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Robin war regelrecht erleichtert, daß sie in diesem Moment ihr Ziel erreicht hatten und Salim verstummte. Allmählich wurde ihr der junge Tuareg fast unheimlich. Entweder war er ein wirklich scharfsinniger Beobachter, oder es stimmte, was man über die Muselmanen erzählte, daß sie über dämonische Kräfte verfugten.

Im Inneren des Gebäudes war es so kühl, daß sie im ersten Moment fror. Durch die Tür fiel helles Sonnenlicht herein, aber als Salim sie hinter ihr schloß, schien die Nacht zurückzukehren, denn es gab nur ein einziges, schmales Fenster. Immerhin konnte sie erkennen, daß sie sich in einer weitläufigen, allem Anschein nach vollkommen leeren Halle befanden, von der zahlreiche Türen abzweigten. Einziger Wandschmuck war ein doppelt mannsgroßer, weißer Teppich, auf dem das blutrote Tatzenkreuz der Tempelritter prangte. Eine breite Treppe aus Holz führte im hinteren Teil der Halle nach oben, und in der Luft lag eine verwirrende Mischung der gegensätzlichsten Gerüche: Weihrauch und frisches Heu, eine sachte Spur des offenbar allgegenwärtigen Pferdemists, aber auch der Geruch von gebratenem Fleisch, der Robin nicht nur auf der Stelle das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, sondern ihren Magen auch zu einem hörbaren Knurren veranlaßte. Immerhin hatte sie in den letzten Tagen so gut wie nichts gegessen.

Salim grinste, enthielt sich aber jeden Kommentars und deutete stumm auf die Treppe. Er streckte die Hand aus, aber Robin ignorierte sie und ging aus eigener Kraft weiter, wenn auch mit etwas wackeligen Knien. Dabei hätte sie in diesem Moment selbst nicht einmal sagen können, warum. Es war keineswegs so, daß ihr Salims Hilfe oder gar seine Berührung unangenehm gewesen wäre. Aber vielleicht war ja auch ganz genau das der Grund.

Langsam, aber aus eigener Kraft, ging sie die Treppe hinauf. Salim bot ihr nicht noch einmal seine Hilfe an, ging aber dicht neben ihr her, um im Notfall rasch zugreifen zu können. Er maß sie mit verstohlenen Blicken, in denen sich Überraschung mit einer Art widerwilliger Bewunderung mischte. Robin ihrerseits erfüllte dieser Blick mit Stolz.

Die Treppe endete auf einem hohen, ebenfalls sehr düsteren Flur, der sich in beiden Richtungen über die gesamte Länge des Gebäudes zu erstrecken schien. Es gab keine Fenster, sondern nur eine Anzahl schmaler Türen, in die in Augenhöhe kleine Gucklöcher eingelassen waren. Das wenige Licht, das durch diese Öffnungen hereindrang, reichte kaum aus, um in beiden Richtungen bis zum Ende des Flures sehen zu können.

Salim deutete nach links und legte dann unsinnigerweise den Zeigefinger über die Lippen. Dann fuhr er zusammen, machte eine entschuldigende Geste und grinste verlegen.

Sie setzten sich in Bewegung. Salims Ziel war offensichtlich die geschlossene Tür ganz am Ende des Korridors, aber Robin ließ natürlich die Gelegenheit nicht verstreichen, einen Blick in einen der angrenzenden Räume zu werfen, als sie an einer offenstehenden Tür vorbeikamen.

Die Kammer, in die sie blickte, war winzig - kaum breiter als die Tür selbst und höchstens fünf Schritte lang. Sie bot gerade Platz für ein Bett, das alles andere als bequem aussah, einen niedrigen dreibeinigen Schemel und eine hölzerne Truhe. Ein großes, geschnitztes Kreuz hing an der dem Bett gegenüberliegenden Wand. Das war alles. Selbst das Haus, in dem sie aufgewachsen war, kam ihr gegen diese winzige Zelle großzügig und luxuriös vor. Und das sollte der sagenhafte Reichtum der Tempelritter sein, von dem Jan erzählt hatte? Wo waren all das Gold, die Edelsteine und kostbaren Stoffe, von denen der junge Ritter ihr vorgeschwärmt hatte?

Auch als Salim die Tür am Ende des Flures öffnete und sie den dahinterliegenden Raum betraten, entdeckte sie wenig von all den erwarteten Schätzen. Der Raum war sehr viel größer als die Zelle, die sie gesehen hatte, aber kaum weniger bescheiden eingerichtet. Es gab einen langen, aus schweren Eichenbalken gefertigten Tisch, der Platz genug für ein halbes Dutzend Stühle an beiden Seiten und einen etwas größeren Stuhl mit geschnitzten Lehnen am Kopfende bot, und an der Wand neben der Tür das allgegenwärtige Holzkreuz, diesmal gut mannsgroß. Ein kleiner Altar an der gegenüberliegenden Wand und ein großer Schrank mit geschnitzten Türen vervollständigte die Einrichtung. Immerhin war es der erste Raum, den sie hier sah, dessen Wände nicht vor Schmutz starrten.

Salim schloß die Tür und machte eine weit ausholende Geste. »Bruder Abbés Officium.« So wie er das sagte, schien es sich wohl um etwas ganz Besonderes zu handeln, aber Robin konnte an diesem Raum nichts Außergewöhnliches erkennen. Geros Stube war größer gewesen und weitaus besser eingerichtet.

»Komm.« Salim machte eine einladende Geste, ging mit schnellen Schritten voraus und öffnete zu Robins Verwirrung den Schrank. Er war vollkommen leer, viel größer, als sie erwartet hatte, und er war in Wahrheit auch gar kein Schrank. Er hatte keine Rückwand. Wo sie sein sollte, lag ein kleines, fensterloses Zimmer, das gerade Platz für einen einzelnen Stuhl bot.

»Eins von Bruder Abbés kleinen Geheimnissen«, sagte Salim spöttisch, als sie keine Anstalten machte, den Schrank zu betreten, sondern ihn nur fragend ansah. »Er hat eine Menge davon, aber ich fürchte, sie sind nicht alle so harmlos wie dieses. In diesem Raum werden manchmal Dinge von großer Wichtigkeit besprochen. Da erweist es sich schon einmal als recht nützlich, wenn einer zuhört, ohne daß es jedermann weiß.« Er wiederholte seine einladende Geste. »Keine Sorge. Niemand kann dich sehen, wenn du dort drinnen bist.«

Robin gehorchte zögernd, nicht nur weil sie ohnehin keine andere Wahl hatte, sondern weil sie mittlerweile auch kaum noch stehen konnte. Der Weg über den Hof und hier herauf hatte sie doch sehr ermüdet. Sie mußte sich mit einer Hand an der Tischkante festhalten, während sie zum Schrank ging, und als Salim ihr diesmal seine Hand entgegenstreckte, schlug sie sie nicht aus.

Salim stellte den Stuhl unmittelbar hinter den Schranktüren auf, wartete, bis sie darauf Platz genommen hatte, und zog die Türen dann zu. Es wurde dunkel, aber nicht stockfinster. In die Tür war eine Anzahl kleiner Öffnungen eingelassen, durch die man nahezu den ganzen Raum auf der anderen Seite überblicken konnte, und durch die überraschend viel Licht hereinfiel.

Robin spürte, wie Salim hinter sie trat, dann legte sich seine schmale, aber sehr kräftige Hand auf ihre Schulter. Robin wollte sie abstreifen, überlegte es sich dann aber anders.

Sie warteten.

KAPITEL 14

Es verging noch mindestens eine halbe Stunde, bis die Tür auf der anderen Seite des Raumes aufging und zwei Männer in der Kleidung der Tempelritter hereinkamen - Bruder Jeromé und ein etwas jüngerer, kräftig gebauter Mann, den Robin nicht kannte. Sie nahmen auf den Stühlen rechts und links des Kopfendes Platz, und nur wenige Minuten später betrat auch Bruder Abbé das Officium. Auch er trug das Gewand eines Tempelritters, hatte jedoch, im Gegensatz zu den beiden anderen, keine Waffen bei sich - aber vielleicht wirkte er gerade dadurch viel beeindruckender als sie. Eine stumme Autorität ging von ihm aus, wie sie Robin bisher schon öfter an dem Tempelherrn aufgefallen war: etwa an dem Morgen, an dem sie Jan und die beiden anderen zu Grabe getragen hatten.

Neben ihr raschelte grober Stoff, dann berührte etwas Hartes und Kühles ihre Lippen: Ein Becher mit kaltem Wasser, den Salim ihr hinhielt. Während der letzten halben Stunde hatte er das drei-, oder viermal getan, nicht nur, weil es in der winzigen, fensterlosen Kammer immer stickiger geworden war, sondern vor allem, damit sie nicht im unpassenden Moment husten mußte.