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»Wahrheit?« Gernot schnaubte. »Sie dürfte jedem hier im Raum...«

Diesmal war es sein Vater, der ihn zum Schweigen brachte. »Gernot!« sagte er scharf. Dann wandte er sich an Hark. »Sprich weiter.«

»Es war, wie Euer Sohn gesagt hat«, fuhr Hark mit gesenktem Blick fort. »Er und... und Euer jüngster Sohn kamen im letzten Augenblick, um uns zu retten. Sie haben sich mit ihren eigenen Leben zwischen uns und die Tempelritter geworfen, um uns zu beschützen.«

»Wieso?« fragte Abbé.

»Wieso?« Gernot riß ungläubig die Augen auf. »Das fragt Ihr im Ernst? Sollten wir tatenlos zusehen, wie ...«

Abbé unterbrach ihn. »Ihr habt mich mißverstanden, Gernot«, sagte er. »Natürlich hätte niemand tatenlos zugesehen, wie ein solch ruchloses Verbrechen verübt wird. Nein, was ich meine, ist etwas ganz anderes. Wie kommt es, daß Ihr just in diesem Moment dort aufgetaucht seid. Harks Dorf liegt sehr einsam. Niemand kommt zufällig dort vorbei.«

Gernot verzog die Lippen. Er hatte die Frage erwartet. »Es war kein Zufall«, sagte er verächtlich. »Mein Bruder Gundolf und ich waren auf dem Weg nach Burg Elmstatt. Wir fanden die Spuren von Reitern. Wir sind ihnen gefolgt. So einfach ist das.« Er machte ein abfälliges Geräusch.

»Dann sahen wir das Feuer, und später hörten wir die Schreie. Wir ritten, so schnell wir konnten...«

»... und seid gerade noch rechtzeitig gekommen, um das Allerschlimmste zu verhindern«, fiel ihm Abbé ins Wort. Es klang spöttisch. »Da können wir Gott dem Herrn ja dafür danken, daß er Euch gerade im richtigen Moment dorthin geschickt hat.«

»Vielleicht wollte er nur verhindern, daß in seinem Namen ein noch größeres Verbrechen geschieht«, sagte Gernot düster. »Acht der braven Leute waren bereits tot, und die Templer hatten die anderen wie Vieh zusammengetrieben, um auch sie abzuschlachten.«

»Aber Ihr habt sie daran gehindert, indem Ihr sie in die Flucht geschlagen habt«, vermutete Jeromé. Seine Stimme triefte vor Hohn.

»Ich habe ihren Anführer zum Kampf gefordert«, sagte Gernot.

»Und zweifellos besiegt.«

Diesmal verging ein kurzer Moment, ehe Gernot antwortete. »Nein«, gestand er widerstrebend und mit einer Kopfbewegung auf seinen verletzten Arm. »Ich habe es versucht, aber ich war ihm nicht gewachsen. Er hat mich am Arm verwundet. Er hätte mich töten können, aber er hat darauf verzichtet. Statt dessen sind er und seine Begleiter abgerückt. Ich war verwundet, und Otto blieb bei mir, um mich zu beschützen. Aber Gundolf...«

Er sprach nicht weiter, aber nach einer Weile sagte Otto mit leiser, fast tonloser Stimme: »Er hat die Mörder verfolgt. Ich wollte ihn noch zurückrufen, aber er hat nicht auf mich gehört.«

»Zwei Männer aus dem Dorf fanden ihn am nächsten Morgen«, sagte Hark leise. »Bei der alten Kapelle.« Bei diesen Worten sah er Abbé an. »Er war tot. Sie haben ihn erschlagen.«

»Er hatte keine Chance, allein gegen vier«, fugte Otto grollend hinzu. »Es ist meine Schuld. Ich hätte ihn nicht allein gehen lassen dürfen.«

»Du wärst nur ebenfalls getötet worden«, sagte Gunthar. Seine Stimme war so leer wie seine Augen. Bei all den Lügen und Halbwahrheiten, die in den letzten Minuten in diesem Raum gesprochen worden waren, dachte Robin, war er vielleicht der einzige, dessen Kummer echt war.

»Das spielt keine Rolle«, antwortete Otto. »Ich war für sein Leben verantwortlich. Ich habe geschworen, Euer Leben und das Eurer Familie zu beschützen. Ich habe versagt.«

Abbé seufzte. »Das ist eine ... ungeheuerliche Geschichte«, sagte er. »Und zugleich eine schwere Anschuldigung, die du da vorbringst, Hark, darüber bist du dir doch im klaren.«

Hark nickte. Er hatte große Angst. »Aber... aber es ist... ist die Wahrheit, Herr«, stammelte er. »Das schwöre ich.«

»Niemand bezichtigt dich der Lüge«, sagte Abbé sanft. »Aber wir fragen uns, warum du mit dieser Geschichte ausgerechnet zu uns kommst.« Er wandte sich an Gunthar. »Ein offenes Wort, mein Freund. Ihr glaubt doch nicht etwa, daß wir irgend etwas damit zu tun haben?«

Gunthar antwortete nicht direkt auf diese Frage, und er sah Abbé auch nicht an, sondern starrte an ihm vorbei ins Leere - und dabei so genau in Robins Richtung, daß sie für einen Moment fast glaubte, er hätte sie in ihrem Versteck gesehen.

»Diese Komturei ist die einzige im Umkreis von sieben Tagesritten«, sagte er leise. »Und es waren Tempelritter, die das Dorf überfallen haben.«

Robin sah, wie sich Jeromés Hand auf das Schwert an seiner Seite senkte, aber Abbé kam ihm auch jetzt zuvor. »Und nun meint Ihr, wir wären an diesem feigen Überfall beteiligt gewesen?« Er seufzte. »Mein lieber Freund, ich kann Euren Schmerz verstehen. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Vater, als sein Kind zu verlieren. Aber ich bitte Euch, im Namen unserer alten Freundschaft, sagt mir, warum wir so etwas tun sollten! Es gibt keinen Grund! Elmstatt und wir sind in Freundschaft verbunden, seit diese Komturei besteht, und die braven Menschen in diesem Ort haben uns nichts getan!«

Gunthars Gesicht war wie Stein. »Sprich weiter, Hark«, sagte er.

»Ich habe... eines der Pferde«, murmelte Hark. »Das Pferd, das eines der Tempelritter ritt. Ich habe es schon einmal gesehen. Es... es war eine Schecke. Eher ein Pony und eigentlich viel zu klein, um einen Mann in Rüstung zu tragen.«

»Und?« fragte Jeromé.

»Ein solches Pferd steht draußen auf Eurer Weide, Abbé«, sagte Gunthar.

»Und was heißt das?« wollte Jeromé wissen. »Es gibt Dutzende solcher Schecken, wenn nicht Hunderte!«

»Nicht dieses ganz besondere Tier«, beharrte Gunthar. »Auch ich kenne es. Ich habe es oft genug gesehen. Es gehört Eurem Knappen, Abbé - wie war doch gleich sein Name?«

»Jan von Tronthoff.« Abbés Stimme blieb unverändert, aber seine Haltung versteifte sich ein wenig.

»Jan von Tronthoff... ja, ich erinnere mich. Ein freundlicher junger Mann. Ist er zufällig hier?«

»Ich fürchte nein«, antwortete Abbé.

»Aber Ihr könnt ihn ohne Zweifel herbeirufen lassen.«

»Auch das wird nicht möglich sein, fürchte ich«, sagte Abbé. »Gott dem Herrn hat es in seiner unergründlichen Gnade gefallen, Jan zu sich zu rufen.«

»Er ist tot.« Gunthar klang kein bißchen überrascht.

»Er bekam ein schlimmes Fieber und starb nach wenigen Tagen.« Abbé bekreuzigte sich. »Seither hat niemand mehr sein Pferd geritten. Ihr habt recht: Es ist nicht kräftig genug, um einen erwachsenen Mann in Rüstung und Waffen zu tragen.«

»Und doch hat Hark es gesehen«, sagte Gernot. »Und ich auch.«

»Das ist unmöglich«, sagte Jeromé scharf, und Abbé fügte in nur wenig versöhnlicherem Ton hinzu: »Es sei denn, jemand hätte es von unserer Weide gestohlen ...«

»... um es pünktlich am nächsten Morgen zurückzubringen.« Gernot lachte böse. »Was soll dieser Unsinn?«

»Hark hat dieses Pferd nicht erst vor zwei Tagen gesehen«, sagte Gernots Vater rasch. »Er kennt es schon länger. Ebenso wie seinen Reiter.«

»Was soll das heißen?« fragte Jeromé lauernd.

Gunthar wandte sich mit einem auffordernden Nicken an Hark. Es dauerte lange, bis der Bauer sprach, aber als er es tat, da sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus; fast als hätte er Angst, daß ihm die Kraft für einen zweiten Anlauf fehle.

»Da war dieser Tempelritter, Herr. Er... er kam seit drei Monaten, fast regelmäßig zweimal die Woche.«

»Dieser Tempelritter?« fragte Jeromé. »Von welchem Tempelritter redest du?«

Hark streifte Abbé mit einem nervösen Blick, ehe er antwortete. »Ich weiß es nicht. Ich meine, ich ... ich habe sein Gesicht nie gesehen und auch kein anderer in unserem Ort. Aber seinen Begleiter und... und vor allem sein Pferd.«

»Und was hat dieser Tempelritter drei Monate lang getan?« fragte Abbé.