Das klang so ehrlich und aufrichtig, daß Robin gar nicht anders konnte, als den schwarzhaarigen Jungen einen Moment lang bewundernd anzustarren. Dann blickte sie wieder das Schwert an, das Jan achtlos neben sich ins Gras gelegt hatte.
»Dein Herr ist ein Ritter«, murmelte sie.
»Ein Tempelritter sogar.« Robin kannte den Begriff nicht, aber so, wie Jan ihn aussprach, schien es sich dabei um etwas ganz Besonderes zu handeln. »So wie ich auch.«
»Du bist ein... Ritter?« Es gelang Robin nicht ganz, den Zweifel aus ihrer Stimme zu vertreiben, aber Jan lachte nur.
»Du glaubst, ich wäre zu jung dazu? Nun, du würdest dich wundern. Es gibt Könige, die jünger sind als du.«
»Das glaube ich nicht!« sagte Robin impulsiv.
»Aber es ist die Wahrheit.« Jan hatte ihren Blick bemerkt und nahm nun das Schwert in die Hand. Er drehte es herum und hielt ihr die Waffe mit dem Griff voran hin.
»Möchtest du es einmal anfassen?«
Robin war viel zu verdattert, um überhaupt antworten zu können. Sie hatte noch nie ein Schwert aus solcher Nähe gesehen, aber sie wußte natürlich, welch ungeheuren Wert eine solche Waffe darstellte - und ganz besonders diese Waffe. Soweit sie das beurteilen konnte, bestand der mit feinstem Leder umwickelte Griff aus kunstvoll besetztem Gold. Knauf, Schaft und auch die lederne Scheide waren mit grünen, blauen und roten Edelsteinen besetzt. Robin vermochte seinen Wert nicht einmal zu erahnen, aber ihr war klar, daß dieses Schwert einem sehr, sehr reichen Mann gehören mußte. Und einem entsprechend mächtigen.
»Nur zu, mein Freund«, sagte Jan aufmunternd. »Zieh es ruhig heraus. Es beißt nicht.«
Robin griff zögernd nach dem Schwertgriff, schloß die Hand darum und zog die Waffe aus ihrer Umhüllung. Es gab einen hellen, schleifenden Laut, ganz anders, als sie erwartet hatte. Fast wäre ihr das Schwert gleich wieder aus der Hand gerutscht, so schwer war es. Mit einem erschrockenen Ausrufnahm sie auch noch die zweite Hand zur Hilfe, um es Jan nicht vor die Füße knallen zu lassen. Der junge Ritter runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Ganz offensichtlich sonnte er sich in der Bewunderung, die sie dem prachtvollem Schwert - und damit auch ihm - zollte. Schließlich hielt er die Scheide in die Höhe und forderte sie mit einer Kopfbewegung auf, das Schwert hineinzuschieben.
»Sei vorsichtig«, sagte er. »Die Klinge ist sehr scharf.«
Das hatte Robin schon am eigenen Leib gespürt. Sie schob das Schwert behutsam in seine lederne Umhüllung zurück, und Jan legte die Waffe ins Gras.
»Also, was mache ich jetzt mit dir?« fragte er. »Das Treffen zwischen Helle und meinem Herrn muß auf jeden Fall geheim bleiben. Ich müßte dich eigentlich töten.«
Robin starrte ihn an. Mit einem Male war sie gar nicht mehr so sicher, daß Jan sich nur einen derben Scherz mit ihr erlaubte oder sie nur einzuschüchtern versuchte. Vielleicht waren Ritter so. Vielleicht stellten sie die Pflicht ja tatsächlich über ihr Gewissen oder das, was sie dafür hielten.
»Ich werde niemandem etwas sagen, das schwöre ich«, sagte sie feierlich.
»Die Frage ist nur, was der Schwur eines Bauerntölpels wert ist, der weder schreiben noch lesen kann und einen Gottesdienst vermutlich nicht von einer Schweinehatz unterscheidet«, antwortete Jan. Seine Hand strich währenddessen in einer fast zärtlichen Geste über das Schwert.
»Andererseits... irgend etwas sagt mir, daß du ein ehrlicher Bursche bist. Wenn du mir also dein Wort gibst, niemandem etwas zu verraten, dann könnte ich dich vielleicht am Leben lassen. Aber ich meine wirklich niemandem, verstehst du? Auch nicht deiner Mutter oder deinen Freunden.«
»Das verspreche ich«, sagte Robin hastig. »Ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist!«
»Ja«, knurrte Jan. »Fragt sich nur, was das wohl sein mag.« Er wedelte mit der Hand. »Also los. Ich habe zwar das Gefühl, daß ich es bereuen werde, aber verschwinde. Und schnell, bevor ich es mir anders überlege.«
Das ließ sich Robin nicht zweimal sagen. Sie sprang auf, wirbelte auf der Stelle herum und verschwand mit weit ausholenden Schritten in der Dunkelheit, so schnell sie nur konnte.
KAPITEL 2
Es hatte das erwartete Donnerwetter gegeben, und auch wenn ihre Mutter sie nicht geschlagen hatte, so war es doch schlimmer ausgefallen als erwartet. Am Schluß hatte Robin ihrer Mutter natürlich doch von Helle und dem fremden Ritter erzählt; schon, weil ihr Treffen mit dem jungen Tempelritter weitaus mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hatte und sie vor lauter Neugier schier platzte. Am Anfang hatte ihre Mutter ihr gar nicht geglaubt und ihr auf den Kopf zugesagt, daß sie sich das alles nur ausgedacht habe, um einer Bestrafung zu entgehen, aber nachdem Robin hartnäckig bei ihrer Geschichte blieb, wurde sie immer nachdenklicher und ernster. Schließlich hatte sie Robin aufgefordert, die ganze Geschichte noch einmal und in aller Ausführlichkeit zu erzählen, und nachdem sie das getan hatte, wurde sie noch stiller. Robin faßte all ihren Mut zusammen und fragte ihre Mutter, was Helle und der fremde Ritter denn nun eigentlich taten. Zu ihrer Überraschung hatte ihre Mutter dieses Mal nicht unwillig reagiert, sondern, im Gegenteil, gelacht. Dann war sie sehr ruhig geworden und hatte Robin beiseite genommen. Sie hatten lange und in einem für Robin neuen, sehr vertrauten Ton miteinander gesprochen. Danach wußte Robin eine Menge mehr über den Unterschied zwischen Männern und Frauen, der wohl doch größer war, als sie bisher angenommen hatte. Sie hatte längst nicht alles verstanden, denn ihre Mutter hatte oft in Andeutungen und Umschreibungen geredet, und den meisten direkten Frage war sie ausgewichen, fast als wäre ihr die Antwort peinlich. Immerhin hatte sie begriffen, daß es da noch eine ganz andere, aufregende und vielleicht sogar ein bißchen verbotene Welt zu entdecken gab.
Und schon drei Tage später hatte sie Jan wiedergesehen.
Diesmal war es ganz und gar kein Zufall. Im Gegenteiclass="underline" Robin, die das Gefühl hatte, an einem wichtigen Wendepunkt ihres Leben angelangt zu sein, war nun wild entschlossen, auch die letzten Geheimnisse des Lebens zu ergründen. Jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang versteckte sie sich am Dorfrand und wartete auf Helle, und schon am dritten Tag wurde ihre Geduld belohnt, als die hübsche junge Frau erschien und sich aus dem Ort schlich. Robin folgte ihr, und eine halbe Stunde später verschwand Helle in dem verlassenen Gotteshaus. Robin wartete, bis Jan wieder herauskam, um ihn anzusprechen.
Wie sie erwartet hatte, war er alles andere als begeistert, sie wiederzusehen. Aber immerhin bedrohte er sie nicht mehr mit dem Schwert, und er machte auch keine Anstalten, ihr den Kopf abzureißen.
Ganz im Gegenteiclass="underline" Er war sogar froh, sie zu sehen. Immerhin hatte er nichts anderes zu tun, als herumzusitzen und darauf zu warten, daß das Treffen zwischen Helle und seinem Herrn seinem Höhepunkt und damit auch seinem Ende zutrieb - was meistens zwei oder auch schon mal drei Stunden dauern konnte. Ihn plagte schlichtweg die Langeweile, und dazu kam, daß Robin keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für ihn machte. Immerhin war er ein richtiger Ritter, und wer aus dem Dorf konnte sich schon rühmen, einen der Krieger Gottes persönlich zu kennen?
Wie sich zeigte, trafen sich Helle und Jans Herr regelmäßig zweimal die Woche - immer dienstags und freitags. Wie selbstverständlich folgten auch Robins und Jans Begegnungen diesem Rhythmus. Robin überschüttete den jungen Tempelritter nur so mit Fragen, die er allesamt geduldig und sehr ausführlich beantwortete. Robin begriff rasch, daß Jan große Freude daran hatte, Geschichten zu erzählen. Und er kannte eine Menge spannender Geschichten! Er erzählte von seiner Erziehung zum Ritter, von wilden Kämpfen und abenteuerlichen Reisen und vor allem von Outremer, dem Königreich Gottes im Heiligen Land. Robin klebte geradezu an seinen Lippen und sog jedes Wort in sich auf, und im Laufe der Zeit geschah etwas Erstaunliches: Ihre Welt wurde größer. Zwar begann sie nach einer Weile zu argwöhnen, daß vielleicht nicht alles stimmte, was Jan ihr erzählte - der schwarzhaarige Ritter war gerade einmal siebzehn Jahre alt und somit zwar schon Manns genug, um an der Seite anderer Ritter in die Schlacht zu reiten und gegen die Heiden zu kämpfen, aber zugleich auch noch genug Kind, um sich in der Bewunderung eines Jüngeren zu sonnen und seine eigenen Heldentaten vielleicht etwas mehr herauszustreichen, als angemessen war.