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Tobias wirkte unschlüssig. »Bruder Abbé hat mir eindeutig aufgetragen, sie nicht aus den Augen zu lassen«, sagte er.

»Aber ich bin doch Euer Auge und Euer Ohr«, sagte Salim lächelnd. »Wovor fürchtet Ihr Euch? Daß ich sie entführe und ein Lösegeld für sie fordere? Oder daß ihre Genesung plötzlich auf wundersame Weise Fortschritte macht und sie sich auf ein Pferd schwingt und davonreitet?« Er schüttelte den Kopf. »Geht zu Euren Brüdern und betet mit ihnen zusammen zu Eurem Christengott, Tobias - bevor Ihr am Ende noch eine Sünde begeht, für die Ihr in der Hölle schmoren müßt.«

Er lachte bei diesen Worten, aber es war seltsam: Für einen ganz kurzen Moment schien es Robin, als hätte sich alles ins Gegenteil verkehrt, als wäre plötzlich er der Herr und Tobias der Sklave. Irgend etwas, das sich hinter seinem fast kindlichen Lachen verbarg, machte seine Worte zu einem Befehl, dem Tobias nahezu widerspruchslos gehorchte.

»Also gut«, sagte er. »Aber du haftest mit deinem Leben dafür, daß sie im Officium ist, sobald wir das Gebet beendet haben.«

»Das werde ich«, versprach Salim feierlich, senkte sein Haupt und fügte halblaut und mit einem Grinsen in Robins Richtung hinzu: »Was immer das Leben eines Sklaven wert sein mag.«

»Hüte deine Zunge, Sarazene«, grollte Tobias. »Bevor du sie verlierst.«

Er ging, am Anfang noch langsam und gemessenen Schrittes, dann, kaum daß er außer Sichtweite war, polterte er regelrecht die Treppe hinunter und schien zu rennen. Robin hatte keine Ahnung von den Gepflogenheiten der Tempelritter, aber ein Gebet mußte hier wohl einen vollkommen anderen Stellenwert haben, als sie es gewohnt war.

»Ich dachte schon, er geht gar nicht mehr!« Salim ließ sich mit einem Seufzen auf die gleiche Treppenstufe sinken wie Robin und blickte stirnrunzelnd in die Richtung, in der Tobias verschwunden war.

»Wie ist es - reicht dir eine kleine Pause, oder soll ich dich den Rest des Weges tragen? Es macht mir nichts aus. Ich bin stark genug.«

Robin schüttelte heftig den Kopf, und Salim lachte. »Du gefällst mir, weißt du das? Du könntest fast eine Tuareg-Frau sein. Natürlich sind sie viel schöner, als ein Christenweib jemals sein könnte - aber du bist genauso stolz und stark wie eine von uns.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Wenn wir eure Eroberungsheere endlich geschlagen haben und unsererseits hierherkommen, um euch den wahren Glauben zu bringen - was zweifellos in wenigen Jahren der Fall sein wird -, dann werde ich dich in meinem Harem aufnehmen. Natürlich nicht als meine Lieblingsfrau, aber...«

Was immer er noch hatte sagen wollen, ging in einem schmerzerfüllten Japsen unter, als Robin ihm wuchtig den Ellbogen in die Rippen stieß. Salim keuchte, rutschte hastig so weit von ihr weg, wie es auf der schmalen Treppe möglich war, und rieb sich die Seite.

»Oder vielleicht auch nicht«, murrte er.

Robin mußte lachen, ob sie wollte oder nicht. Salim war ihr immer noch ein bißchen unheimlich, aber vielleicht lag das nur an seinem fremdartigen Äußeren - und natürlich an dem Umstand, daß er ein Heide war.

Sie streckte erneut die Hand nach dem Geländer aus. Salim sprang rasch auf, um ihr zu helfen, sagte aber trotzdem: »Wir haben Zeit. Die Gebete unserer Wohltäter dauern immer endlos. Ich habe nie verstanden, wie ihr auch nur eine einzige Stadt erobern konntet - wo ihr doch fast den ganzen Tag mit Beten beschäftigt seid.«

Er griff nach Robins Hand, zog sie mit einer kraftvollen Bewegung in die Höhe und legte vielleicht ein wenig zu viel Schwung in die Bewegung, denn Robin kam zwar auf die Füße, verlor aber prompt das Gleichgewicht und stürzte gegen ihn. Salim legte rasch den Arm um sie und hielt sie fest - ein wenig zu fest nach Robins Dafürhalten, und mehr als nur ein wenig zu lang. Für einen Moment waren sich ihre Gesichter ganz nahe, so nahe, daß Robin stieß ihm die flachen Hände so kräftig vor die Brust, daß Salim sie nicht nur losließ, sondern auch überrascht einen Schritt nach hinten taumelte und um ein Haar tatsächlich die Treppe heruntergefallen wäre.

»He!« protestierte er. »Warum so grob? Ich wollte doch nur... mein Eigentum zurück!«

Nicht, daß Robin verstand, was er damit meinte - aber sie glaubte sehr wohl zu wissen, was er von ihr wollte. Sie hätte nicht einmal sagen können, ob es ihr unangenehm war oder nicht.

Aber nicht jetzt. Es war zu früh. Viel zu früh.

Sie deutete die Treppe hinab, und Salim hob die Schultern; enttäuscht, aber vielleicht auch ein bißchen trotzig. »Ganz wie du meinst. Wenn du es nicht abwarten kannst, zu deinen frommen Freunden zu kommen...«

Sie gingen weiter. Salim war nicht gekränkt genug, um seine Pflichten zu vernachlässigen, und stützte sie, bis sie das Ende der Treppe erreicht hatten und aus dem Turm hinaus ins Freie traten.

Robin blinzelte. Die Sonne stand hoch an einem wolkenlosen Himmel, und es kam ihr ungewöhnlich warm vor, selbst für einen Hochsommertag. Robin beschattete die Augen mit einer Hand, während Salim das Gesicht direkt in die Sonne hob; wie jemand, der nach einem viel zu langen Winter endlich wieder einmal einen sonnigen Morgen erlebte.

»Dort drüben.« Salim deutete auf ein langgestrecktes Gebäude auf der anderen Seite des Hofes. »Schaffst du das?«

Robin war nicht ganz sicher, aber sie nickte trotzdem. Sie fühlte sich schwach, aber die wärmenden Strahlen der Sonne und die überraschend klare, sauerstoffreiche Luft taten ihr ungemein wohl. Ihr wurde erst jetzt richtig bewußt, wie stickig und düster es trotz des großen Fensters in Tobias' Turmkammer gewesen war.

Während sie auf Salims Arm gestützt langsam über den Hof ging, sah sie sich neugierig um. Das Anwesen war groß, aber vollkommen anders, als sie erwartet hatte. Nach allem, was sie von Abbé - und vor allem von Jan! - gehört hatte, hatte sie sich diese Komturei nicht anders denn als eine gewaltige Trutzburg vorgestellt, zehnmal so groß wie Burg Elmstatt (die sie ebenfalls noch nie gesehen hatte und nur aus Erzählungen kannte), mit gewaltigen Türmen und trutzigen, zinnengekrönten Mauern, auf deren Wehrgängen hunderte schwergepanzerte Ritter patrouillierten. Was sie sah, war allerdings das genaue Gegenteiclass="underline" Ein zwar großer, mit Ausnahme des Turms aber ganz gewöhnlicher Bauernhof, der von einem halben Dutzend Stallungen, Scheunen, Remisen und Wirtschaftsgebäuden gebildet wurde, sowie dem zweistöckigen Haus, zu dem Salim sie jetzt führte und von dem sie nicht genau sagen konnte, ob es sich nun um eine Kirche, ein ganz normales Wohnhaus oder eine sonderbare Mischung aus beidem handelte. Die einzige Bewegung, die sie im Moment wahrnahm, wurde von einem struppigen Hund und einem Dutzend Hühnern verursacht, die auf dem Hof nach Futter pickten. Es roch nach Mist, schmorender Holzkohle und frisch gemähtem Heu. Wo waren all die Ritter? Wo waren die Krieger, von denen Jan erzählt hatte, das mächtige Heer, das hier ausgebildet wurde, um das Heilige Land und die Stadt Christi aus der Tyrannei der Muselmanen zu befreien?

Salim registrierte ihre neugierigen Blicke, deutete sie aber vollkommen falsch. »Sieh dich nur gründlich um«, sagte er. »Diese Gelegenheit wirst du so schnell nicht wieder bekommen. Normalerweise darf keine Frau diesen Ort betreten. Deine gottesfürchtigen Freunde sind da ziemlich eigen. Wenn Bruder Abbé nicht ein gutes Wort für dich eingelegt hätte, dann hätte ich dich vorgestern nacht nicht einmal hierherbringen dürfen. Die anderen Tempelherren sind nicht begeistert von deinem Hiersein. Bruder Jeromé schäumt immer noch vor Wut - aber das hast du ja schon selbst gemerkt.« Er sah sie fragend an. »Woher kennst du Bruder Abbé?«

Die Frage kam so überraschend, daß Robin sie vermutlich ganz automatisch beantwortet hätte, wenn sie in der Lage gewesen wäre zu sprechen.

»Ich weiß, ich weiß, du kannst nicht antworten«, fuhr Salim fort. »Und wenn du es könntest, würdest du es nicht tun. Vielleicht ist es sogar besser so. Aber ich wüßte zu gerne, woher Abbé dich kennt. Ich habe sein Gesicht gesehen, als ich dich hereingebracht habe ... Ich glaube, er wäre nicht unbedingt vor Kummer vergangen, wenn es Tobias nicht gelungen wäre, dein Leben zu retten.«