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Sie wollte aufstehen oder sich wenigstens aufsetzen, aber ein einziger Blick in Salims Gesicht reichte, um sie begreifen zu lassen, daß er sie sowieso davon abhalten würde, und so versuchte sie es erst gar nicht. Statt dessen drehte sie den Kopf und sah nach draußen. Helles Tageslicht strömte herein, aber sie sah nur einen kleinen Ausschnitt des wolkenlosen blauen Himmels und konnte nicht sagen, wie hoch die Sonne stand. Auf jeden Fall war es wieder sehr warm. Die Luft war stickig und roch noch immer verbrannt.

»Nur ein paar Stunden«, sagte Salim.

Robin drehte den Kopf in seine Richtung und sah ihn an.

»Du fragst dich, wie lange du geschlafen hast«, sagte Salim. »Es waren nur ein paar Stunden. Nicht annähernd genug, um wieder aufzustehen. Also versuch es erst gar nicht. Du hättest sowieso nicht die Kraft dazu. Außerdem würde ich es nicht zulassen.«

Fast aus Trotz stemmte sie sich auf die Ellbogen hoch. »Und wenn doch?« Sie war ein wenig überrascht, wie leicht ihr das Sprechen fiel - aber vielleicht kam es ihr ja auch nur so vor, denn Salim legte den Kopf schräg und schien einen Moment angestrengt in sich hineinlauschen zu müssen, um den Sinn ihrer Worte zu erfassen.

»Niemandem ist geholfen, wenn du dich überanstrengst«, sagte er. »Heute nacht bist du buchstäblich über einem armen Burschen zusammengebrochen, den du eigentlich verbinden solltest.«

Robin wußte nicht, ob das stimmte oder ob Salim es nur sagte, um sie zu erschrecken. Sie erinnerte sich nicht. Aber sie erinnerte sich ja auch nicht, wie sie hierhergekommen war.

»Bruder Abbé hat mir persönlich den Befehl dazu erteilt, darauf zu achten, daß du liegen bleibst«, fuhr Salim fort. »Er hat nicht gesagt, wie. Also werde ich dich schlimmstenfalls auch ans Bett binden, falls es nötig ist.«

Das würde es bestimmt nicht sein. In Robin fochten Pflichtgefühl und Müdigkeit einen kurzen, ungleichen Kampf. Sie hatte gar nicht mehr die Kraft, jetzt wieder hinunter zu gehen und sich all diesem Leid und Schmerz zu stellen. Sie hatte buchstäblich bis zum Zusammenbruch gearbeitet, und etwas in ihr schien einfach ausgebrannt zu sein.

»Manchmal ist es ganz praktisch, nicht antworten zu können, wie?« fragte Salim spöttisch.

Robin sah ihn an, sagte ganz klar und deutlich: »Ja«, und stemmte sich ein kleines Stückchen weiter in die Höhe. Da Salim keine Einwände erhob, setzte sie sich ganz auf, schlug die Decke zurück und stellte überrascht fest, daß sie nicht mehr das graue Büßergewand trug, das Abbé ihr gegeben hatte, sondern ihr eigenes Gewand, das, in dem sie das Dorf verlassen hatte. Otto hatte es zerrissen, aber nun war es wieder unversehrt. Der Riß, der es fast bis zum Bauchnabel hinunter geteilt hatte, war mit fast filigranen kleinen Stichen geflickt worden, und allem Anschein nach hatte man das Gewand auch gewaschen. Früher war ihr dieses Kleidungsstück immer ärmlich und grob vorgekommen, aber nach einer Woche, in der sie sich die Haut am harten Sackleinen des Büßerkleides wundgescheuert hatte, kam es ihr vor, als trüge sie die Robe einer Königin. Außerdem war dieses Gewand das letzte, was ihr von ihrem ganzen früheren Leben geblieben war. Fragend sah sie Salim an.

»Bruder Abbé wollte es schon wegwerfen«, sagte der Tuareg. »Aber ich habe es gewaschen und ausgebessert. Eigentlich wollte ich es dir geben, wenn du uns wieder verläßt, aber der Moment jetzt erschien mir passender. Das Büßerkleid, das du letzte Nacht getragen hast, sah aus, als hättest du eine Kuh darin geschlachtet und ausgenommen.«

Robin sparte sich die Frage, wer sie aus- und wieder angekleidet hatte. Dafür deutete sie mit zweifelndem Gesicht auf die feinen Stiche. »Du?« Selbst ihre Mutter hätte die Reparatur nicht geschickter ausführen können.

»Ich bin ein Mann mit vielen Talenten«, grinste Salim.

Robin unterdrückte im letzten Moment ein Lachen. Das hätte ihrem Hals nicht gutgetan, und nach allem, was in der letzten Nacht und am Tag zuvor geschehen war, erschien es ihr unpassend, in diesen Mauern noch einmal fröhlich zu sein.

Sie erhob sich nun vollends. Salim beobachtete sie aufmerksam, erhob aber noch immer keine Einwände, und so begab sie sich mit langsamen, kleinen Schritten zum Fenster und sah hinaus. Das Zimmer lag im oberen Stockwerk des Turms, war aber nicht dasselbe, das sie zuvor bewohnt hatte. Aus der großen Höhe betrachtet, nahmen sich die Spuren des Kampfes so harmlos und unbedeutend aus, daß sie sich für einen Moment fragte, ob nicht vielleicht alles nur ein böser Traum gewesen war.

»Jeromé und Abbé möchten mit dir sprechen«, sagte Salim nach einer Weile. »Ich soll ihnen Bescheid geben, sobald du wach bist. Wenn du willst, sage ich ihnen, daß du zu erschöpft dazu bist.«

»Jeromé?« fragte sie. Was wollte der Kreuzritter noch von ihr? Sie hatte doch alles gesagt, was er ihr aufgetragen hatte!

»Du mußt dich vor ihm in acht nehmen«, sagte Salim. »Er ist gefährlich. Er war von Anfang an dagegen, daß du hier bist. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte ich dich draußen vor dem Tor verbluten lassen, wußtest du das?«

Sie verneinte. Sie hatte es nicht gewußt, aber es wunderte sie auch nicht.

»Im Augenblick braucht er dich«, fuhr Salim fort. »Gunthar wird wiederkommen und mehr Einzelheiten wissen wollen. Aber sei trotzdem auf der Hut. Sprich nur mit ihm, wenn du mußt, und überlege dir jedes Wort genau. Ich glaube, er sieht in dir eine Möglichkeit, Bruder Abbé zu Fall zu bringen ... Hast du ihm... alles erzählt?«

Sie drehte sich vom Fenster weg und sah Salim lange und prüfend an, ehe sie auf seine Frage reagierte. Salim warnte sie vor Jeromé, und das mit Recht. Aber sie war nicht mehr sicher, ob sie Salim trauen konnte. Er war nicht der, der er zu sein vorgab. Schließlich schüttelte sie den Kopf.

»Das ist gut«, sagte Salim. »Dann solltest du es auch dabei belassen. Jeromé ist wirklich gefährlich. Wenn er hat, was er von dir will, dann wird er keinen Moment zögern, sich deiner zu entledigen.«

»Du meinst, er... wird mich... töten?« fragte Robin.

»Das hat er mit seiner Geschichte im Grunde schon getan«, behauptete Salim. »Hast du den Ausdruck in Gernots Augen nicht gesehen? Er muß dich töten, weißt du? Gernot ist nicht sicher, ob du gestern nacht gelogen hast oder ob du dich nur nicht erinnerst. Solange du lebst, bist du eine Gefahr für ihn. Jeromé weiß das - und ich glaube nicht, daß er es sehr bedauert.« Er stand auf, kam aber nicht näher. »Sieh zu, daß du zu Kräften kommst, Robin. Solange du hier in der Komturei bist, kann ich dich beschützen, aber ich weiß nicht, wie lange du noch bleiben kannst.«

KAPITEL 24

Wenn es etwas gab, was Robin im nachhinein noch mehr erschreckte als die Greuel jenes schrecklichen Tages und jener nicht minder furchtbaren Nacht, dann die Schnelligkeit, mit der das Leben in der Komturei wieder zu seinem normalen Rhythmus zurückfand. Es vergingen noch einige Tage, in denen sie hauptsächlich damit beschäftigt war, sich um die Verletzten zu kümmern, Verbände zu wechseln oder manchmal auch nur tröstend eine Hand zu halten, deren Besitzer im Fieber schwer daniederlag. Doch schon lange vor Ablauf einer Woche waren die meisten Verletzten - sofern sie nicht gestorben waren - so weit auf den Beinen, daß sie ihrer gewohnten Arbeit wieder nachgehen konnten, und bald waren auch die dringendsten Reparaturen abgeschlossen.

Der gewohnte Tagesablauf nahm Besitz von der Komturei und ihren Bewohnern. Abbé und die drei anderen Ritter verbrachten fast die Hälfte des Tages im Gebet. Schließlich rief Abbé sie zu sich, um ihr mitzuteilen, daß sie seiner Meinung nach weit genug genesen sei, um nicht mehr den ganzen Tag über im Bett liegen zu müssen, sondern sich nun nützlich machen könnte. Robin hatte sich ihrer Meinung nach in der vergangenen Woche mehr als nützlich gemacht - um nicht zu sagen, sie hatte bis zum Umfallen gearbeitet - aber da auch Jeromé und die anderen Ritter bei diesem Gespräch anwesend waren, und sie Salims Warnung nicht vergessen hatte, verstand sie Abbés Aufforderung ganz so, wie sie gemeint war: Nicht als die, mehr zu arbeiten, sondern als die, zu bleiben.