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»Trink«, zischte seine Stimme an ihrem linken Ohr. »Und dann keinen Laut mehr! Wenn sie uns hier finden, ist es um uns geschehen!«

Robin hielt das für übertrieben, aber im Prinzip war Salims Warnung mehr als berechtigt: Wenn sie hier drinnen entdeckt wurden, würde das Abbé in eine mehr als unbequeme Lage bringen. Vielleicht konnte sie danach nicht mehr auf seinen Schutz vertrauen.

Falls sie das überhaupt jemals gekonnt hatte.

Sie leerte den Becher, und kaum hatte Salim ihn zu Boden gesetzt, da betrat ein Mann in einer grauen Mönchskutte den Raum auf der anderen Seite der Schranktüren und wandte sich mit ehrfurchtsvoll gesenktem Haupt an Abbé.

»Bitte verzeiht die Störung, Bruder«, sagte er. »Gunthar von Elmstatt und sein Sohn Gernot sind eingetroffen und wünschen Euch zu sprechen.«

»Dann führt sie herein, Bruder«, sagte Abbé. »Wir wollen unsere Gäste nicht unnötig warten lassen. Es wäre unhöflich.«

Der Mönch entfernte sich rückwärts gehend, und Abbé nahm auf dem Stuhl am Kopfende des Tisches Platz. Robin konnte sein Gesicht nun nicht mehr sehen, aber sie spürte die Anspannung fast körperlich, die nun von dem untersetzten Tempelherrn ausging. Obgleich für jeden im Raum unsichtbar, war sie Abbé so nahe, daß sie ihn mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können, wäre die Schranktür nicht zwischen ihnen gewesen.

Schritte näherten sich draußen auf dem Flur, dann traten rasch hintereinander vier Männer in das Officium. Robin fuhr so erschrocken zusammen, daß Salim ihr besorgt die Hand auf den Unterarm legte. Sie nickte in der Dunkelheit, um ihm zu zeigen, daß alles in Ordnung sei. Salim konnte die Bewegung schwerlich sehen, aber wahrscheinlich spürte er sie.

Dabei war rein gar nichts in Ordnung. Drei der vier Männer, die hereingekommen waren, kannte sie. Es waren Gernot von Elmstatt, der den linken Arm noch immer in einer Schlinge trug, sowie der Bauer Hark aus ihrem Dorf. Er hatte einen schmutzigen Verband um die Stirn und war sehr blaß, aber es ließ sich nicht sagen, ob das an seiner Verwundung lag oder nicht vielmehr an der Ehrfurcht, mit der ihn seine Umgebung erfüllte - wobei Robin nicht sicher war, ob die Betonung eher auf Ehre oder Furcht lag. So oder so war sie erleichtert, ihn lebend wiederzusehen. Nachdem so viele, die ihr nahegestanden hatten, vor ihren Augen zu Tode gekommen waren, hatte sie ganz instinktiv angenommen, daß auch er nicht mehr am Leben sei.

Dafür traf sie der Anblick des dritten Mannes um so härter. Es war ein dunkelhaariger, bärtiger Riese mit einer häßlichen Narbe im Gesicht. Otto, der Waffenmeister Gunthar von Elmstatts. Der Mann, der versucht hatte, sie zu töten. Sie begann am ganzen Leib zu zittern.

Salim legte ihr nun auch die andere Hand auf die Schulter, und obwohl sie wußte, daß es nur eine Illusion war, gab ihr seine Berührung ein Gefühl von Schutz und Sicherheit, das sie vielleicht allzulange vermißt hatte. Sie hob den Arm und griff ihrerseits nach seiner Hand. Er ließ die Berührung zu, und es war, als könnte sie sein Lächeln in der Dunkelheit hinter sich spüren.

»Seid willkommen, Gunthar von Elmstatt.« Bruder Abbé machte sich nicht die Mühe, sich aus seinem Stuhl zu erheben, um seine Gäste zu begrüßen, sondern machte nur eine knappe Bewegung mit der Hand; eine subtile Demonstration seiner Macht, die ihre Wirkung auf die Angesprochenen aber vollkommen zu verfehlen schien.

Gunthar, der ein grauhaariger starker Mann um die fünfzig war, verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Bitte verzeiht, Bruder Abbé«, sagte er, wobei er das Wort Bruder so betonte, daß es einer Beleidigung gleichkam. »Aber wir sind nicht gekommen, um Freundlichkeiten auszutauschen.« Er nahm unaufgefordert Platz - was nach allem, was Robin wußte, nun wirklich einer Ohrfeige für seinen Gastgeber gleichkam, - und machte eine auffordernde Geste zu seinen Begleitern, es ihm gleich zu tun. Sie gehorchten. Einzig Hark trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und wartete, bis Abbé ihm mit einem angedeuteten Nicken sein Einverständnis signalisierte.

»Ich war mit diesem zusätzlichen Treffen einverstanden, um unser aller Freundschaft willen«, begann Gunthar. Als er das Wort Freundschaft aussprach, huschte ein verächtlicher Ausdruck über das Gesicht seines Sohnes, aber er schwieg.

»Das weiß ich«, antwortete Abbé. »Und ich weiß auch, wie schwer es Euch gefallen sein muß, insbesondere nach dem herben Verlust, den Ihr erlitten habt. Es ehrt Euch, daß Ihr die Gerechtigkeit über die Stimme Eures Blutes stellt, die zweifellos nach Rache schreit.«

»Gerechtigkeit...« Gunthar seufzte, aber in Robins Ohren klang es eher wie ein kleiner Schrei. »Nun, ganz wie Ihr meint, Abbé.« Er deutete auf Hark. »Ich nehme an, Ihr kennt diesen Mann?«

»Wir sind uns nie begegnet«, antwortete Abbé ruhig. »Doch ich vermute, er stammt aus dem Dorf, das überfallen wurde?«

Robin konnte Abbés Gesicht nicht erkennen, sehr wohl aber die Reaktion auf Harks Gesicht, und die machte jede Antwort im Grunde überflüssig. Den Ausdruck auf seinen Zügen mit Entsetzen zu beschreiben, wäre noch untertrieben gewesen.

»Er hat eine interessante Geschichte zu erzählen«, sagte Gunthar, während er sich mit einer schwerfällig wirkenden Bewegung auf seinem Stuhl herumdrehte und sich direkt an Hark wandte. »Sprich. Du hast nichts zu befürchten. Erzähl einfach die gleiche Geschichte, die du uns berichtet hast.«

Hark wand sich einen Moment wie unter Schmerzen. Er hatte weder die Kraft, Abbé noch Gunthar von Elmstatt anzusehen. »Sie ... sie kamen mit Einbruch der Nacht«, begann er stockend. »Vier... vier Tempelritter, Herr. Sie waren gekleidet wie... wie Ihr. Und zu Pferde und in Waffen.«

Er stockte. Gunthar warf einen scharfen Blick in Abbés Gesicht, dann nickte er Hark auffordernd zu. »Red weiter. Nur keine Furcht. Solange du die Wahrheit sagst, kann dir nichts geschehen.«

»Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist, Herr«, antwortete Hark gequält, und noch immer, ohne irgend jemanden im Raum direkt anzusehen. »Ich meine, ich ... ich weiß nicht, warum sie es getan haben. Niemand bei uns kann es sich erklären.«

»Was getan, mein Sohn?« fragte Abbé. Seine Stimme war autoritär, aber plötzlich fast sanft; die Stimme eines Vaters, der mit einem verängstigten Kind spricht.

»Sie haben uns angegriffen, Herr«, antwortete Hark, beinahe im Flüsterton. »Sofort und ohne auch nur ein Wort zu sagen. Sie haben... acht von uns erschlagen und Feuer gelegt, und die Überlebenden haben sie in der Mitte des Dorfes zusammengetrieben.« Er begann mit den Händen zu ringen. »Wenn... wenn die Söhne des Lehnsherrn nicht gekommen wären, dann hätten sie uns vielleicht alle getötet. Wir haben versucht, uns zu wehren, aber sie... sie waren viel zu stark.«

»Einfach so, ohne ein Wort zu sagen?« hakte Abbé nach.

Hark nickte nervös. Er versuchte nun doch, Abbé anzusehen, hielt seinem Blick aber nicht einmal für die Dauer eines Lidschlages stand. »Männer, Frauen und Kinder«, bestätigte er. »Sie haben jeden niedergemacht, der ihren Weg kreuzte. Sie... sie waren wie die Teufel.«

Robin sah, daß der ihr unbekannte Tempelritter auffahren wollte, aber Abbé brachte ihn mit einer raschen Geste zur Räson. »Sag mir, Hark«, fragte er, noch immer in jenem sanften, aber trotzdem bestimmten Ton, »siehst du hier im Raum einen der Männer, die dein Dorf überfallen haben?«

Hark verneinte, und Abbé fuhr fort. »Ich lasse gern meine anderen Brüder kommen, damit du ...«

»Welchen Sinn sollte das haben?« mischte sich Gernot ein. »Die Männer trugen Helme! Er würde sie nicht einmal erkennen, wenn sie vor ihm stünden. Nicht einmal ich würde sie wiedererkennen, obwohl ich mit einem von ihnen gekämpft habe!«

Abbé hob besänftigend die Hand. »Ich bitte Euch, Gernot. Eure Erregung ist verständlich, aber sie hilft uns nicht bei der Wahrheitsfindung.«