Выбрать главу

Sie hörte Schritte, dann das Rascheln von Stoff, und jemand setzte sich ächzend neben sie ins Gras. Robin ließ noch einige Augenblicke verstreichen, ehe sie langsam den Kopf drehte. Die alte Janna. Seltsam - sie hatte wie ganz selbstverständlich angenommen, daß sie tot sein müsse. Aber sie schien nicht einmal verletzt. Sie hatte zwar Blut im Gesicht, aber Robin sah auch sofort, daß es nicht ihr eigenes war.

Janna schien darauf zu warten, daß sie etwas sagte, aber Robin blickte sie nur einen kurzen Moment lang ausdruckslos an und starrte dann wieder zur Ruine hin.

Nach einer Weile sagte Janna leise: »Ich weiß nicht, ob es ein Trost für dich ist. Aber sie hat nicht gelitten.«

Robin begriff im ersten Moment nicht einmal, was die alte Frau überhaupt meinte. Nicht nur all ihre Gefühle waren erloschen, auch ihre Gedanken bewegten sich sonderbar träge und schwerfällig. »Wer?«

»Deine Mutter«, antwortete Janna. »Sie war die erste, die die Tempelritter erschlagen haben, einfach so. Sie kamen ins Dorf geritten, zogen ihre Schwerter und haben sie und Carla erschlagen, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Ich glaube, sie haben es nur getan, weil sie einfach die ersten waren, die ihren Weg kreuzten.«

Jannas Stimme war sehr leise, fast nur ein Flüstern, aber auch voller Bitterkeit. Der Schmerz, den Robin in sich selbst vermißte, war überdeutlich darin zu hören.

»Warum ... kann ich nicht weinen?« fragte Robin stockend.

»Die Tränen werden kommen«, antwortete Janna. »Später.«

»Aber ich fühle... gar nichts«, sagte Robin. »Mutter ist tot. Carla und Gero und so viele andere. Aber da ist... gar nichts.«

»Und deshalb machst du dir Vorwürfe«, sagte Janna nickend. »Aber das ist ganz normal, glaub mir.«

»Daß ich keine Trauer empfinde?«

»Oh, du empfindest Trauer«, behauptete Janna. »So viel Trauer, daß du dir selbst nicht gestattest, sie in ihrer ganzen Tiefe zu spüren, weil dein Verstand daran zerbrechen würde.«

Robin sah sie fragend an. »Ist das denn immer so?«

»Nein«, antwortete Janna. »Nur wenn der Schmerz zu schlimm ist, und auch nicht bei jedem. Ein jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden, weißt du? Manche fressen es in sich hinein und werden bitter und böse. Andere zerbrechen daran. Mach dir keine Sorgen. Es liegt nicht daran, daß du herzlos wärest. Die Trauer wird kommen. Später. Und dann die Wut und der Zorn.«

Sie wollte nach Robins Hand greifen, aber Robin zog ihren Arm zurück, und Janna beließ es bei einem Achselzucken.

»Die Mörder werden bezahlen«, fuhr sie fort. »Wir sind vielleicht nur einfache Leute, deren Leben nicht viel zählt, aber Freiherr von Elmstatt ist ein gerechter Mann. Er wird dieses Verbrechen nicht auf sich beruhen lassen.«

»Er wird gar nichts tun«, sagte Robin leise.

»Du tust ihm Unrecht, Kind«, beharrte Janna. »Er ist ein harter Mann, der selten Gnade vor Recht ergehen läßt, das ist wohl wahr. Aber gerade deshalb wird dieses Verbrechen nicht ungesühnt bleiben. Seine Söhne haben ihr Leben riskiert, um uns zu beschützen.«

»Es ist alles Lüge«, murmelte Robin.

Janna sah sie verständnislos an. »Was ist Lüge?«

»Alles«, antwortete Robin. »Der Überfall, der Kampf. Es war alles abgesprochen. Ich wußte, daß Gernot am linken Arm verletzt werden würde.«

»Wie hättest du das wissen können?« fragte Janna. Ihre Stimme klang beunruhigt, aber vielleicht aus einem anderen Grund, als Robin annahm. Ihre alten Augen wirkten plötzlich sehr wach.

»Weil ich sie belauscht habe«, antwortete Robin. »Ich war draußen bei der Kapelle. Gernot und die Tempelritter haben sich dort getroffen und alles abgesprochen. Sie haben einen Toten dort hingelegt, aber ich weiß nicht, warum.«

Janna seufzte. Sie sagte nichts, aber Robin war natürlich klar, daß sie ihr nicht glaubte. Sie war nur ein junges Mädchen, dessen Wort gegen das eines Adligen stehen würde. Bestenfalls würden sie denken, daß der Schmerz über den Verlust ihrer Mutter ihr den Verstand verwirrt hatte. Vermutlich dachte Janna dasselbe.

Sie sagte auch nach einer Weile nichts, aber plötzlich spürte Robin eine Berührung, und Janna sank schwer gegen ihre Schulter. Ganz instinktiv fing sie sie auf, ließ die alte Frau behutsam zu Boden sinken und keuchte vor Schrecken, als etwas Warmes, Klebriges über ihre Finger lief. Jannas Augen waren weit geöffnet, aber es war kein Leben mehr darin. Jemand hatte ihr die Kehle durchgeschnitten.

Ein Schatten beugte sich über sie. Robin sah erschrocken hoch und blickte in ein bärtiges, von einer auffälligen Narbe entstelltes Gesicht.

»Also hatte Gernot doch recht«, sagte der Tempelritter kopfschüttelnd. »Du hast uns belauscht. Du hast alles gehört und gesehen.« Er seufzte. »Weißt du denn nicht, daß Neugier eine schwere Sünde ist, mein Kind?«

Robin sah den Schlag nicht einmal kommen, mit dem die gepanzerte Faust des Tempelritters ihre Schläfe traf und ihr Bewußtsein auslöschte.

KAPITEL 10

Sie erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen und einem Gefühl der Übelkeit, das wie mit glühenden Klauen in ihren Eingeweiden wühlte und langsam ihre Kehle hinaufzukriechen begann.

Robin lag bäuchlings über einem Pferderücken. Das Pferd bewegte sich über offensichtlich unebenen Boden, und das rhythmische Schaukeln ließ die Übelkeit in ihren Gedärmen noch schlimmer werden. Sie kämpfte noch einen Moment vergeblich dagegen an, dann übergab sie sich mit einem qualvollen Würgen, und eine eindeutig amüsierte Stimme in ihrer unmittelbaren Nähe sagte: »Ich glaube, unser Gast ist wach.«

Rauhes Gelächter antwortete darauf. Robin würgte noch ein wenig bittere Galle hervor, aber in ihrem Magen war jetzt nichts mehr, was sie noch von sich geben konnte. Die Übelkeit war immer noch da, nun aber nicht mehr so schlimm. Sie stöhnte leise und wollte sich ein wenig aufrichten, bekam aber sofort eine solche Kopfnuß verpaßt, daß sie um ein Haar wieder das Bewußtsein verloren hätte.

»Rühr dich nicht«, sagte eine drohende Stimme, »oder ich schneide dir gleich den Hals ab!«

»Sei nicht so grob, Otto«, mischte sich eine andere Stimme ein. »Wir müssen ihn noch befragen. Tote reden nicht viel... Es wird ohnehin Zeit für eine Rast... Reitet zu den Bäumen dort drüben.«

Robin wagte es nicht, noch einmal den Kopf zu heben, aber sie öffnete vorsichtig die Augen. Sie sah nichts als mit Gras bewachsenen Boden, der gleichmäßig unter ihnen entlang zog, aber sie stellte immerhin fest, daß es bereits wieder zu dämmern begonnen hatte. Sie mußten die ganze Nacht unterwegs gewesen sein.

Nach einigen Augenblicken hielten die Pferde an. Sie konnte hören, wie der Reiter hinter ihr aus dem Sattel stieg, und erwartete, nun ebenfalls vom Rücken des Pferdes gehoben zu werden. Der Mann tat jedoch nichts dergleichen, sondern griff nach ihrem Handgelenk und zerrte so kräftig daran, daß sie vom Pferd fiel und kopfüber im Gras landete. Instinktiv spannte sie alle Muskeln an, um den Aufprall abzufedern, aber er war trotzdem so hart, daß ihr für einen Moment schon wieder schwarz vor Augen wurde.

Das erste, was sie sah, als sich ihr Blick wieder klärte, war eine ganz in mattes Silber und fließendes Weiß gehüllte Gestalt, die riesig und drohend über ihr emporragte. Es war der Narbige. Sein Blick taxierte kalt Robins Gesicht. Als er zu dem Schluß zu kommen schien, daß sie bei Bewußtsein und klarem Verstand war, beugte er sich vor, grub seine in Eisen gehüllte Hand in ihre Schulter und riß sie so grob in die Höhe, daß sie einen halblauten Schmerzensschrei ausstieß. Fast schon brutal drehte er sie herum und versetzte ihr einen weiteren Stoß mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter, der sie ungeschickt auf den Baum zutorkeln ließ, unter dessen überhängenden Ästen sie angehalten hatten. Es war eine mächtige Ulme, deren Stamm so gewaltig war, daß vermutlich nicht einmal drei Männer mit ausgestreckten Armen sie hätten umfassen können. Ihre Krone war groß genug, ihnen allen Schutz zu bieten, und die weit ausladenden Äste berührten hier und da fast den Boden. Ein ausgezeichnet gewähltes Versteck. Im noch schwachen Licht der Dämmerung konnte ein eventueller Verfolger selbst in unmittelbarer Nähe daran vorbeireiten, ohne sie auch nur zu sehen.