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Die Pfeile regneten aus dem Torhaus auf sie herab. Robin duckte sich hastig hinter Salims hochgerissenen Schild, sah aber trotzdem, warum nur diese wenigen Reiter auf den Hof gekommen waren: Ein gewaltiges Fallgitter hatte sich vor das innere Tor gesenkt und sperrte den Rest von Gunthars Truppen aus, so daß der Innenhof der Komturei zu einer tödlichen Falle für ihre Kameraden geworden war. Daß Abbé auf Gunthars Ehrenhaftigkeit gezählt hatte, hatte nicht bedeutet, daß er nicht auf eine Heimtücke vorbereitet gewesen wäre.

Salim drückte Robins Kopf herunter und zerrte sie im Zickzack auf den Turm zu. Ein Pfeil traf seinen Schild und brachte ihn aus dem Tritt, hatte aber nicht mehr genug Wucht, ihn zu Boden zu schleudern. Die heimtückischen Geschosse waren nicht gezielt, begriff Robin. Gunthars Männer schossen in ihrer Wut einfach auf alles, was sich bewegte, und sie waren gottlob keine besonders guten Schützen. Fast unbehelligt erreichten sie den Turm, und Salim beförderte sie so schwungvoll durch die Tür, daß sie das Gleichgewicht verlor und drinnen ungeschickt gegen die Wand torkelte.

»Nach oben!« befahl er. »Ich ...«

Ein dumpfes Krachen und ein ganzer Chor erschrockener Stimmen schnitt ihm das Wort ab. Salim fuhr blitzartig herum, und Robin sah eine gewaltige Staubwolke aus Türen und Fenstern des Pferdestalles dringen. Für einen Moment war ihr, als ob das gesamte Gebäude zitterte, und sie hätte sich nicht gewundert, wäre es vor ihren Augen zusammengebrochen. Statt dessen flogen die Türen des Stalles auf, und zahlreiche Pferde sprengten auf den Hof. Fast im gleichen Moment erschien eine geduckte Gestalt auf dem Dach des Pferdestalls.

Ein Pfeil zischte vorbei und ließ ihn rücklings vom Dach kippen, aber schon im nächsten Moment erschienen drei, vier, fünf weitere Angreifer auf dem niedrigen Dach. Abbés Bogenschützen forderten auch von ihnen ihren Tribut, aber ihre Zahl war einfach zu gewaltig. Mindestens ein halbes Dutzend erreichte den diesseitigen Rand des Daches und sprang, ohne zu zögern, in die Tiefe, und über ihnen tauchte bereits die nächste Welle Bewaffneter auf. Salims düstere Prophezeiung schien sich zu erfüllen. Gunthar hatte den Schwachpunkt der Verteidigungsanlage ausgenutzt, und das offensichtlich schneller, als der Tuareg befürchtet hatte. Wahrscheinlich war der Angriff seiner Reiter auf das Tor nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver gewesen.

»Nach oben!« brüllte Salim. »Ich halte sie auf!«

Robin starrte noch einen Herzschlag lang an ihm vorbei auf den Hof - gerade lange genug, um zu sehen, wie die Türen des Haupthauses aufflogen und eine Handvoll Gestalten in Rot und Weiß ausspien, die sich unverzüglich auf die eingedrungenen Angreifer warfen - dann fuhr sie herum und raste wie von Furien gehetzt die Treppe hinauf. Unter ihr begann der Hof vom Klirren der Waffen und den Schreien der Verwundeten und Sterbenden widerzuhallen, und diese grauenvollen Geräusche wurden nicht leiser, als sie weiter nach oben kam. Die Apokalypse war losgebrochen. Sie konnte die Augen vor dem entsetzlichen Geschehen ringsum verschließen, aber nicht die Ohren, und vielleicht würde sie die Schreie der Sterbenden niemals wieder vergessen können.

Auf halbem Wege nach oben verließen sie die Kräfte. Sie taumelte noch zwei oder drei Stufen weiter, griff mit zitternden Händen nach dem Geländer und sank schließlich kraftlos auf die Treppenstufen hinab. Ihr Herz schien in ihrer Brust zerspringen zu wollen, und ihr Atem schmeckte plötzlich bitter, nach Metall und Übelkeit. In ihren Ohren rauschte das Blut, aber auch dieser Laut vermochte den Kampflärm nicht zu übertönen, der immer näher kam.

Sie hörte Schritte, sah hoch und registrierte mit einem Gefühl unendlicher Erleichterung, daß es Salim war, der unter ihr die Treppe heraufstürmte. Sie gab sich Mühe, das Blut auf dem Schwert in seiner Hand nicht zu sehen.

»Alles in Ordnung?« fragte er, als er sie erreicht hatte und stehenblieb.

Robin machte eine Bewegung, von der sie selbst nicht einmal ganz sicher war, ob sie nun ein Nicken, ein Kopfschütteln oder eine Mischung aus beidem darstellte. Sie wollte antworten, brachte aber nur ein unverständliches Krächzen zustande.

»Streng dich nicht an.« Salim schob das Schwert unter seinen Gürtel und streckte die Hand aus, um ihr in die Höhe zu helfen. »Schnell. Ich muß zurück. So, wie es aussieht, brauchen sie jeden Mann. Ich fürchte, unser guter Bruder Abbé hat seinen Gegner gründlich unterschätzt.«

Robin stützte sich schwer auf seinen Arm, mußte aber trotzdem mit der anderen Hand am Treppengeländer Halt suchen, um sich weiter nach oben zu quälen. Sie konnte Salims Ungeduld spüren, aber er beherrschte sich. Vielleicht hatte er erkannt, daß sie einfach am Ende ihrer Kräfte war - nicht nur körperlich.

Gottlob führte Salim sie nicht hinauf bis ins oberste Stockwerk, sondern in eine Kammer, die sich auf halber Höhe des Turms befand, und die er - sie war sicher - ziemlich willkürlich aussuchte. Sie war größer als das Zimmer, das sie bisher gehabt hatte, aber bis auf einen Stapel prall gefüllter, nach Kleie riechender Säcke an der Wand neben einem kleinen Guckloch vollkommen leer. Trotzdem drehte sich Salim einmal im Kreis und sah sich sehr aufmerksam um, bevor er ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, daß alles in Ordnung sei; fast als fürchte er, daß sich jemand in den Schatten versteckt hätte.

Was für ein unsinniger Gedanke.

»Es ist nicht besonders bequem, aber für den Moment muß es reichen«, sagte er. »Auf jeden Fall bist du hier sicher, bis ich zurück bin.«

Sicher? Vor wem? Trotz ihres schmerzenden Halses wollte Robin diese Frage laut aussprechen, aber Salim hatte sich bereits wieder herumgedreht und zog die Tür hinter sich zu. »Und leg den Riegel vor!« rief er von draußen. »Falls es einen gibt.«

Die Tür hatte tatsächlich einen Riegel, der sogar äußerst massiv aussah, und Robin streckte ganz automatisch die Hand aus, um Salims Aufforderung Folge zu leisten. Aber dann ließ sie den Arm wieder sinken, ohne die Bewegung zu Ende geführt zu haben.

Wozu? dachte sie bitter. Solange Abbé und die anderen die Angreifer daran hinderten, den Turm zu stürmen, war sie hier oben in Sicherheit. Und wenn die Verteidiger fielen, dann war es sowieso um sie geschehen. Vielleicht mußte es so sein. Vielleicht sollte sie einfach hinuntergehen, auf den Hof hinaustreten und sich Gernot und Otto ausliefern, auch wenn das ihren sicheren Tod bedeutete.

Statt dessen wandte sie sich um und trat ans Guckloch.

Das Zimmer lag auf der nach Osten gewandten Seite des Turms, so daß sie nur einen kleinen Teil des Hofes überblicken konnte. Zumindest auf diesem Teil des Innenhofes wurde nicht mehr gekämpft. Sie sah eine reglose Gestalt, konnte aber nicht sagen, zu welcher Seite sie gehörte, und es spielte im Grunde auch keine Rolle. Sie hörte noch immer Waffenlärm, Schreie, das panische Wiehern von Pferden und regelmäßig dumpfe, krachende Schläge. Obwohl Gunthars Männer den Hof zweifellos schon längst eingenommen hatten, versuchten sie wohl auf der anderen Seite noch immer, das Fallgitter aufzubrechen, und Robin wußte nun, daß Salim recht gehabt hatte, als er behauptete, daß es eine Zeit des Redens und eine Zeit des Kämpfens gebe. Worte waren sinnlos geworden. Selbst wenn sie ihrem Impuls nachgegeben und sich Gernot geopfert hätte, hätte es nichts geändert. Salim hatte mit seinen Worten nicht übertrieben, sondern der Wahrheit noch geschmeichelt. Der Krieg war ein wildes Tier, und dieses Tier hatte sich jetzt von seiner Kette losgerissen und würde nicht eher aufhören zu wüten, bis sein Blutdurst gestillt war.