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»Bitte verzeiht, Herr«, sagte er mit einem demütigen Senken des Kopfes. Es war keine echte Demut, begriff Robin. Er senkte den Kopf, damit niemand sein Gesicht sah, und die Gefühle, die sich darauf spiegelten. »Es tut mir leid. Es war nur die Furcht um Euer Leben, die mich zu diesen Worten hingerissen hat. Aber ich bitte Euch, eines zu bedenken: Es geht hier nicht nur um Euer Leben. Nicht einmal um die unseren. Hier steht weitaus mehr auf dem Spiel.«

»Schweig!« donnerte Abbé, aber Salim bekam in diesem Moment Hilfe von unerwarteter Seite.

»Ich fürchte, er hat recht, Bruder«, sagte Jeromé. Er hob die Hand, als Abbé auffahren wollte. »Es tut mir leid. Ich kann Euch verstehen. Wir alle hier verstehen und respektieren Eure Beweggründe. Sie ehren Euch, aber ich fürchte, Euer Sklave hat Recht. Gunthar ist von Sinnen vor Schmerz. Er wird Euch nicht zuhören. Und es steht mehr auf dem Spiel als nur Euer Leben. Ihr habt nicht das Recht, es zu opfern.«

»Uns bleibt keine Wahl«, beharrte Abbé.

»Das ist nicht wahr!« sagte Salim. »Wir können ihnen standhalten. Sie sind nicht mehr als Bauern, die mit Knüppeln bewaffnet sind! Ihre Verluste sind fünfmal so hoch wie unsere.« Er mußte spüren, daß seine Worte auf wenig fruchtbaren Boden fielen, denn er fügte nach einem Moment hinzu: »Wir könnten Hilfe rufen!«

»Hilfe? Woher?« Abbé machte eine zornige Geste, so als wolle er Salims Worte einfach vom Tisch fegen. »Die nächste Komturei ist einen halben Tagesritt entfernt!«

»Ich werde hinreiten und noch vor Tagesanbruch wieder zurück sein«, behauptete Salim.

»Unsinn«, antwortete Abbé. »Du hast gesehen, was mit Karl passiert ist.«

»Karl war ein braver Mann«, erwiderte Salim in einem abfälligen Ton, der im krassen Gegensatz zu seinen Worten stand. »Zweifellos mutig und guten Willens, aber er war nur ein Knecht. Ich kann es schaffen. Ihr wißt, daß das so ist. Ich kann mich hinausschleichen und Eure Freunde holen. Wenn Ihr bis zum Morgen aushaltet.«

»In Raimunds Komturei leben vier Ritter«, sagte Abbé traurig. »Von denen einer so alt ist, daß er sich sein Brot in Milch aufweichen muß, um es zu essen. Sie würden auch noch sterben.« Er schüttelte erneut den Kopf. »Uns bleibt keine andere Wahl, Salim.«

»Das will ich nicht einsehen«, beharrte Salim. »Es gibt immer einen Ausweg. Habt ihr Christen nicht ein Sprichwort, in dem es heißt: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott?« Er stand auf. »Ich flehe Euch an, Bruder Abbé, bedenkt Euch noch einmal. Gunthar wird nicht vor Mitternacht wieder angreifen. Er hat schwere Verluste erlitten.«

»So wie wir.«

»Gebt mir eine Stunde«, bat Salim. »Mehr verlange... mehr erbitte ich nicht von Euch.«

»Wir werden keine Stunde mehr haben«, sagte Abbé. »Sieh nach draußen. Sie bereiten bereits den nächsten Ansturm vor. Mein Entschluß steht fest, unwiderruflich. Es ist zuviel Blut vergossen worden. Ich werde dafür sorgen, daß es aufhört.«

»Verzeiht, Abbé ...« begann Jeromé, wurde aber diesmal sofort und in scharfem Ton von Abbé unterbrochen.

»Genug! Noch bin ich der Vorstand dieser Komturei! Ich habe entschieden, Punktum!«

Der Zorn in Salims Augen loderte noch heller auf- aber er widersprach nicht mehr, sondern fuhr auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Raum. Abbé sah ihm kopfschüttelnd nach und erhob sich dann ebenfalls. »Laßt uns beten, meine Brüder«, sagte er. »Und danach bringt mir mein Schwert und meinen Mantel. Ich möchte nicht wie ein Bettler vor Gunthar hintreten.«

Niemand rührte sich. Xavier, Jeromé und Heinrich sahen ihn nur stumm an, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich eine Mischung aus Trauer, Schmerz und einer bitteren Entschlossenheit, die Robin begreifen ließ, daß es hier um mehr ging, als sie erfassen konnte.

Aber konnte es denn um mehr gehen als um das Leben eines Menschen?

»Meine Brüder!« sagte Abbé beinahe beschwörend. »Muß ich euch an euren Eid erinnern?«

»Wir haben geschworen, uns gegenseitig mit unseren Leben zu beschützen«, antwortete Jeromé. »Und wir haben Euch die Treue geschworen. Doch wir alle gemeinsam haben auch einen Schwur auf eine größere Sache geleistet. Wir werden nicht zulassen, daß Ihr ihn brecht. Ihr wißt, was auf dem Spiel steht.«

»Dann verdammt ihr mich«, sagte Abbé. Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken. »Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht getan habe, was Gunthar mir vorwirft. Und doch ist es meine Schuld, denn wäre ich nicht schwach geworden, dann wäre vielleicht nichts von alledem passiert. Ich werde Buße dafür tun, ob ihr es wollt oder nicht.«

»Das können wir nicht zulassen«, sagte Xavier leise.

Robin stockte der Atem. Hatte sie schon Salims dreistes Benehmen in tiefste Verwirrung gestürzt, so weigerte sie sich für den Moment fast zu glauben, was sie hörte und sah. Das war offene Meuterei! Unvorstellbar in einer so festgefügten Gesellschaft wie der der Tempelritter.

Abbé schwieg.

»Zwingt uns nicht, Gewalt anzuwenden«, sagte Xavier.

»Aber ihr würdet es tun«, flüsterte Abbé. Er schloß die Augen; ein gebrochener, besiegter Mann, dem selbst die letzte Gnade noch verweigert worden war.

»Bitte begebt Euch in Eure Zelle, Bruder«, sagte Jeromé. »Wir geben Euch Bescheid, sobald wir... zu einem Entschluß gekommen sind.«

»Und händigt uns Eure Waffen aus«, fügte Xavier hinzu. So wie auch die beiden anderen hatte er nicht die Kraft, Abbé dabei anzusehen.

Der kahlköpfige Tempelritter stand auf. Langsam, als hingen unsichtbare Zentnergewichte an seinen Gliedern, die jede noch so winzige Bewegung zur Qual machten, zog er Dolch und Morgenstern aus dem Gürtel und legte beides auf den Tisch. Dann griff er mit beiden Händen nach oben und zog eine Kette unter dem Gewand hervor, an der das schwere, goldene Kreuz hing. Er streifte die Kette über den Kopf, küßte das Kreuz und legte es mit einer fast ehrfurchtigen Bewegung auf den Tisch. Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, drehte er sich herum und verließ den Raum. Jeromé nickte fast unmerklich in Xaviers Richtung, woraufhin sich der Tempelritter ebenfalls erhob und Abbé folgte.

Auch Robin wollte aufstehen, um wieder in ihr Zimmer hinaufzugehen. Sie war noch immer vollkommen verstört, aber mittlerweile hatte sie auch ein wenig Angst, und das möglicherweise nicht ohne Grund. Eine Weile hatte sie sich an den Gedanken geklammert, daß die Ritter sie einfach nicht zur Kenntnis genommen hatten. Sie war ein Nichts im Vergleich zu ihnen, so unbedeutend, daß es einfach keine Rolle spielte, ob sie da war oder nicht!

Aber natürlich war das nichts als ein verzweifelter - und bei Lichte betrachtet nicht sehr realistischer - Wunsch. Männer wie Jeromé und Xavier taten nichts ohne Grund. Und sie pflegten auch niemanden zu vergessen.

»Setz dich«, befahl Jeromé.

Robin gehorchte. Ihr Herz begann zu klopfen. Sie hatte große Angst.

»Du hast deine Sprache also wiedergefunden«, begann Jeromé.

»Ein... wenig«, flüsterte Robin stockend. Sie hob die Hand an den Verband um ihren Hals. »Schmerzen.«

»Das mag sein«, erwiderte Jeromé kalt. »Trotzdem wirst du uns jetzt erzählen, was in jener Nacht in eurem Dorf geschehen ist. In allen Einzelheiten.«

Es gab keinen Widerspruch. Jeromés Stimme war frei von jedweder Drohung, aber vielleicht war es gerade das, was sie so bedrohlich machte.

Robin begann zu erzählen. Jedes Wort bereitete ihr Schmerzen, und jedes Wort kostete sie noch ein bißchen mehr Mühe als das vorherige, so daß sie Jeromés Wunsch nach allen Einzelheiten sicher nicht nachkommen konnte. Aber sie berichtete, so gut es eben ging, von dem, was sie in der Nacht hinter der alten Kapelle gesehen und gehört hatte, und Jeromés Gesicht verdüsterte sich mit jedem Wort, das er hörte. Aber er unterbrach sie nicht, sondern ließ sie zu Ende erzählen, auch wenn sie noch so lange brauchte, immer wieder stockte, Kraft sammelte und lange, schmerzerfüllte Pausen einlegte.