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Sie sah sich unsicher um. Auf dem staubigen Dachboden hatte sich ungefähr ein Dutzend Männer versammelt, Köche, Stallburschen, Knechte und einfache Handlanger. Die Anspannung stand ihnen ins Gesicht geschrieben, aber sie hatten sich auch auf eine erstaunliche Weise verändert: Alle waren bewaffnet, und Robin sah recht wenige Anzeichen echter Furcht. Die Männer wußten, was auf sie zukam, und sie waren sich auch des Ernstes der Lage bewußt, aber sie waren weit davon entfernt, in Panik zu geraten.

Salim trat neben sie. Er sagte nichts, sondern blickte schweigend und mit großer Konzentration zu Gunthars Männern hin. Sie hatten mittlerweile eine lockere Formation angenommen und näherten sich der Komturei in einer doppelten, weit auseinandergezogenen Reihe. Als sie näher kamen, erkannte Robin Gunthar von Elmstatt und seinen Sohn, die an der Spitze des Heereszugs ritten.

Sie erkannte aber auch noch mehr: Nur vielleicht zwanzig der gut hundert Reiter trugen Rüstungen und Waffen eines Ritters. Der weitaus größere Teil der Truppe unterschied sich kaum von den Männern, die Salim und sie umgaben. Sie waren mit Spießen und Schwertern ausgestattet, manche aber auch nur mit Keulen oder Messern. Einige wenige trugen Schilde und Helme - offenbar hatte Jeromé recht gehabt, als er behauptet hatte, daß Gunthar über kein Heer verfugte. Elmstatt hatte nichts anderes getan als Abbé auch: Er hatte einfach jeden Mann auf seiner Burg mit Waffen ausgerüstet und auf ein Pferd gesetzt.

Sie mußten ungefähr zehn Minuten warten, bis Bruder Abbé kam. Er trug jetzt wieder Kettenhemd und Rock, und jede Spur von Müdigkeit oder gar Schwäche war aus seinem Gesicht verschwunden. Zu Robins Überraschung kam er allein.

Ohne ein Wort zu sagen, trat er an das Fenster neben Salim und stieß die Läden auf. Goldenes Sonnenlicht floß in Strömen auf den Dachboden und ließ den Staub tanzen. Robin blinzelte.

»Gunthar!« rief Abbé. Er hatte sich so weit nach vorne gebeugt, daß fast sein gesamter Oberkörper aus dem Fenster hing; ein leichtes Ziel für einen Bogen-, oder Armbrustschützen, worüber er sich aber keinerlei Sorgen zu machen schien.

»Gunthar von Elmstatt!« rief er noch einmal, als er keine Antwort bekam. »Ich will mit Euch reden!«

Robin hatte nicht wirklich damit gerechnet, aber tatsächlich lösten sich Gunthar und einen winzigen Moment darauf auch sein Sohn Gernot aus der Front der Reiter, die einen Steinwurf vor dem Tor angehalten hatte, und kamen näher. Beide trugen Helme mit geschlossenen Visieren, die sie allerdings hochklappten, als sie näher kamen.

»Es gibt nichts mehr zu reden!« sagte Gunthar, nachdem er sein Pferd fünf Meter vor dem Tor gezügelt hatte. »Es sei denn, Ihr wollt Eure Kapitulation überbringen.«

»Ich bitte Euch!« antwortete Abbé. »Es muß nicht zum Schlimmsten kommen. Wir...«

»Legt Eure Waffen nieder und kommt heraus«, unterbrach ihn Gunthar. Aus seiner Stimme sprach eine Unversöhnlichkeit, die Robin schaudern ließ. »Wenn Ihr und die übrigen Ritter kampflos aufgebt, bürge ich für Sicherheit und Leben aller anderen in der Komturei. Ihr habt vollkommen recht, Bruder Abbé: Es müssen nicht noch mehr Unschuldige sterben. Die Entscheidung liegt bei Euch!«

»Ich flehe Euch an, Gunthar!« antwortete Abbé. »Ihr wißt, daß ich das nicht kann. Es ist alles ganz anders, als es den Anschein hat! Ihr müßt uns einfach Zeit geben, um die Wahrheit ans Licht zu bringen!«

»Zeit?« Gunthar lachte böse. »Wozu? Um Euch eine Ausrede zurechtzulegen? Ich habe genug von Euren Lügen, und ich weiß, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe! Ergebt Euch, oder sterbt!«

»Ich mache Euch einen anderen Vorschlag. Meine Brüder und ich sind bereit, uns weltlicher Gerechtigkeit zu unterwerfen!«

Gunthar legte den Kopf schräg. Er schwieg.

»Zieht mit Euren Männern ab, und ich schwöre bei Gott, daß es so ist«, fuhr Abbé fort. »Wir werden einen Boten an den Hof des Kaisers schicken, damit er einen Inspekteur sendet, der die ganze Angelegenheit hochoffiziell untersucht. Und ganz gleich, wie dieses Urteil ausfällt, wir werden uns ihm beugen!«

»Oh, selbstverständlich«, sagte Gunthar höhnisch. »Ein Bote zum Hof des Königs! Es dauert zwei Wochen, bis er dort ist, weitere zwei Wochen, bis die hohen Herren entschieden haben, was zu tun ist, und noch einmal zwei, bis der Inspekteur zurück ist - wenn er überhaupt kommt. Und am Ende mischt sich irgendein Kirchenfürst ein, um uns darüber zu belehren, daß dies keine Angelegenheit irdischer Gerechtigkeit ist.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe oft genug erlebt, wie wenig der Kirche an Recht und Ordnung gelegen ist, wenn es um unsereins geht. Nein, ich fürchte, soviel Zeit bleibt uns nicht. Ihr dagegen, Abbé, habt alle Zeit, die Ihr braucht.«

Er drehte sich halb im Sattel um und hob den Arm. Zwei Reiter lösten sich aus dem Heer und kamen in raschem Tempo näher. Einer davon gehörte zu Gunthars Männern. Der andere lag mit auf den Rücken gebundenen Händen über dem Hals des Pferdes. Seine Beine waren unter dem Leib des Tieres zusammengebunden, damit er nicht aus dem Sattel fiel. Er trug ein einfaches graues Gewand, und sein Gesicht war blutüberströmt. Robin wußte trotzdem sofort, wer er war.

Gunthar wartete, bis die beiden Reiter neben ihm angelangt waren. Dann zog er einen Dolch aus dem Gürtel, durchtrennte mit zwei raschen Schnitten die Fesseln des Verwundeten und stieß den Mann aus dem Sattel.

»Ich meine nur, falls Ihr auf die Verstärkung wartet, nach der Ihr geschickt habt«, fuhr Gunthar fort. »Sie wird nicht kommen. Nehmt den Umstand, daß wir Euren Mann am Leben gelassen haben, als Zeichen unseres guten Willens.«

»Karl«, murmelte Salim. »Dieser Narr hat sich ergreifen lassen!«

»Dürfen wir den Verletzten hereinholen?« fragte Abbé.

»Das dürft Ihr«, antwortete Gunthar. »Und ich gewähre Euch eine weitere halbe Stunde. Danach erwarte ich Euch und die anderen fünf vor dem Tor. Ohne Waffen. Wenn nicht, greifen wir an.« Damit riß er sein Pferd herum und sprengte los.

»Das wäre eine gute Gelegenheit«, sagte Salim. Robin sah hoch und registrierte überrascht, daß der Tuareg seinen Schild gegen einen fast mannslangen Bogen eingetauscht hatte, auf dessen Sehne bereits ein Pfeil lag. Ein zweiter steckte griffbereit in seinem Gürtel.

Abbé schüttelte fast erschrocken den Kopf. »Wir sind keine Mörder!«

»Er hat uns den Fehdehandschuh hingeworfen, nicht wir ihm«, erinnerte Salim. »Und es wäre eine günstige Gelegenheit.«

»Nein!« sagte Abbé scharf. »Wir sind Soldaten Gottes, keine Assassinen! Wir schießen unseren Feinden nicht in den Rücken!«

»Das werde ich mir merken«, sagte Salim. »Und wer weiß, eines Tages glaube ich es ja vielleicht sogar.«

Abbé funkelte ihn an, aber der Zornausbruch, auf den nicht nur Robin wartete, blieb aus. Statt dessen drehte er sich mit einer abrupten Bewegung herum und fuhr dann den am nächsten stehenden Mann an: »Geht hinunter und holt Karl herein! Er ist verwundet!«

Der Mann entfernte sich hastig. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er in diesem Moment mehr Angst vor Abbé als vor dem feindlichen Heer draußen.

Robin spähte mit klopfendem Herzen durch den Fensterladen. Der Verletzte hatte sich mittlerweile auf Hände und Knie erhoben und versuchte, auf das geschlossene Tor zuzukriechen. Sein Gesicht glänzte rot, und auch sein Gewand war zerrissen und wies zahlreiche Schmutz- und Blutflecke auf. Aber immerhin war er am Leben. So schrecklich sein Anblick auch war, so empfand Robin dennoch eine tiefe Erleichterung. Wäre sie zusammen mit ihm aufgebrochen, wie Abbé und Salim es für sie geplant hatten, dann wäre auch sie Gunthars Häschern in die Hände gefallen. Und sie hätten sie bestimmt nicht am Leben gelassen ...