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Der Anblick des auf den Tod daliegenden Mönches zog Robin das Herz zusammen. Tobias hatte das Bewußtsein verloren, was ihm zumindest den schlimmsten Schmerz ersparte, aber niemand konnte sagen, ob er noch einmal aufwachen würde. Sein Gesicht war weiß, nicht blaß, sondern weiß, und seine Brust hob und senkte sich in schnellen, unregelmäßigen Atemzügen. Kalter, feinperliger Schweiß bedeckte seine Stirn, und er roch schlecht; nach Krankheit und Leid.

Robin spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, aber sie hatte in diesem Moment nicht einmal die Kraft, die Hand zu heben und sie wegzuwischen. Es war ihre Schuld. Tobias hätte dem Mörder mit Leichtigkeit entkommen können, aber er hatte es nicht getan, sondern sich im Gegenteil ganz bewußt geopfert, damit sie eine Chance hatte. Er mußte gewußt haben, daß er dem viel größeren und bewaffneten Angreifer nicht gewachsen war.

Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie starrte auf den frischen, aber trotzdem bereits schon blutgetränkten Verband über seiner Brust, und ihr war, als hätte sie selbst den Dolch genommen und den alten Mönch niedergestochen.

Salim legte ihr die Hand auf die Schulter. »Hab keine Angst«, sagte er. »Er wird es schaffen. Ich kenne Tobias. Er ist ein zäher alter Bursche, den so schnell nichts umbringt.«

Einer der Männer, die sich um Tobias kümmerten, hob kurz den Kopf und sah den Tuareg an. Er sagte nichts, aber sein Blick erzählte dafür um so mehr. Und es war etwas vollkommen anderes als das, was Salim gesagt hatte.

»Komm«, sagte Salim leise. »Wir können hier nichts tun. Lassen wir die Brüder ihre Arbeit tun.«

Die wahrscheinlich nur aus einer vorgezogenen Totenwache bestand, dachte Robin bitter. Viele Mönche hier verstanden ein wenig davon, Wunden und Verletzungen zu behandeln. Abbé und die anderen übten fast täglich mit ihren Waffen, und es verging nicht eine Woche, in der nicht mindestens einer der Männer eine kleine oder größere Blessur davontrug, so daß ein kleiner Schnitt, eine Prellung oder auch schon mal ein gebrochener Knochen nichts Besonderes darstellten. Aber Tobias war wirklich schwer verletzt, und er war der einzige hier, der wirklich etwas von der Heilkunst verstand. Er würde sterben, wenn nicht ein Wunder geschah.

Als sie auf dem Weg nach unten waren, sagte Salim: »Ich war oben in deiner Kammer. Ich verstehe nicht so ganz, wie du überhaupt da rausgekommen bist. Es muß ein höllischer Kampf gewesen sein.«

»Glück«, krächzte Robin.

»Glück«, wiederholte Salim auf eine sonderbare, nachdenkliche Art. Dann schüttelte er den Kopf. »Das hatte nichts mit Glück zu tun. Ich hatte Zeit genug, dich zu beobachten. Du hast jeden Tag am Fenster gestanden und den Rittern bei ihren Übungen zugesehen. Ich wette, du hast nicht eine Stunde verpaßt.«

Das war übertrieben, traf aber den Kern der Sache. Sie hatte tatsächlich sehr oft dagestanden und den Rittern bei ihren Waffenübungen zugesehen, von einer Faszination erfüllt, die sie selber vielleicht am allerwenigsten begriff.

»Es bereitet dir Freude, nicht?« fragte Salim. »Du siehst einem guten Kampf gerne zu, habe ich recht? Ich meine: Du bist nicht wie die meisten Weiber, denen beim Anblick eines Mannes das Blut aus dem Gesicht weicht, und die sich in die Hosen machen, wenn sie ein blankgezogenes Schwert sehen - und übrigens nicht nur Frauen.«

Nein, das war sie gewiß nicht. Gerade in den letzten Tagen hatte sie mehr als einmal mit ansehen müssen, welch furchtbare Dinge Waffen in den falschen Händen anzurichten vermochten, aber das hatte keineswegs dazu geführt, daß sie nun Angst davor hatte. Ganz im Gegenteiclass="underline" Sie hatte endgültig begriffen, daß es nicht die Waffen waren, die den Schaden anrichteten, sondern stets nur die Hände, die sie führten.

»Wenn du willst, bringe ich es dir bei«, sagte Salim.

Sie sah ihn fragend an. Was?

»Kämpfen.« Salim machte eine wedelnde Handbewegung. »Du hast Talent dafür. Ich weiß das.«

»Woher?«

»Ich bin ein Krieger, und ein wahrer Krieger spürt eine verwandte Seele. Du bist eine Frau, aber du hast das Herz eines Kämpfers. Bruder Abbé weiß das auch. Er hat mir erzählt, wie du dich in der Kirche verhalten hast, als dieser Verrückte euch angegriffen hat.«

Robin blieb überrascht stehen. »Er hat dir...«

»Davon erzählt, ja.« Salim nickte mehrmals hintereinander. »Das wundert dich. Bruder Abbé und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Ich bin sein Sklave. Jeder andere an deiner Stelle wäre einfach vor Angst erstarrt oder schreiend davongelaufen. Du nicht. Du bist ihm nachgelaufen und hast ihm sein Schwert zugeworfen, so daß er sich dieses Verrückten erwehren konnte.«

Robin starrte ihn an. Salim wußte von Abbés Geheimnis? Niemand in der Komturei wußte davon, nicht einmal Jeromé und die anderen Ritter. Abbé riskierte einen Krieg, damit sein Geheimnis gewahrt blieb - und er sollte es so einfach einem Sklaven erzählt haben? Unmöglich! Und plötzlich mußte sie wieder daran denken, wie sich Abbé und Salim am vergangenen Abend gestritten hatten, und an den respektlosen Ton, den der Tuareg manchmal Abbé gegenüber anschlug - allerdings immer nur, wenn sie allein waren.

»Ich werde mit Abbé darüber reden.« Salim ging weiter. »Wir werden keinen Ritter aus dir machen, aber vielleicht kann ich dir ein paar Tricks beibringen, damit du dich deiner Haut zu wehren weißt. Das kann nie schaden.«

Sie verließen den Turm und traten in die Dämmerung hinaus. Es war noch nicht richtig hell. Die Gebäude ringsum waren wieder zu bleichen Schemen geworden, die im grauen Zwielicht mehr zu erahnen als zu sehen waren, in denen nun aber zahlreiche rote und gelbe Augen flackerten. Hinter fast jedem Fenster brannte Licht, als hätten die Geschehnisse der vergangenen Nacht die Menschen hier mit einer plötzlichen Angst vor der Dunkelheit erfüllt. Der Regen hatte Kälte und einen Hauch alles durchdringender Feuchtigkeit zurückgelassen, und er hatte den Hof in einen rechteckigen, schmutzigen See verwandelt, aus dem nur hier und da der Gipfel einer schlammigen Insel ragte.

Robin rieb sich fröstelnd die Oberarme. Bald würde die Sonne aufgehen, und gewiß würde es wieder warm, vielleicht sogar heiß werden, genau wie an den Tagen zuvor, aber im Moment fror sie. Ihr Gewand war noch immer klamm, und die Erschöpfung tat ein übriges. Auch sie hatte in dieser Nacht nicht geschlafen, dafür aber große Gefahren überstanden und noch größere Anstrengungen. Und auch wenn sie es weiter beharrlich leugnete - es war ein höllischer Kampf gewesen, den sie im Grunde nicht hätte überleben dürfen.

»Sie kommen zurück!«

Robin legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zur Turmspitze hinauf. Eine winzige Gestalt war in einem der erleuchteten Fenster im obersten Stockwerk erschienen und deutete heftig gestikulierend nach Westen. Offenbar war irgend jemand in der Komturei wenigstens jetzt auf den Gedanken gekommen, eine Wache aufzustellen.

»Abbé«, sagte Salim stirnrunzelnd. »Das ist schlimm. Er wird wenig begeistert sein zu hören, was passiert ist, und noch weniger, wenn ihm klar wird, daß er übertölpelt wurde.«

»Übertölpelt?«

Salim lachte humorlos. »Glaubst du, es ist ein Zufall, daß sie ausgerechnet gestern Abend weggerufen wurden? Ganz gewiß nicht! Sie wurden weggelockt - damit der Attentäter leichtes Spiel hat!«

»Womit?« fragte Robin mühsam. Jedes Wort fiel ihr jetzt schwerer, und ihre Kehle schmerzte ununterbrochen. Sie durfte noch nicht zuviel von ihrer gerade erst zurückgewonnenen Stimme verlangen. Wenn sie ihr noch einmal den Dienst aufkündigte, dann vielleicht für immer.

»Das weiß ich nicht«, antwortete Salim. »Abbé wollte es mir nicht sagen - und er hat auch Helge verboten, mit mir zu reden. Gehen wir ihm entgegen und fragen ihn.« Er deutete zum Tor, blieb aber nach einem einzigen Schritt wieder stehen und sah Robin nachdenklich an.