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Robin fand, daß er zwar ein guter Schauspieler war, aber maßlos überzog. Wenn sie es gekonnt hätte, hätte sie wahrscheinlich laut gelacht. Tobias aber sagte:

»Salim! Das reicht jetzt aber wirklich! Bitte erschreck unseren Gast nicht! Sie ist noch schwach und darf sich nicht aufregen.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn unsere Schwerter euch nicht vernichten werden, dann werdet ihr euch zweifellos selbst irgendwann einmal um Kopf und Kragen reden. Ein so sonderbarer Humor wie der deine kann tödlich sein, weißt du das?«

Robin spürte plötzlich wieder, wie durstig sie war. Sie hob die Hand an ihre Lippen, und Tobias verstand sofort. Er wandte sich um und kam nach nur einem Augenblick mit einem Becher zurück, den er Robin an die Lippen setzte.

»Trink«, sagte er. »Aber sei vorsichtig. Verschluck dich nicht.«

Natürlich trank sie den ersten Schluck trotz Tobias Warnung viel zu schnell und voller Gier, und natürlich verschluckte sie sich prompt. Es tat sehr weh. Bitterer Schleim drang in ihre Kehle. Sie mußte husten, und das tat noch sehr viel mehr weh. Sie krümmte sich, ließ den Becher fallen und schlug beide Hände gegen den dicken Verband, der um ihren Hals lag.

Tobias runzelte die Stirn, sagte aber nichts, sondern wartete geduldig, bis der Hustenanfall vorüber war, und reichte ihr dann einen neuen Becher. Robin nahm ihn mit zitternden Fingern entgegen und trank, diesmal mit kleinen, vorsichtigen Schlucken. Trotzdem tat es so weh, daß ihr die Tränen in die Augen schössen.

»Das tut weh, ich weiß.« In Tobias Stimme klang echtes Mitleid, im wahrsten Sinne des Wortes: Er fühlte ihren Schmerz und spürte ihn in diesem Moment wahrscheinlich tatsächlich selbst. »Aber es muß sein. Du hast viel Blut verloren und mußt viel Flüssigkeit zu dir nehmen. Nachher werden wir es mit einer Schale heißer Suppe versuchen. Du mußt wieder zu Kräften kommen.«

Robin reichte ihm den Becher zurück. Sie war noch immer durstig, aber der schlimmste Durst war gestillt, und es war ihr einfach zu unangenehm, weiterzutrinken. Das Wasser löste Blut und bittere Galle in ihrem Hals und gab ihr das Gefühl zu ersticken.

»Du wirst noch eine Menge Schmerzen erleiden, armes Kind«, sagte Tobias mitfühlend. »Aber du wirst wieder gesund - wenn du dich schonst und tust, was ich sage. Du wärst um ein Haar gestorben, ist dir das klar? Hätte das Messer auch nur um die Dicke eines Fingernagels tiefer geschnitten, dann wärst du jetzt tot.«

Und vielleicht wäre das sogar besser so, dachte Robin. Sie wußte nicht, ob Gott ihr wirklich eine Gnade erwiesen hatte, als er sie leben ließ. Sie spürte selbst, daß sie weiterleben würde - und vermutlich nicht einmal so schwer verletzt war, wie Tobias gestern noch behauptet hatte - aber wozu eigentlich? Sie hatte nichts mehr. Alle Menschen, die sie geliebt oder die ihr auch nur etwas bedeutet hatten, waren tot. All ihre weltliche Habe - so gering sie auch gewesen sein mochte - war zerstört. Ihre Welt war buchstäblich in Flammen aufgegangen. Es gab keinen Platz mehr, an den sie gehörte. Keinen Menschen mehr, dem sie wirklich noch trauen konnte. Gerne hätte sie zum Beispiel Bruder Abbé getraut - aber sie hatte nicht vergessen, was der Tempelritter auf dem Rückweg ins Dorf zu ihr gesagt hatte.

Und selbst, wenn sie lebendig hier herauskam - sobald die Männer, die schon einmal versucht hatten, sie zu töten, herausfanden, daß sie nicht erfolgreich gewesen waren, war ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert.

Bruder Tobias las in ihrem Gesicht, schien den Ausdruck darauf aber vollkommen falsch zu deuten. »Du mußt keine Angst haben«, sagte er. »Ich habe gestern ganz absichtlich ein wenig übertrieben, als ich mit Bruder Abbé gesprochen habe. Deine Verletzung ist nicht so schwer, wie du vielleicht glaubst. Ein übler Schnitt, aber mehr auch nicht. Du wirst bald wieder gesund sein. Und du wirst auch wieder reden können - selbst wenn es eine Weile dauert.« Er lächelte beruhigend und machte eine entsprechende Geste. »Leg dich hin. Es wird Zeit, deinen Verband zu wechseln. Salim, geh hinaus.«

Salim erhob sich gehorsam und verließ den Raum, und Robin ließ sich bereitwillig zurücksinken. Tobias kam mit einer Schale Wasser und sauberem Verbandszeug an ihr Bett und schlug die Decke zurück. Darunter war sie nackt, was ihr bisher noch gar nicht aufgefallen war.

»Das wird jetzt ein bißchen weh tun«, sagte Tobias. »Beiß die Zähne zusammen.«

Er hatte nicht übertrieben. Obwohl er sehr behutsam zu Werke ging, liefen Robin die Tränen über die Wangen, als er den Verband gelöst und die Wunde an ihrem Hals mit Wasser und einem sauberen Tuch gereinigt hatte.

»So«, sagte er. »Das Schlimmste hast du überstanden. Die Wunde sieht gut aus. Ich glaube nicht, daß sie sich entzündet. Du scheinst gutes Heilfleisch zu haben.« Er lächelte aufmunternd. »Wenn du dich nicht überanstrengst, dann bist du schon in wenigen Tagen wieder auf den Beinen.«

Er trug eine wohlriechende Salbe auf Robins Hals auf, die nicht nur angenehm kühl war, sondern den Schmerz nach einem Moment auch zu einem fast angenehmen Prickeln werden ließ. Anschließend legte er einen sauberen Verband an, stand danach jedoch nicht gleich auf, um seine Schale wegzubringen, sondern sah stirnrunzelnd auf Robins Brust hinab. Robins Blick folgte dem seinen.

Sie erschrak. Ihre linke Brust war angeschwollen, und man konnte deutlich den blau angelaufenen Abdruck einer riesigen Hand erkennen.

»Gütiger Gott«, flüsterte Tobias. »War das derselbe, der versucht hat, dich zu töten?«

Robin nickte. Ja. Ein Mann in Rüstung und Wappenrock eines Tempelritters. Ein Mann wie Bruder Abbé.

»Gott wird ihn dafür strafen«, sagte Tobias. »Und wenn nicht er, dann wir. Bruder Abbé ist sehr zornig, mußt du wissen. Er ist entschlossen, die feigen Mörder zu finden. Und er pflegt normalerweise immer zu erreichen, was er sich vornimmt, auch wenn man es vielleicht nicht glauben mag, wenn man ihn so sieht.« Er stand auf. »Es wird Zeit für das Gebet. Kann ich dich so alleine lassen?«

Robin nickte matt. Obwohl sie praktisch gerade erst aufgewacht war, war sie schon wieder müde. Sie signalisierte Bruder Tobias mit Blicken, daß er ruhig gehen könne, und zog die Decke wieder hoch. Tobias trug seine Schale zum Tisch und verließ das Zimmer. Robin schloß erschöpft die Augen.

Wahrscheinlich wäre sie schon in der nächsten Minute eingeschlafen, hätte sich nicht mit einem Male eine sonderbare Unruhe in ihr breit gemacht. Ihr Herz begann zu klopfen, und sie hatte das Gefühl, daß sich etwas wie ein unsichtbarer, kalter Schatten über das Zimmer gelegt hatte.

Es war ihre Gabe, die sich wieder meldete. Etwas Schlimmes geschah oder würde gleich geschehen.

Sie öffnete die Augen, sah zum Fenster und richtete sich nach kurzem Zögern auf. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Sie zögerte noch einmal, dann schwang sie die Beine aus dem Bett, schlang die Decke um die Schultern und ging zum Fenster.

Im ersten Moment konnte sie kaum etwas sehen. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch, und ihre fast waagerecht einfallenden Strahlen stachen schmerzhaft in ihre Augen und ließen sie blinzeln. Aber das Gefühl einer unsichtbaren Bedrohung wurde immer stärker.

Sie blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und wartete voller Ungeduld darauf, daß sie sich an das grelle Sonnenlicht gewöhnten. Immerhin sah sie jetzt, daß die Kammer, in der sie aufgewacht war, sich in einem sehr hohen Gebäude befinden mußte; vielleicht in einem Turm. Unter ihr lag ein grob rechteckig geformter Hof, der von einer Ansammlung unterschiedlich großer, mit Holzschindeln gedeckter Gebäude eingerahmt war. In gerader Linie vor dem Fenster, an dem sie stand, befand sich ein wuchtiges Torhaus. Das unheimliche Gefühl von Bedrohung und Gefahr kam von dort. Und es wurde mit jedem Moment stärker. Eine Bewegung auf der anderen Seite des Hofes zog ihren Blick an. Sie beugte sich vor, sah genauer hin - und fuhr erschrocken zusammen. Die Gestalten wirkten über die große Entfernung winzig, aber Robin hätte sie wohl auch erkannt, wenn sie noch viel weiter fort gewesen wären. Sie trugen mattes Silber, Weiß oder Rot... Tempelritter! Das waren Tempelritter!