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Abbé zeigte sich von der hastig zusammengebastelten Kriegsmaschine wenig beeindruckt. Er stand wieder am Guckloch und blickte mit einem Gesichtsausdruck hinaus, der irgendwo zwischen Verblüffung und Verachtung schwankte, in dem jedoch keine Spur von Furcht oder auch nur Beunruhigung zu sehen war. Ein Pfeil zerbrach klappernd an der Wand unweit der kleinen Maueröffnung, und Abbé trat ohne die mindeste Hast zur Seite, nahm so Aufstellung, daß er nicht mehr getroffen werden konnte, und hob den rechten Arm.

»Haltet euch bereit.«

Die Pfeile hagelten jetzt geradezu auf den Turm, und Gunthars Männer stürmten unter gellendem Kriegsgeschrei heran. Abbé hob den Arm noch ein wenig höher, und die beiden Tempelritter Xavier und Jeromé ergriffen zwei bereitstehende Stangen und schoben sie durch die Henkel des Kupferkessels.

Robin wandte sich schaudernd ab. Sie wollte nicht sehen, was weiter geschah. Sie lief aus der Kammer und rannte die Treppe hinauf, so schnell sie konnte, und sah nicht mehr, was Abbé und die anderen Tempelritter taten.

Aber eines konnte sie nicht, so sehr sie es auch versuchte: Die Ohren vor den gellenden Schmerzensschreien verschließen, die von draußen hereinschallten.

KAPITEL 21

Bis die Nacht hereinbrach, schlugen die Tempelritter drei weitere Angriffe von Gunthars Leuten zurück. Die vierte - und bis dahin schlimmste - Attacke begann mit dem ersten Grau der Dämmerung und dauerte fast eine halbe Stunde. Robin sah davon so wenig wie von den vorangegangenen. Sie hatte sich in ihrem Zimmer verkrochen, aber was sie nicht sehen konnte, das zeigte ihr ihre außer Rand und Band geratene Phantasie dafür um so deutlicher. Der Turm erbebte minutenlang unter gewaltigen, dröhnenden Schlägen, dann setzte wieder der schreckliche Chor gellender Schreie ein, und wenig später drang flackernder Feuerschein vom Hof herauf.

Kurz darauf wurde an ihre Tür geklopft, und einer von Abbés Männern kam herein und sagte, daß der Tempelritter sie zu sprechen wünschte. Robin stand auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und folgte dem Mann hinunter in den ersten Stock des Turms. Die Luft war hier unten noch stickiger geworden. Flackerndes rotes Licht, Hitze und schwerer, Übelkeit erregender, süßlich riechender Qualm schlugen ihr von der Treppe entgegen. Sie hörte Schreie und sah hektische Bewegung. Etliche von Abbés Männern waren damit beschäftigt, aus Brettern und schweren Bohlen und Balken eine Barrikade zu errichten, die den letzten Treppenabsatz blockierte. Anscheinend, dachte sie, teilten nicht alle Abbés Einschätzung, daß sie sich wochenlang ohne Probleme hier halten konnten, wenn es sein mußte.

Der Raum, in dem Abbé und die anderen Tempelritter sie erwarteten, ähnelte auf beeindruckende Weise dem Zimmer, in dem sie ihm das letzte Mal begegnet war - er war kleiner und etwas besser möbliert, aber auch er war zu einem Hort des Leids geworden. Sie sah zahlreiche Verletzte und mindestens zwei Männer, deren Weg durch das irdische Jammertal beendet war, wie Abbé es ausgedrückt hätte. Vor allem der Anblick eines der beiden Toten erfüllte Robin mit Bitterkeit. Es war einer von denen, die sie selbst verbunden und so gut es ging versorgt hatte. Ihre Hilfe hatte ihm nicht viel genutzt, sondern ihm, im Gegenteil, vielleicht den Tod gebracht.

»Bitte setz dich, Robin.« Abbé deutete auf den einzigen freien Stuhl, den es noch am Tisch gab. Während sie langsamer als nötig darauf zuging, streifte sie die versammelten Tempelritter mit einem prüfenden Blick. Sie waren nur noch zu viert: Abbé selbst, die Ritter Jeromé und Xavier und Heinrich. Sie wußte, daß Ferdinand schon während der Nacht verwundet worden und im Hauptgebäude zurückgelassen worden war. Vielleicht war Raimund mittlerweile ebenfalls gefallen, aber wahrscheinlicher erschien es ihr, daß er sich irgendwo im Turm aufhielt und die Verteidigung überwachte.

Sie setzte sich, und Abbé begann übergangslos: »Wir haben den letzten Angriff zurückgeschlagen, aber ich weiß nicht, ob wir noch einem weiteren standhalten können, Robin. Unser Bruder Raimund hat sein Leben geopfert, um die Feinde daran zu hindern, in den Turm einzudringen, aber sie werden nicht locker lassen. Gunthar ist wie von Sinnen vor Blutdurst. Er will Rache für den Tod seines Sohnes. Ich habe ihn unterschätzt - sowohl das Können seiner Männer, als auch seine Entschlossenheit. Er wird nicht eher ruhen, bis er diesen Turm gestürmt und jedes Leben darin ausgelöscht hat.«

Robin sah ihn erschrocken an. Abbé erzählte ihr nichts Neues. Warum verschwendete er kostbare Zeit damit, ihr Dinge zu sagen, die jedermann hier wußte - und sie am allerbesten?

»Es sei denn«, fuhr Abbé nach einer langen Pause fort, »er bekommt, was er will.«

»Was meint Ihr damit?« fragte Salim. Er wirkte alarmiert; auf eine Art erschrocken, die ihrerseits Robin mit schleichendem Schrecken erfüllte. Allerdings schien er der einzige am Tisch zu sein, dem die Antwort auf diese Frage nicht klar war - Robin eingeschlossen.

Abbé ignorierte ihn. »Ich möchte dich um etwas bitten, Robin«, fuhr er fort. »Es steht mir nicht zu. Keiner von uns hat das Recht, eine solche Frage zu stellen, und ich wohl am wenigsten. Aber ich muß es tun, wegen all der unschuldigen Leben, die sonst ausgelöscht werden.«

Er sprach nicht weiter, und Robin sah ihm auch an, daß er im Moment einfach nicht die Kraft hatte, es zu tun, also nahm sie ihm die Entscheidung ab.

»Ihr wollt, daß ich... mit Euch ... gehe?« würgte sie mühsam hervor. Sie mußte sich zu jedem Wort zwingen. Es war nicht nur die Verletzung an ihrer Kehle, die ihre Stimme daran hindern wollte, ihr zu gehorchen. Seltsam - sie hatte überhaupt keine Angst, obwohl das, was Abbé von ihr verlangte, praktisch ihren sicheren Tod bedeutete.

»Mit Euch gehen?« fragte Salim. »Wohin? Antwortet!« Das letzte Wort hatte er beinahe geschrien.

Abbé wandte nun doch den Kopf und sah Salim für die Dauer eines Herzschlags mit steinernem Gesicht an. Dann drehte er sich wieder zu Robin herum.

»Ich werde Gunthar geben, wonach er verlangt«, sagte er. »Er glaubt, daß ich die Schuld am Tode seines Sohnes trage. Also werde ich zu ihm gehen und mich seiner Gnade ausliefern.«

»Ihr wollt... was?« fragte Salim fassungslos. »Seid Ihr... seid Ihr von Sinnen?«

»Gunthar ist ein vernünftiger Mann, trotz allem«, sagte Abbé. »Ich kenne ihn seit vielen Jahren, und ich weiß, daß er dieses Blutvergießen so wenig will wie ich. Vielleicht wird er mich töten, ohne mich anzuhören, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht hört er mir zu, und wenn Robin hier ihm sagt, was wirklich geschehen ist, dann wird die Wahrheit am Ende doch noch obsiegen, wenn Gott es will.«

»Ja, und vielleicht schickt er Euch auch seine himmlischen Heerscharen, um Euch beizustehen«, sagte Salim böse. »Seid kein Narr, Abbé! Er wird Euch töten, er wird Robin töten, und dann wird er hierher kommen und alle anderen umbringen. Und wenn nicht er, dann Gernot und dieser Hund Otto! Ihr wißt das!«

»Gott wird mich beschützen«, sagte Abbé überzeugt. »Mein Entschluß steht fest. Ich werde zu ihm gehen.«

»Das lasse ich nicht zu!« Salim sprang erregt halb von seinem Stuhl auf. »Ihr wißt genau, was...«

»Salim!« Abbés Stimme war nicht einmal besonders laut, aber plötzlich so scharf, daß Salim wie unter einem Peitschenhieb zusammenfuhr. »Was erdreistest du dich? Hüte deine Zunge, verdammter Heide, oder ich lasse sie dir herausreißen!«

Der Tuareg stand noch einen Moment lang erstarrt und mit wutverzerrtem Gesicht da, aber dann ließ er sich zurücksinken. In seinen Augen loderte blanker Zorn, doch plötzlich schien ihm klarzuwerden, daß Abbé und er nicht allein waren.