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»Das ist lächerlich!« sagte Otto. Seine Stimme war schrill, und seine Rechte lag verkrampft auf dem Schwertgriff. »Was soll dieser Irrsinn? Ihr glaubt doch nicht wirklich, daß...«

»Du verdammter Hund!« heulte Gernot. Er warf sich warnungslos auf Otto, riß ihn herum und stürzte zusammen mit ihm halb über den Tisch. »Du warst es! Du hast Gundolf umgebracht!« Er holte mit der unversehrten Hand aus und schlug Otto drei-, vier-, fünfmal hintereinander mit der geballten Faust ins Gesicht, bevor es Jeromé und seinem Vater gelang, ihn zurückzureißen.

»Laßt mich!« brüllte er, scheinbar außer sich vor Wut. »Ich bringe ihn um! Ich reiße ihm das Herz aus dem Leib!«

Otto stemmte sich benommen in die Höhe. Seine Lippe war aufgeplatzt, und auch aus seiner Nase lief ein dünnes, rotes Rinnsal.

Gunthar ließ den Arm seines Sohnes los, drehte sich langsam zu Otto herum und fragte dann ganz leise: »Ist das wahr?«

Otto schwieg. Gunthar sah ihn noch einen weiteren Augenblick lang starr und fast ausdruckslos an, dann schlug er ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Nicht einmal besonders hart, aber Otto taumelte trotzdem einen halben Schritt zurück und hob die Hand an den Mund.

»Warum?« fragte Gunthar. »Warum hast du das getan?«

Otto schwieg weiter, aber Gernot versuchte sich loszureißen und keuchte haßerfüllt: »Laßt mich! Laßt mich eine halbe Stunde mit diesem Hund allein, und er wird uns alle Fragen beantworten!«

Gunthar schüttelte traurig den Kopf. Er wirkte zutiefst erschüttert. »Er wird reden, Gernot«, sagte er leise. »Aber nicht jetzt. Bringt ihn hinaus.«

Xavier trat zur Tür und rief zwei Bewaffnete herein, die offenbar zu genau diesem Zweck schon bereitgestanden hatten. Es waren große, ausgesucht kräftige Männer, die Otto auf einen entsprechenden Befehl Jeromés hin entwaffneten und seine Hände auf den Rücken banden.

»Bringt ihn zu Gunthars Männern«, sagte Jeromé. »Gernot - Ihr geht besser mit, nur damit es nicht zu einem Mißverständnis kommt.«

»Du wirst ihn nicht anrühren«, sagte sein Vater. »Ich rede selbst mit ihm.«

Gernot nickte und drehte sich mit steinernem Gesicht herum, um Otto und den beiden Männern zu folgen. Erst, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, fuhr Gunthar fort:

»Es tut mir leid. Ich weiß, daß das billige Worte sind, die mein Handeln nicht rechtfertigen können, aber ich kann Euch nur um Verzeihung bitten.«

»Euch trifft keine Schuld«, sagte Abbé. »Ihr wurdet ebenso getäuscht wie wir. Danket Gott, daß die Wahrheit am Schluß doch noch ans Licht gekommen ist.«

»Und bedankt Euch bei diesem Mädchen«, fugte Xavier - nicht nur zu Robins Überraschung - hinzu. »Wäre sie nicht gewesen und hätte unser Herr sie nicht auf wunderbare Weise überleben lassen, so wäre ein noch viel größeres Unheil geschehen.«

»Und Ihr hättet niemals erfahren, wer Euren Sohn wirklich getötet hat«, fügte Jeromé hinzu.

Gunthar starrte fast eine Minute lang aus aufgerissenen, blicklosen Augen und ohne etwas zu sagen ins Leere, dann atmete er tief und hörbar ein und drehte sich mit einer hölzern wirkenden Bewegung zu Robin um.

»Ich danke dir«, sagte er. »Was dir angetan wurde, kann nie wieder gutgemacht werden, doch wenn es dir an irgend etwas fehlt oder du einen Wunsch hast, dann komm zu mir. Elmstatt steht in deiner Schuld, so lange es existiert.«

Er ging ohne ein weiteres Wort. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, da wandte sich Jeromé an Salim und sagte: »Geh und behalte Gernot im Auge, und vor allem Otto. Es wäre nicht besonders glücklich, wenn er entkäme - oder gar einem Mordanschlag zum Opfer fiele.«

Salim verschwand ohne ein weiteres Wort, und endlich fand Robin die Gelegenheit, Jeromé die Frage zu stellen, die sie schon die ganze Zeit über quälte, ohne daß sie sie bisher auszusprechen gewagt hätte.

»Warum haben wir das getan?«

»Wir?« Jeromé schmunzelte - aber irgendwie wirkte es drohend, fand Robin.

»Gernot«, sagte sie mühsam, und nicht nur Jeromé verstand, was sie meinte. Es war Abbé, der antwortete, nicht Jeromé, obwohl er von dieser neuen Version der Geschichte im ersten Moment mindestens ebenso überrascht worden war wie Otto und Gernot selbst.

»Es war das einzige, was Sinn machte«, sagte er. »Gunthar hätte die Wahrheit nicht ertragen. Er hätte sie nicht hören wollen oder wäre daran zerbrochen. Du kannst einem Mann nicht innerhalb weniger Tage seinen Sohn nehmen und ihm sagen, daß sein anderer Sohn der Mörder ist.« Er sah hoch. »Ihr habt richtig gehandelt, Bruder Jeromé. Und du auch, Robin.«

»Ich habe gelogen«, flüsterte Robin.

»Die Wahrheit wird an den Tag kommen«, antwortete Abbé. »Aber nicht jetzt. Es ist nicht der richtige Moment dafür.« Er lächelte. »Zerbrich dir nicht den Kopf, mein Kind. Das ist Politik. Davon verstehst du nichts.«

Robin sah ihn wortlos an, und plötzlich war ihr kalt. Das waren fast die gleichen Worte, die Gernot gebraucht hatte - nur einen Augenblick, bevor er Otto den Befehl gab, sie zu töten. Und sie begann sich zu fragen, ob der Unterschied zwischen Bruder Abbé und Gernot von Elmstatt wirklich so groß war, wie sie bisher geglaubt hatte.

KAPITEL 23

Gernot und seine Männer verließen die Komturei noch im Laufe der Nacht, und noch bevor sie es taten, zogen Freund und Feind eine schreckliche Bilanz des zurückliegenden Tages: Achtzehn von Abbés Männern waren tot oder so schwer verletzt, daß sie den nächsten Morgen wohl nicht mehr erleben würden, und die Verluste der Angreifer waren mehr als doppelt so hoch. Kaum einer auf beiden Seiten, der ganz unverletzt davongekommen wäre, und die Komturei selbst lag zu großen Teilen in Trümmern. Es würde ein Jahr dauern, sie wieder so aufzubauen, wie sie einmal gewesen war. Elmstatt mußte es noch schlimmer getroffen haben - irgendwann während der Nacht fing Robin ein Gespräch zwischen Jeromé und Abbé auf, in dessen Verlauf Jeromé die Meinung vertrat, daß Elmstatt sich nie wieder von dieser Schlacht erholen würde; der Freiherr war nie sehr reich gewesen, und das Land blutete seit Jahrzehnten aus. Der Kaiser verlangte immer höhere Abgaben und Steuern, und die Blüte des Adels fiel entweder in den ebenso törichten wie zahllosen Fehden, die sich Landesfürsten untereinander lieferten, oder zog ins Heilige Land, um nur allzu oft niemals wiederzukehren.

Vieles von dem, was Robin hörte, verstand sie erst sehr viel später, und manches auch nie, aber eines begriff sie mit einer Klarheit, die sie diese Erkenntnis für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen lassen sollte: daß es in einem Krieg niemals wirklich einen Sieger gab, und daß eine Schlacht vielleicht manchmal einen Zweck hatte, niemals aber einen Sinn. Gunthar hatte den Kampf um die Komturei gewonnen, ganz gleich, wie sehr die Ritter - allen voran Xavier - auch versuchten, sich ihre Niederlage schönzureden, und doch schien er in Wahrheit der Verlierer zu sein. Die Hälfte seiner Männer war tot, seine Familie zerbrochen, und er nährte eine Natter an seiner Brust und wußte es nicht einmal.

Den größten Teil der Nacht aber verbrachte Robin mit dem gleichen, blutigen Handwerk, mit dem der Tag für sie begonnen hatte. Es gab zahllose Verletzte, und Gunthar hatte seine am schwersten verwundeten Soldaten ebenfalls zurückgelassen, da manche von ihnen den Weg zurück nach Elmstatt nicht überlebt hätten, so daß sich nunmehr die gesamte Komturei in ein einziges Krankenlager verwandelte. Robin war mehr als einmal an dem Punkt angelangt, an dem sie glaubte, einfach nicht mehr weiterzukönnen beziehungsweise zu wollen. Aber sie gab nicht auf. Irgendwann im Laufe der Nacht verfiel sie in einen Zustand brütenden Entsetzens, der ihr Gefühl und ihre Gedanken zu lähmen schien, nicht aber ihre Hände. Sie wechselte Verbände, wusch Wunden aus, kühlte fiebernde Wangen und versuchte, gebrochene Arme zu richten. Irgendwann während dieser Nacht mußte sie wohl einfach vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn das nächste, was sie bewußt wahrnahm, war ein zugleich unerwartetes wie auch vertrautes Bild: Salim, der auf einem Stuhl neben ihrem Bett saß und auf sie herabsah. Sie mußte nicht fragen, wer sie hier heraufgetragen, ins Bett gelegt und zugedeckt hatte.