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Als Abbé den Arm hob, um seinen Begleitern das Zeichen zum Aufbruch zu geben, stürmte Salim tief unter ihr aus dem Turm und rannte mit wehendem Mantel und heftig wedelnden Armen auf die Tempelritter zu. Robin war überrascht, zu sehen, daß Abbé sein Pferd noch einmal zügelte und sich zu dem Tuareg hinunterbeugte, um mit ihm zu reden. Salim schien nicht begeistert zu sein von dem, was er hörte. Er deutete ein paarmal aufgeregt zum Turm hinauf und gestikulierte dabei immer heftiger, und auch Abbés Bewegungen drückten seinen Unmut immer deutlicher aus. Es war nicht zu übersehen, daß sie in einen heftigen Streit geraten waren - was Robin einigermaßen seltsam vorkam. Salim war nur ein einfacher Sklave, und Abbé und seine Begleiter in sichtlicher Eile. Wieso wies er ihn nicht einfach in seine Schranken oder ließ ihn kurzerhand stehen?

Bruder Abbé tat nichts dergleichen, sondern debattierte statt dessen noch eine geraume Weile weiter mit dem Tuareg, und schließlich war nicht er, sondern Salim es, der das Gespräch beendete und sich wieder herumdrehte - vielleicht aus keinem anderen Grund als dem, daß es mittlerweile stärker zu regnen begonnen hatte. Als die Reiter endlich ihre Pferde in Bewegung setzten und sich dem Tor näherten, stürzte das Wasser bereits vom Himmel, und es war spürbar kälter geworden. Am Horizont flackerten die Blitze in immer rascherer Folge, und die Donnerschläge krachten jetzt so kurz hintereinander, daß es fast wie ein einziges, ununterbrochen grollendes Rumpeln und Dröhnen klang.

Robin zog sich wieder ins Zimmer zurück, wischte sich das nasse Haar aus der Stirn und versuchte, sich über ihre widersprüchlichen Gefühle klarzuwerden. Ihr Innerstes war noch immer in Aufruhr. Vielleicht redete sie sich ja auch alles nur ein. Seit gut einer Woche befand sie sich in einem Ausnahmezustand. In diesen wenigen Tagen war beinahe mehr geschehen als in den fünfzehn Jahren ihres gesamten Lebens zuvor. Sie durfte jetzt nicht anfangen, in jeder kleinen Geste eine Verschwörung und hinter jedem Schatten einen Hinterhalt zu vermuten.

Sie sah nervös zur Tür, sagte sich aber plötzlich, daß Salim noch gar nicht zurück sein konnte. In den letzten Tagen hatte sie sich mehr als einmal gewünscht, wenigstens für eine oder zwei Stunden allein zu sein. Jetzt sehnte sie Salims Rückkehr herbei. Selbst Bruder Tobias mit seinem dreimal vermaledeiten Kräutertee wäre ihr in diesem Moment lieber gewesen als die Einsamkeit, die ganz plötzlich zu ihrem Feind geworden war.

Ein plötzliches, blauweißes Flackern erhellte die Kammer und ließ Robin erschrocken die Augen zusammenpressen. Als es erlosch, war die Dunkelheit ungleich intensiver. Der dazugehörige Donnerschlag erfolgte fast augenblicklich. Das Gewitter schien nun fast unmittelbar über der Komturei zu toben.

Trotzdem ging sie noch einmal zum Fenster, hob schützend die Hand vors Gesicht und sah hinaus. Der Hof war menschenleer. Der Wind war nicht nur spürbar kälter geworden, sondern hatte deutlich an Kraft zugenommen und peitschte den Regen in dichten Schwaden über den Hof; wie große, silberne Spinnweben, die beständig ihre Form wechselten. Eine einsame Gestalt in einer vor Nässe triefenden Kutte hastete mit gesenktem Kopf durch den Regen, das war alles.

Als Robin vom Fenster zurücktrat und sich herumdrehte, erhellte ein weiterer, greller Blitz die Kammer. In dem jäh auflodernden weißblauen Licht erkannte sie eine riesenhafte, schwarze Gestalt, die im Türrahmen erschienen war und drohend auf sie herabsah.

Robin prallte erschrocken zurück, schlug die Hand vor den Mund und schalt sich gleich darauf in Gedanken eine Närrin. Natürlich war es weder ein Riese noch ein Dämon, sondern nur Salim, der zurückkam, um ihr Bericht zu erstatten. Licht und Schatten hatten ihre Augen genarrt, das war alles. Sie atmete erleichtert auf und machte einen Schritt auf den Tuareg zu, und die faustgroße Eisenkugel eines Morgensterns schlug Funken und Steinsplitter genau dort aus der Wand, wo sich ihr Kopf befunden hätte, wäre sie stehengeblieben.

Robin keuchte vor Schrecken, warf sich zur Seite und prallte schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Bettkante. Sie strauchelte, versuchte ihren Sturz abzufangen und warf sich dann statt dessen mit aller Kraft nach vorne, als sie spürte, daß es ihr nicht gelingen würde. Sie vollführte eine mehr unfreiwillige, trotzdem aber sehr schnelle Rolle übers Bett, in dem sie die letzten sechs Nächte verbracht hatte, griff Halt suchend um sich und landete einen halben Meter tiefer auf dem harten Steinboden. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen, aber der Sturz rettete ihr vermutlich das Leben, denn der Angreifer hatte keineswegs aufgegeben. Der Morgenstern sauste wuchtig auf das Bett hinab und zertrümmerte es. Holzsplitter, zerrissener Stoff und Stroh regneten auf sie herab, und zum ersten Mal gab der unheimliche Angreifer einen Laut von sich: Ein unwilliges Knurren, wie das eines tollwütigen Hundes, dem seine schon sicher geglaubte Beute im letzten Moment doch noch zu entkommen drohte.

Irgendwie gelang es Robin, wenigstens halbwegs auf die Füße zu kommen, während der Angreifer noch damit beschäftigt war, seine Waffe aus den Überresten des zusammengebrochenen Bettes zu befreien. Sie stolperte in Richtung Tür, prallte im Dunkeln und orientierungslos vor Angst erneut gegen ein Hindernis und wurde zur Seite geworfen. Hinter ihr näherten sich schwere Schritte. Metall klirrte. Robin warf sich blindlings zur Seite, zog den Kopf zwischen die Schultern und betete, daß sie die richtige Richtung gewählt hatte. Der Morgenstern zertrümmerte den Tisch, gegen den sie gerade gestolpert war, und erneut hörte sie dieses wütende, fast tierhafte Knurren.

Das Flackern eines Blitzes zeigte ihr, daß sie auf dem besten Wege war, gegen die Wand neben der Tür zu rennen. Sie warf sich blitzschnell nach links, spürte eine Bewegung hinter sich und wurde von etwas an der Schulter getroffen; nicht der tödlichen Wucht des Morgensterns, sondern etwas Weicherem, dessen Wucht aber trotzdem ausreichte, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen und ungeschickt gegen die Wand prallen zu lassen; vermutlich eine Hand. Robin rollte keuchend herum, riß die Arme vor das Gesicht und sah die Gestalt des Angreifers riesig und verzerrt über sich emporwachsen. Sein Gesicht war mit einem schwarzen Tuch maskiert, so daß sie es nicht erkennen konnte, aber seine Augen blickten mit einer Mischung aus Haß und kalter Entschlossenheit auf sie herab.

Robin wollte sich zur Seite werfen, aber der Mann stieß sie mit solcher Kraft wieder gegen die Wand, daß ihr die Luft wegblieb. Er war zu nahe, um seine heimtückische Waffe einzusetzen, also schlug er ihr mit der flachen Hand so wuchtig ins Gesicht, daß ihr Kopf gegen die Wand prallte und sie halb benommen in die Knie sank. Er schob den Morgenstern unter seinen Gürtel und zog statt dessen einen schmalen, beidseitig geschliffenen Dolch mit einer mehr als handlangen Klinge. Mit einer raschen Bewegung griff er brutal in ihr Haar, riß sie daran in die Höhe und zielte mit dem Dolch in der anderen Hand auf ihr Herz.

Robin trat nach seinem Knie. Sie traf, aber da er unmittelbar vor ihr stand, tat sie ihm wahrscheinlich nicht einmal weh. Immerhin brachte sie ihn aus dem Gleichgewicht, und da sie im gleichen Moment in einer verzweifelten Bewegung den Oberkörper zur Seite drehte, traf das Messer nicht ihr Herz, sondern schrammte nur an ihrem Oberarm entlang und hinterließ eine heftig brennende Spur auf ihrer Haut. Der Kerl grunzte wütend, ließ ihr Haar los und versuchte statt dessen, nach ihrem Gesicht zu greifen.

Robin biß ihm in die Hand. Ihre Zähne gruben sich in seine Finger und preßten mit aller verzweifelten Kraft zu. Der Mann brüllte vor Schmerz, warf sich zurück und versuchte sich loszureißen, aber Robin biß nur noch kräftiger zu. Sie schmeckte Blut und konnte spüren, wie seine Knochen unter dem Druck ihrer Kiefer knackten, und vermutlich hätte sie ihm tatsächlich einen oder gar mehrere Finger abgebissen, hätte er ihr nicht in diesem Moment mit der anderen Hand einen Hieb vor die Schläfe versetzt, der ihr fast das Bewußtsein raubte.