des Platzes zusammengedrängt hatten.

Ihre Mutter war nicht darunter.

Ein Gefühl furchtbarer Leere begann sich in ihr auszubreiten. Ihre Mutter war tot. Ihre beste Freundin war tot und so viele andere, die sie gekannt und geliebt hatte, und rings um sie herum ging die Welt, in der sie geboren und aufgewachsen war, in Flammen auf, aber sie empfand nichts von alledem, was sie erwartet hätte. Keinen Schmerz, keinen Zorn, nicht einmal Trauer. Sie fühlte nur Leere, eine schreckliche, kalte Betäubung, als wäre alles in ihr, was einmal menschlich gewesen war, in einem einzigen Moment gestorben. Beinahe teilnahmslos sah sie zu, was weiter geschah.

Was immer die Tempelritter mit den Dorfbewohnern vorgehabt hatten, sie kamen nicht mehr dazu, denn die drei anderen Reiter hatten ihre Tiere zwischen sie und ihre Opfer gelenkt und drohend die Waffen erhoben. Daß die Tempelritter nicht nur besser bewaffnet, sondern auch in der Überzahl waren, schien sie nicht zu beeindrucken.

»Was geht hier vor?« fragte der Blonde kalt. Obwohl seine Stimme nur dumpf unter dem geschlossenen Visier seines Helmes hervordrang, erkannte Robin sie zweifelsfrei wieder - ebenso wie die des Narbigen, als er in rüdem Ton antwortete:

»Nichts, was Euch anginge, Gernot von Elmstatt. Mischt Euch nicht in unsere Angelegenheiten!«

»Eure Angelegenheiten?« Robin glaubte Gernots hämisches Grinsen regelrecht zu hören. Plötzlich wußte sie auch, wieso ihr das Gesicht des blondgelockten Ritters so bekannt vorgekommen war. Sie hatte ihn tatsächlich noch nie gesehen, wohl aber seinen Vater, Gunthar von Elmstatt. Die Familienähnlichkeit war nicht zu übersehen.

»Eure Angelegenheiten?« fragte Gernot noch einmal, als er keine Antwort bekam, sondern die Tempelritter ihn nur schweigend anstarrten. »Ich glaube nicht, daß es sich um Eure Angelegenheiten handelt, Sire. Dieses Dorf gehört zum Lehen meines Vaters. Was gibt Euch das Recht, seine Bewohner zu erschlagen und seine Häuser anzuzünden?«

»Sie haben einen der unseren erschlagen!«

»Und das gibt Euch das Recht, mit Feuer und Schwert hierherzukommen und diese braven Leute abzuschlachten wie Vieh?« Gernot schüttelte wütend den Kopf. »Wenn diese Menschen ein Verbrechen begangen haben, dann wendet Euch an ihren Lehnsherren, meinen Vater - ihm allein obliegt es, Recht zu sprechen!«

»Es handelt sich um eine Angelegenheit der Kirche, nicht weltlicher Gerechtigkeit«, antwortete der Tempelritter kalt. »Ich sage es Euch nur noch ein einziges Mal, Gernot: Mischt Euch nicht ein, oder...«

»Oder?« fragte Gernot lauernd.

»Oder tragt die Konsequenzen«, führte der Templer seinen begonnenen Satz zu Ende.