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Die Zeit, in der Abbé und die fünf anderen Tempelritter in Rüstungen und Waffen herauskamen, um zu üben, hielt sie es überhaupt nicht im Bett. Dann stand sie für eine ganze Weile wie fasziniert am Fenster, ohne auch nur einmal den Blick vom Hof zu wenden Für jeweils eine halbe Stunde schien sich der Hof in die Festung zu verwandeln, die sie erwartet hatte. Statt von Hundegebell und dem Meckern der Ziegen hallten die weißgetünchten Wände in dieser Zeit vom Klirren der Waffen und den dumpfen Schreien der Männer wider, und Robin vermochte manchmal nicht zu sagen, ob sie wirklich nur einer Übung zusah oder aus dem Spiel für kurze Augenblicke doch manchmal Ernst wurde. Besonders Abbé und Jeromé attackierten sich manchmal mit einem Ungestüm, das Robin erschreckte; einmal sogar so wütend, daß die anderen Ritter sie voneinander trennen mußten.

Und das war längst nicht alles. Es war der einzige sichtbare Vorfall, aber Robin konnte die Nervosität und Anspannung, die sich über die Komturei gelegt hatte, fast mit Händen greifen. Vielleicht war es wieder ihre Gabe, die sie vor kommendem Unheil warnte, vielleicht aber hatte etwas in ihr nur zwei und zwei zusammengezählt und die Gefahr erkannt, die ihnen allen drohte.

Es war am Abend des sechsten Tages, den sie in der Komturei zubrachte. Unter ihr im Hof prallten klirrend die Waffen der Tempelritter zusammen, und in längstens einer halben Stunde würde die Sonne untergehen. Die Schatten waren bereits länger geworden, und der Tag verabschiedete sich mit drückender Schwüle, der vielleicht später in der Nacht ein Sommergewitter folgen würde. Robin hoffte es fast. Selbst hier oben, hinter den dicken Mauern des Turms, war es unerträglich warm, und das schwere Büßergewand, das Abbé ihr gegeben hatte, machte es noch schlimmer.

Außerdem liebte sie Gewitter. Sie hatte niemals Angst vor Blitz und Donner gehabt, nicht einmal als kleines Kind, sondern war oftmals in den strömenden Regen nach draußen gelaufen, um sich darin auszutoben. Für Robin lag in dem Wüten der entfesselten Naturgewalten niemals eine Bedrohung, sondern, im Gegenteil, etwas Ehrerbietiges. Sie spürte die Urgewalt der Schöpfung im grellen Gleißen der Blitze und dem Rollen des Donners, aber sie spürte genauso, daß diese ungeheuerliche Kraft ihr nicht feindlich gesonnen war, aber auch nicht freundlich, sondern einfach da war; eine gewaltige Macht, die die gesamte Welt umspannte, von der auch sie ein Teil war. Auch wenn sie nicht verstand, wie.

»Du siehst ihnen wieder beim Kämpfen zu.« In Salims Stimme schwang ein schwacher Tadel mit, allerdings auch ein sehr viel größerer Anteil von Resignation. Er war schon vor einigen Minuten hereingekommen. Robin hatte es gehört, sich aber ganz bewußt nicht zu ihm umgedreht. Salim wußte recht gut, daß sie schon lange wieder weit genug bei Kräften war, um nicht den ganzen Tag im Bett verbringen zu müssen. Es war eine Art Spiel zwischen ihnen, das sie mittlerweile amüsierte.

Der Tuareg trat mit leisen Schritten neben sie. Der schwere Stoff seines dunkelbraunen Mantels raschelte, als sich ihre Schultern berührten. Robin hätte Platz genug gehabt, ihm auszuweichen, tat es aber nicht. Obgleich sie sich nicht einmal eine Woche kannten, empfand sie ein Gefühl des Vertrauens ihm gegenüber, das sie zuvor höchstens in der Nähe ihrer Mutter verspürt hatte, und vielleicht - ansatzweise - in der Jans.

Sie standen eine Weile stumm nebeneinander und beobachteten den vorgetäuschten Kampf der Tempelritter. Salim sagte: »Ist dir aufgefallen, daß Jeromé und Bruder Abbé seit zwei Tagen nicht mehr gegeneinander antreten?« Er lachte hart. »Wahrscheinlich haben die anderen Angst, daß sie sich gegenseitig in kleine Stücke hacken.«

Sie nickte. Zumindest einmal waren die beiden Tempelritter ernsthaft aufeinander losgegangen, und sie hatte schließlich mit eigenen Augen gesehen, welch furchtbaren Schaden schon ein einziger Hieb eines der mächtigen Breitschwerter anrichten konnte; von der noch viel furchtbareren Waffe der Templer, dem Morgenstern, ganz zu schweigen.

»Gönnen würde ich es ihm fast«, sagte Salim. Robin sah ihn fragend an, und Salim griff wie selbstverständlich nach ihrer Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen. Er hatte das noch nie getan. Da er praktisch nicht von ihrer Seite wich, blieb es nicht aus, daß sie sich manchmal berührten, aber diese kleine Geste jetzt war irgendwie ... anders. Robin erschauerte leicht.

»Jeromé«, fuhr Salim fort. »Abbé sollte ihm den Schädel einschlagen - oder ihn wenigstens windelweich prügeln, diesen dreimal vermaledeiten Dummkopf.«

Robins Blick wurde noch fragender. Mit der freien Hand signalisierte sie ihm in ihrer gemeinsamen Zeichensprache ein Warum?

Diesmal zögerte der Tuareg zu antworten. Bevor er es tat, warf er einen langen, prüfenden Blick auf den Hof hinab - beinahe als furchte er, daß die kämpfenden Tempelritter dort unten seine Worte hören könnten.

»Ich glaube, dir ist gar nicht klar, was dieser Narr getan hat«, sagte er schließlich. »Wenn es sich wirklich so verhält, wie es den Anschein hat, dann bleibt Gernot von Elmstatt und seinem Bluthund Otto gar keine andere Wahl, als dich zu töten - bevor du die Sprache zurückerlangst. Abbé hat mir strengstens verboten, mit dir darüber zu sprechen, aber verdammt noch mal, ich bin es dir einfach schuldig.«

Er sagte ihr absolut nichts Neues. Hätte sie es nicht ohnehin gewußt, dann hätte sie dieselben Worte vor drei Tagen in Ottos Augen gelesen. Elmstatts Waffenmeister konnte sie nicht am Leben lassen - nicht mit dem, was sie gehört und vor allem gesehen hatte. Sie machte sich über diesen Umstand im Moment allerdings keine allzu großen Sorgen. Solange sie sich in der Komturei befand, war sie in Sicherheit. Und danach... Sie dachte den Gedanken nicht zu Ende. In den letzten Tagen war so viel Neues und zum größten Teil Schlimmes über ihr Leben hereingebrochen, daß sie es aufgegeben hatte, über die Zukunft nachdenken zu wollen. Es war müßig.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte Salim: »Hab keine Angst. Solange du hier bist, kann dir nichts geschehen. Nicht einmal Otto ist verrückt genug, einen Angriff auf eine Komturei zu wagen.« Seine Stimme wurde leiser. »Solange du hier bist.«

Solange ich hier bin?

»Nicht alle sind begeistert von deiner Anwesenheit«, beantwortete Salim die unausgesprochene Frage, die er wohl in ihren Augen gelesen hatte. »Ginge es nach Xavier und Heinrich, dann hätten wir dich schon vor drei Tagen fortgebracht. Es gibt ein Kloster, nur einen halben Tagesritt von hier entfernt, in dem sich fromme Männer um die Kranken und Verwundeten kümmern. Einige hier sind der Meinung, daß du dort besser aufgehoben wärst.« Er drückte ihre Finger und lächelte aufmunternd. »Keine Angst. Ich lasse nicht zu, daß sie dich wegschicken.«

Wie wollte er es verhindern? dachte Robin. Salim war hier im Grunde weniger als sie - ein Sklave, dem Bruder Abbé aus einer Laune heraus ein gewisses Maß an Freiheit gestattete, dessen Meinung aber gar nichts zählte. Aber sie spürte die gute Absicht hinter seinen Worten. Es tat wohl, jemanden in ihrer Nähe zu wissen, der es ganz uneigennützig einfach gut mit ihr meinte.

»Außerdem kann ich dich gar nicht gehen lassen«, fuhr Salim fort. »Nicht, bevor du mir nicht zurückgegeben hast, was mir gehört.«

Es war nicht das erste Mal, daß er das sagte, und Robin wußte auch, daß sie sich jede entsprechende Frage sparen konnte - er würde ihr auch diesmal nicht erklären, was er damit meinte. Sie schnitt ihm eine Grimasse, auf die Salim mit einem übertrieben gespielten zornigen Blick reagierte. Dann lachte er, schüttelte den Kopf und sah demonstrativ wieder auf den Hof hinab.