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»Du hast das Schwert aufgefangen«, sagte Salim. »Die wenigsten an deiner Stelle hätten es auch nur versucht. Aber du hast es nicht nur getan, du hast dich sogar gewehrt.«

»Was habe ich?«

»Du hast es wahrscheinlich selbst nicht einmal gemerkt, aber du hast es versucht. Ich hatte recht. Du bist eine geborene Kriegerin.«

»Unsinn«, widersprach sie. Sie eine Kriegerin? Am Anfang hatte sie vielleicht geglaubt, daß sie das Kriegshandwerk faszinierte. Wenn sie Abbé und den anderen bei ihren Waffenübungen zugesehen hatte, dann hatte sie eine gewisse Bewunderung verspürt, für die sie sich tief in ihrem Innern geschämt hatte, bis ihr klar wurde, daß es nicht die Gewalt war, die sie faszinierte, sondern vielmehr die Eleganz ihrer Bewegung, die Schnelligkeit und das Geschick, mit dem die Ritter ihre Waffen führten, und ihre Kraft. Die Schlacht um die Komturei hatte das alles geändert, denn sie hatte das andere, wahre Gesicht des Kriegers kennengelernt. Beinahe angewidert schüttelte sie den Kopf.

»Ich erkenne eine verwandte Seele, wenn ich sie treffe«, sagte Salim. »Du bist eine Kriegerin. Und wenn nicht, dann mußt du zu einer werden - wenn du weiterleben willst.«

»Aber das will ich nicht!« protestierte Robin.

»Weiterleben?«

»Das Kämpfen lernen!«

»Aber das kannst du doch längst«, behauptete Salim. »Du konntest es vom Tag deiner Geburt an. Wäre es nicht so, dann hätte der Wahnsinnige dich an jenem Abend in der Kapelle schon umgebracht. Und wenn nicht er, dann spätestens Otto, als er in die Komturei eindrang.«

»Ich hatte Glück«, antwortete Robin. Sie fühlte sich hilflos, und sie wollte, daß Salim damit aufhörte. Vielleicht, weil sie tief in sich spürte, daß seine Worte mehr Wahrheit enthielten, als sie zugeben mochte.

»Glück?« Salim schnaubte. »So etwas gibt es nicht. Man hat dir die Kehle durchgeschnitten, Robin! Soll ich dir sagen, warum du es überlebt hast? Nicht weil du Glück hattest! Weil du eine Löwin bist! Du hast um dein Leben gekämpft. Du wolltest nicht sterben, und du hast dem Tod ins Gesicht gelacht und ihn besiegt! Das Kämpfen muß ich dir nicht beibringen - nur noch, wie man ein Schwert führt und auf einem Pferd reitet.«

»Und wenn ich das nicht ich will?« fragte Robin.

Salim zog es auf die für ihn typische Art vor, ihren Einwand zu überhören. »Ich habe noch einmal mit Abbé über alles geredet«, sagte er. »Er ist nicht begeistert von der Idee, aber er ist genau wie ich der Meinung, daß dein Leben in Gefahr ist, sobald du diese Mauern verläßt - vor allem jetzt, wo Otto entkommen ist und sich vielleicht irgendwo in der Gegend herumtreibt. Deshalb ist er damit einverstanden, daß ich dir zeige, wie du dich deiner Haut wehren kannst. Wir werden hier üben. Hier sind wir ungestört, und es ist besser, wenn die anderen nicht wissen, was wir tun... vor allem Jeromé und die beiden anderen Tempelherren.«

Er ging an Robin vorbei, hob das Schwert auf und reichte es ihr. Sie griff danach, nicht nur, ohne es wirklich zu wollen, sondern beinahe schon gegen ihren Willen, und drehte es hilflos in den Händen.

»Ich ... möchte das nicht«, sagte sie leise. »Es gehört sich nicht. Ich bin kein Mann.«

»Sag das Otto, wenn er das nächste Mal mit einem Messer in der Hand vor dir steht«, antwortete Salim. »Was für ein Unsinn! Wo steht geschrieben, daß du dich nicht deiner Haut wehren darfst, nur weil du kein Mann bist?«

»Aber ich... ich hasse Waffen!« Sie warf das Spielzeugschwert zu Boden. »Ich habe gesehen, was sie anrichten!«

»Dann solltest du besser dafür sorgen, daß du es nicht irgendwann am eigenen Leib erfährst«, antwortete Salim hart. Dann tat er etwas, was Robin nicht verstand, was sie aber zutiefst erschreckte: Er versetzte ihr einen so derben Stoß, daß sie drei oder vier Schritte weit zurücktaumelte und nur mit Mühe ihr Gleichgewicht zurückgewann. Für einen winzigen Moment. Dann setzte Salim ihr nach und stieß sie noch einmal, diesmal so hart, daß sie endgültig die Balance verlor und fiel. Salim setzte ihr abermals nach und streckte die Hand aus, als wolle er nach ihrem Haar greifen und sie daran in die Höhe zerren. Jetzt wälzte sich Robin rasch zur Seite, sprang in die Höhe und holte aus, um nach ihm zu schlagen.

Salim fing ihren Hieb ohne Mühe ab, hielt ihr Handgelenk fest und grinste. »Warum hast du das getan?« fragte er.

»Warum hast du das getan?« gab Robin aufgebracht zurück. »Wieso schlägst du mich?«

»Ich wollte sehen, was du tust«, antwortete Salim. Er hielt ihr Handgelenk immer noch so fest, daß es weh tat, was ihm keineswegs entgehen konnte. Aber er machte immer noch keine Anstalten, sie loszulassen. »Du hast mich nicht enttäuscht. Du hast dich gewehrt. Du hast nicht etwa die Hände vors Gesicht gehoben und angefangen zu wimmern und zu klagen. Du hast dich gewehrt.«

»Und?« Robin versuchte, ihre Hand loszureißen. Salim ließ ihren Arm schließlich auch los, aber erst, als er es wollte.

»Warum wehrst du dich so gegen die Wahrheit?« fragte Salim. »Was ist so schlimm daran? Ich helfe dir!«

»Aber das will ich nicht!« Robin hätte geschrien, wenn sie es gekonnt hätte. »Begreifst du das denn nicht?«

Salim ergriff sie bei den Schultern. »Begreifst du denn nicht, daß du keine Wahl hast?«

»Nein!« Robin versuchte, seinen Arm beiseite zu schlagen, aber ihre Kraft reichte nicht. Salim hielt sie nicht nur weiter fest, sondern begann sie zu allem Überfluß auch noch zu schütteln.

»Wach auf!« sagte er. »Die Frage ist ganz einfach: Willst du weiterleben oder nicht?«

»Laß mich los!« keuchte Robin. Sie geriet in Panik. Sie wußte nicht, was mit ihr geschah. Sie wußte nicht, was Salim mit ihr tat, geschweige denn, warum er es tat. Sie versuchte noch einmal vergeblich, seine Arme abzuschütteln, dann hob sie die Hände und begann mit beiden Fäusten auf seine Brust einzuschlagen.

Und plötzlich brach alles aus ihr heraus. Tränen liefen in einem heißen Strom über ihr Gesicht, und in ihrem Hals war ein bitterer, harter Kloß und ein neuer Schmerz, der ihr fast den Atem nahm. Sie trommelte mit beiden Fäusten auf seine Brust und stammelte dabei unartikulierte, wimmernde Laute. Salim ließ es geschehen. Erst als sie versuchte, auch nach seinem Gesicht zu schlagen, drehte er den Kopf zur Seite, wehrte sich aber immer noch nicht, sondern zog sie nur näher an sich heran, so daß ihr kein Platz mehr blieb, um auszuholen, sondern sie nur noch schwächlich mit den Fäusten gegen seine Brust boxen konnte.

»Laß mich los!« wimmerte sie. »Laß los! Ich... ich will das nicht! Ich will eure Schwerter und Keulen nicht! Ich will eure Waffen nicht, und eure ... eure Mildtätigkeit. Ich will auch nicht hier sein! Ich will zurück nach Hause!«

Und endlich war es heraus. Ihre Kräfte erlahmten, und statt weiter auf ihn einzuschlagen, sank sie unter noch heftigerem Weinen plötzlich gegen Salims Brust. All der Schmerz, den sie in den vergangenen drei Wochen in sich hineingefressen hatte, aller Kummer und das ganze Leid, die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die bisher einfach nicht hatten kommen wollen, waren mit einem Male da, jäher und hundertmal schlimmer, als sie es sich auch nur hätte vorstellen können. Der Schmerz schien ihre Brust zerreißen zu wollen.

»Allah sei Dank«, murmelte Salim. Er drückte sie noch fester an sich, löste die Rechte von ihrer Schulter und strich zärtlich mit den Fingern über ihr Haar, fast ohne sie dabei wirklich zu berühren. »Ich hatte schon Angst, daß es niemals kommt. Es gibt nichts Schlimmeres als Schmerz, den man nicht herausläßt. Er frißt einen von innen auf.«

»Ich will weg«, schluchzte Robin. »Bring mich fort, Salim! Bitte! Ich möchte nach Hause!«

»Du hast kein Zuhause mehr, Robin«, antwortete Salim leise. »Es existiert nicht mehr. Du kannst nicht dorthin zurück. Sowenig wie ich.« Seine Hand hörte auf, über ihr Haar zu streichen, und berührte beinahe noch sanfter ihre Wange. »Ich weiß, das tut weh. Auch ich kenne diesen Schmerz. Ich weiß, wie schlimm er ist und wie tiefer geht. Und manchmal glaube ich, daß er niemals ganz vergeht. Aber man gewöhnt sich daran. Und irgendwann spürt man ihn kaum noch.«