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»Vielleicht ist es besser, wenn wir ihm noch nicht verraten, daß du wieder sprechen kannst... wenigstens nicht gleich.«

Robin nickte. Dieses Versprechen abzugeben fiel ihr nicht schwer. Ihr Hals fühlte sich an, als wäre er mindestens auf das Doppelte seines normalen Umfangs angeschwollen. Wahrscheinlich konnte sie im Moment gar nicht reden, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Sie machten sich auf den Weg zum Tor, aber sie hatten kaum mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als Bruder Abbé und die anderen Tempelritter auch schon in gestrecktem Galopp durch das Gewölbe hereinsprengten. Unter den wirbelnden Hufen ihrer Pferde spritzten Wasser und Schlamm so hoch, daß ihre Gestalten kaum zu erkennen waren. Trotzdem sah Robin beinahe sofort, daß mit dem halben Dutzend Reitern etwas nicht stimmte. Etwas stimmte sogar ganz und gar nicht mit ihnen...

Salim und sie begannen im gleichen Augenblick zu rennen.

Die Templer galoppierten bis zur Mitte des Hofes und brachten ihre Pferde dann so abrupt zum Stehen, daß sich zwei der Tiere mit einem protestierenden Wiehern aufbäumten. Die Reiter befanden sich in einem bemitleidenswerten Zustand. Ihre Kleider waren verdreckt und hingen in Fetzen, und längst nicht alles Rot auf den weißen Gewändern war das der aufgestickten Tatzenkreuze. Die Reiter kehrten geradewegs aus einer Schlacht heim. Einer der Männer sank hilflos nach vorne und brach über dem Hals seines Pferdes zusammen, und Bruder Abbé - der einzige, den sie aufgrund seiner untersetzten Gestalt trotz des geschlossenen Helmes erkannte - glitt mit einer hastigen Bewegung aus dem Sattel und wandte sich heftig gestikulierend an Salim. Hinter ihm flogen die Türen des Haupthauses auf, und eine Anzahl graugekleideter Gestalten näherte sich ihnen im Laufschritt.

»Salim!« schrie Abbé. »Lauf und hol Bruder Tobias! Ferdinand ist schwer verwundet! Schnell! Es geht um jede Minute!«

»Tobias wird nicht kommen«, antwortete Salim. »Es gab einen Anschlag auf Robins Leben. Sie konnte entkommen, aber Tobias ist schwer verwundet. Er wird vielleicht sterben.«

»Ein Anschlag? Wer... ?«

Salim schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. Salim ihm, nicht etwa umgekehrt. »Was ist passiert? Wurdet ihr angegriffen?«

»Es war eine Falle«, antwortete Abbé, sprach jedoch nicht sofort weiter, sondern drehte sich mit einer abrupten Bewegung herum und wandte sich an die Männer, die in immer größerer Anzahl aus dem Haus gelaufen kamen. »Kümmert euch um Ferdinand! Aber seid vorsichtig. Und bringt trockenes Holz und Steine! Verschließt das Tor und alle äußeren Fenster, und schickt eine Wache auf den Turm! Wir müssen mit einem Angriff rechnen!«

»Ein Angriff?« Salims Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was soll das heißen? Abbé!«

»Es war eine verdammte Falle«, sagte Abbé düster.

»Sie haben euch von hier weggelockt«, bestätigte Salim, aber Abbé schüttelte zornig den Kopf.

»Wenn das alles wäre!« Er ballte die rechte Hand zur Faust, sah sich wild um, als suche er etwas, was er zerschmettern konnte, und ließ den Arm dann mit sichtlicher Anstrengung wieder sinken. Sein Blick flackerte, als er Robins Gesicht streifte. Er drehte sich ganz zu ihr herum, legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte mit leiser, mitfühlender Stimme: »Es... tut mir leid, Kind, aber ich fürchte, ich habe schlimme Nachrichten. Dein Dorf. Deine Leute. Sie ... sind alle tot.«

»Tot?« keuchte Salim. »Was ist passiert?«

Robin starrte Abbé an. Sie hatte durchaus verstanden, was er sagte, aber es war, als ginge es sie gar nichts an. Sie wartete darauf, daß sie irgend etwas empfand - Schrecken, Kummer, Schmerz oder wenigstens Zorn - aber es war genau wie an jenem furchtbaren Abend vor einer Woche, als sie in die Flammen ihres brennenden Elternhauses gestarrt hatte. In ihr war nichts als jene schreckliche, saugende Leere.

»Helge kam gestern abend«, begann Abbé. »Er erzählte, daß einer der Bauern einen großen Trupp Bewaffneter gesehen hätte. Wir stießen auf ihre Spuren und folgten ihnen. Sie führten geradewegs zu Robins Dorf. Aber wir sind zu spät gekommen. Es ist niedergebrannt. Alle, die darin gelebt haben, wurden erschlagen. Sie sind... alle tot.«

»Tot? Wer hat das getan?«

Abbé schnaubte. »Wir«, antwortete er. »Zumindest wird jedermann das glauben.« Er drehte sich herum, ging zu seinem Pferd und nahm ein Stück blutgetränkten Stoff aus der Satteltasche. Es kostete Robin einige Mühe zu erkennen, daß es nicht nur ein beliebiger Fetzen war, sondern vielmehr ein Stück aus einem weißen Überwurf, auf den ein rotes Kreuz mit gespaltenen Enden gestickt war.

»Das lag irgendwo zwischen den Ruinen«, sagte er. »Und noch mehr davon. Ein zerbrochener Dolch mit unserem Siegel, ein blutiger Handschuh, wie wir sie tragen...« Er warf den Fetzen zu Boden und stampfte ihn mit dem Absatz in den Morast. »Jemand hat sich große Mühe gegeben, Beweise zu hinterlassen, wer für diese Greueltat verantwortlich ist.«

»Aber das ist doch ... Unsinn«, murmelte Salim stockend. »Ich meine: Es... es ist doch ein Leichtes, nachzuweisen, daß diese Dinge nicht aus Eurem Besitz stammen.«

»Es kommt noch schlimmer«, sagte Abbé düster. »Wir haben das Dorf gründlich durchsucht, in der Hoffnung, vielleicht doch noch einen Überlebenden zu finden. Wir hatten keinen Erfolg, aber gerade, als wir aufsitzen und wieder zurückreiten wollten, tauchten Gunthar von Elmstatt und sein Sohn auf - zusammen mit ungefähr zwanzig Bewaffneten. Sie haben uns sofort angegriffen, ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen. Wir konnten ihnen entkommen, aber Ferdinand wurde von einem Speer getroffen, und außer mir sind fast alle anderen verletzt.«

»Haben sie euch verfolgt?« fragte Salim.

»Nur ein kleines Stück«, antwortete Abbé. »Wir konnten drei von ihnen erschlagen, was ihnen die Lust auf eine Fortsetzung des Kampfes ein wenig vergällt haben dürfte. Sie sind in Richtung Burg davongeritten.« Er hob die Schultern. »Sie dürften jetzt schon dort sein. Gunthar wird eine Stunde brauchen, um alle seine Männer zusammenzurufen und zu bewaffnen, und dann drei oder vier Stunden, bis sie hier sind.«

»Ihr fürchtet, daß er uns angreift?«

»Ich an seiner Stelle würde es tun«, antwortete Abbé traurig. »Für ihn sind die Beweise eindeutig. Er glaubt, daß wir seinen jüngsten Sohn erschlagen haben, und nun auch noch die Einwohner eines ganzes Dorfes, nur um unsere Spuren zu verwischen. Er muß auf diese Herausforderung reagieren, wenn er nicht vor der ganzen Welt das Gesicht verlieren will. Er wird uns angreifen, kurz nach der Mittagsstunde, wenn nicht früher.«

KAPITEL 18

Obwohl Bruder Abbé persönlich Robin befohlen hatte, sich in ihre Kammer im obersten Stockwerk des Turms zurückzuziehen und zu schlafen, ließ er sie kaum zwei Stunden später wieder zu sich rufen.

Robin hatte nicht geschlafen; natürlich nicht. Der Knecht, der sie aus ihrer Turmkammer holte, führte sie in dasselbe Gemach, in dem Salim und sie einen Teil der vergangenen Nacht verbracht hatten, nicht in Abbés karge Zelle eine Etage höher. Vielleicht war die Zeit des Versteckspielens für Abbé endgültig vorbei. Der Abbé jedenfalls, der Robin in dem luxuriös ausgestatteten Zimmer erwartete, war kein ehrfurchtgebietender, strahlender Ritter mehr, sondern ein müder, gebrochen wirkender alter Mann.

Abbé hatte seine Rüstung gegen das schmucklose graue Büßergewand getauscht, aber das schwere Kettenhemd und ein sauberer Wappenrock samt dazugehörigem Mantel lagen auf seinem Bett. Abbé selbst kniete in der Ecke neben dem Kamin, hatte die Hände gefaltet und betete lautlos und mit geschlossenen Augen. Erst, als der Knecht gegangen und er mit Robin allein war, stand er auf und ging mit müden Schritten zum Tisch.