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»Unsinn!« widersprach Jeromé. Er begann heftig zu gestikulieren; vielleicht ein wenig zu heftig. Seine Stimme war zu laut. »Dann phantasiert sie! Sie war dem Tode näher als jeder von uns! Vielleicht hat das Fieber ihren Verstand verwirrt, oder sie hat Angst!«

»Vielleicht sagt sie aber auch die Wahrheit«, sagte Abbé.

»Welchen Sinn sollte das ergeben?« gab Jeromé heftig zurück. »Niemand würde es wagen, sich für einen der unseren auszugeben...«

»...und in der Maske eines Tempelritters ein Gemetzel unter unschuldigen Bauern und Fischern anzurichten?« unterbrach ihn Abbé. »Das stimmt. Niemand, der nicht verrückt ist - oder dem nicht sehr viel daran gelegen ist, uns zu diskreditieren.«

»Aber warum sollte Gunthar von Elmstatt das wollen?« protestierte Jeromé. »Burg Elmstatt und unsere Komturei sind seit langen Jahren in Freundschaft verbunden! Du selbst hast seinem ältesten Sohn die Weihen erteilt, als er in den Orden aufgenommen wurde! Das ergibt... überhaupt keinen Sinn!« Er wies anklagend auf Robin. »Du willst doch Freiherr Gunthar nicht mit einer so ... so ungeheuerlichen Anschuldigung konfrontieren, nur auf das Wort eines Bauernmädchens hin, das niemand von uns kennt!«

»Und das vor zwei Tagen mit durchgeschnittener Kehle praktisch vor unserer Haustür gefunden wurde«, fugte Abbé hinzu, schüttelte aber sofort beruhigend den Kopf, als Jeromé abermals auffahren wollte.

»Natürlich hast du recht«, sagte er rasch. »Es wäre... nicht besonders klug, Gunthar vor den Kopf zu stoßen. Er ist im Moment zornig genug. Trotzdem dürfen wir nicht einfach so tun, als hätten wir Robins Geschichte nicht gehört.« Er überlegte einen Moment. »Gunthar von Elmstatt hat seinen Besuch für heute nachmittag angekündigt, zusammen mit seinem Sohn und einem Zeugen, der den Überfall auf das Dorf überlebt hat. Ich möchte, daß Robin dabei ist.«

»Unmöglich!« sagte Tobias.

»Das ist lächerlich!« sagte Jeromé.

»Natürlich ohne sein Wissen«, fuhr Abbé fort. »In diesem Punkt gebe ich dir recht, Jeromé. Es wäre nicht klug. Selbst wenn sie sprechen könnte - es wäre nur das Wort eines Bauernmädchens gegen das eines Ritters.«

Jeromé schwieg einen Moment, währenddessen er Robin und Abbé finster anstarrte. Aber Robin spürte auch, daß sein Zorn - der keineswegs gespielt war - in Wirklichkeit gar nicht ihr galt und auch nicht Bruder Abbé. Genau wie er hatte Jeromé tief in sich längst begriffen, daß sie die Wahrheit sagte.

»Und was genau hast du vor?« fragte er schließlich.

»Das liegt ganz bei Robin«, antwortete Abbé, nicht nur zu Robins Überraschung. Sie sah ihn fragend an.

»Gunthar von Elmstatt wird heute nach dem Mittagsgebet hierherkommen«, fuhr Abbé fort, nun wieder direkt an sie gewandt. »Fühlst du dich kräftig genug, bei diesem Treffen dabei zu sein? Ich weiß, was ich von dir verlange, aber es ist wichtig. Du mußt keine Angst haben. Er wird dich nicht sehen. Ich möchte auch nicht, daß du irgend etwas tust oder sagst. Du mußt einfach nur zuhören.«

Sowohl Jeromé als auch Tobias spießten ihn mit Blicken regelrecht auf, zwar aus vollkommen unterschiedlichen Gründen, aber beide mit der gleichen Intensität, und auch Robin sträubten sich die Haare allein bei dem Gedanken, dem Mann gegenüberzutreten, der nicht nur versucht hatte sie umzubringen, sondern auch für den Tod ihrer Mutter und noch so vieler anderer verantwortlich war.

Aber schließlich nickte sie.

KAPITEL 13

Zum erstenmal seit zwei Tagen durfte sie ihr Gefängnis verlassen - nicht allein, sondern in Begleitung Salims und Bruder Tobias. Im ersten Moment war sie fast ein wenig beleidigt. Nachdem sie gut und gerne achtzehn Stunden hintereinander geschlafen hatte, fühlte sie sich ausgeruht und bei Kräften wie schon seit langem nicht mehr und kam sich deshalb ein bißchen gegängelt vor. Vielleicht war es auch einfach so, daß Bruder Abbé ihr nicht traute. Er bemühte sich zwar - vor allem im Beisein anderer - den väterlichen Beschützer herauszukehren, aber sie spürte, daß sich hinter dieser Freundlichkeit, auch wenn sie durchaus echt sein mochte, noch etwas anderes verbarg. Vielleicht machte sie ihn einfach nur nervös. Aber vielleicht war da auch noch mehr. Mit großer Wahrscheinlichkeit war es einfach so, daß sie eine zumindest potentielle Bedrohung für Abbé darstellte, denn immerhin war sie nun die einzige, die das kannte, was Jan Abbés schmutziges kleines Geheimnis genannt hatte.

Schon auf halbem Wege nach unten wich ihr Groll jedoch der Einsicht, daß sie vielleicht gut daran getan hatte, ihr Zimmer nicht allein zu verlassen. Die neue Kraft, die sie spürte, erwies sich nämlich als äußerst trügerisch. Der Turm hatte sieben oder acht unterschiedlich hohe Etagen, und ihre Energie reichte nicht einmal, die Hälfte dieser Strecke zu überwinden. Sie bekam - wenigstens am Anfang - nicht viel von der Umgebung zu sehen, auf die sie so neugierig gewesen war. Eine einfache Holztreppe, deren Stufen noch dazu unterschiedlich hoch waren, führte an ausnahmslos verschlossenen Türen vorbei in engen Kehren nach unten. Die Wände mußten einmal weiß gewesen sein, starrten aber nun mancherorts geradezu vor Schmutz, und in der Luft lag der trockene Geruch nach Kleie und altem Hühnerdreck. Hätte sie es nicht besser gewußt, so hätte sie angenommen, sich auf einem Bauernhof oder einem alten Gut zu befinden - aber wer hätte je von einem Bauerngehöft mit einem fünfzehn Manneslängen hohen Turm gehört?

Bevor sie losgegangen waren, hatte Salim ihr angeboten, sie die Treppe hinunterzutragen; etwas, das sie natürlich empört von sich gewiesen hatte. Verletzt oder nicht, sie war schließlich kein kleines Kind mehr. Doch bevor sie die halbe Treppe hinter sich gebracht hatte, wünschte sie sich fast, sein Angebot angenommen zu haben, und als sie im ersten Stock angelangt waren, zitterten ihre Knie so stark, daß sie sich hinsetzen mußte, um einen Moment auszuruhen.

»Wenn es nicht geht, dann gehe ich zu Bruder Abbé und sage ihm, daß er auf deine Hilfe verzichten muß«, sagte Bruder Tobias ernst. Robin schüttelte den Kopf, aber er fuhr unbeirrt fort: »Ich weiß, daß du glaubst, ihm diesen Gefallen schuldig zu sein - aber nichts ist so wichtig, daß es sich lohnt, sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen.«

So, wie er es sagte, klangen seine Worte wirklich überzeugend, und Robin mußte wieder an den nicht ganz ernst gemeinten Streit zwischen ihm und Abbé denken, dessen Zeuge sie vor ein paar Tagen geworden war. Sie war aber plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß es sich tatsächlich nur um ein scherzhaftes Geplänkel gehandelt hatte. Zweifellos war Bruder Abbé derjenige, der hier das Sagen hatte - aber ebenso zweifellos endete seine Autorität dort, wo es um das Wohl derer ging, die ihr Leben und ihre Gesundheit in Tobias' Hände gelegt hatten. Zumindest schien der Mönch mit den schlanken Händen und dem asketischen Gesicht fest entschlossen, es schlimmstenfalls auf eine Konfrontation ankommen zu lassen.

Das wollte sie nicht. Tobias hatte ihr das Leben gerettet. Abgesehen von ihrer Mutter war er vielleicht der einzige Mensch auf der Welt, der jemals ganz selbstlos etwas für sie getan hatte. Sie stand schon jetzt so tief in seiner Schuld, daß der Rest ihres Lebens wohl nicht reichen würde, um sie wieder zurückzuzahlen. Sie gab ihm mit Gesten zu verstehen, daß mit ihr alles in Ordnung sei und sie nur einen Moment brauchte, um wieder zu Atem zu kommen.

»Wie du willst«, sagte Tobias. Er wirkte wenig begeistert, versuchte aber nicht noch einmal, sie zu überreden. »Aber wir haben nicht sehr viel Zeit. Abbés Officium liegt auf der anderen Seite des Hofes, und es ist schon fast Zeit für das Gebet.«

Robin streckte die Hand nach dem Treppengeländer aus, um sich in die Höhe zu ziehen, aber nun kam ihr Salim zur Hilfe.

»Dann eilt Euch doch, um rechtzeitig zu Eurem Gebet zu kommen, Tobias«, sagte er. »Ich bleibe hier bei ihr, bis sie wieder zu Kräften gekommen ist.«