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Robin nickte abermals, auch wenn sie Jeromés Entrüstung nicht vollständig verstand. Selbst wenn sich Salim und sie der fleischlichen Lust hingegeben hätten, wie Jeromé offensichtlich glaubte, wäre das doch harmlos im Vergleich zu dem Morden und Töten, das in den letzten Wochen stattgefunden hatte, und im Vergleich zu der Lüge, mit der Jeromé höchstpersönlich dafür gesorgt hatte, daß der feige Mörder Gernot von Elmstatt noch immer frei und unbescholten herumlaufen konnte.

Der Tempelritter atmete hörbar ein und schwieg einen Moment. Als er weitersprach, klang seine Stimme merklich ruhiger; beinahe schon versöhnlich. »Mein liebes Kind, ich glaube, du verstehst gar nicht, was ich dir sagen will. Dieser Sklave ist ein Heide. Schlimmer noch, ein Muselmane, und damit Gottes und unser aller erklärter Feind! Dich ihm hinzugeben ist mehr als eine kleine Sünde. Man könnte es als Ketzerei bezeichnen. Hast du dich ihm schon gänzlich hingegeben?«

»Nein!« antwortete Robin erschrocken. »Wir haben nur...«

Jeromé schnitt ihr mit einer raschen Handbewegung das Wort ab. »Ich will nicht wissen, was ihr getan habt«, sagte er. »Wenn du die Wahrheit sagst und du wirklich noch unberührt bist, dann ist deine Seele vielleicht noch nicht gänzlich verloren. Aber du mußt Buße tun. Du wirst dich nicht weiter mit diesem Sklaven treffen, und du wirst bis zum nächsten Freitag zweihundert Rosenkränze beten. Was mit Salim zu geschehen hat, werde ich noch entscheiden.«

Er seufzte, schob einen Stuhl zurück und setzte sich nun doch. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, vergrub sein Gesicht in den Händen und seufzte mehrmals hintereinander und sehr tief. Robin vermochte nicht zu sagen, ob er auf diese Weise betete oder einfach nur seine Gedanken sammelte - aber sie hatte zugleich auch das Gefühl, daß es womöglich nichts von alledem war, sondern nur ein genau einstudiertes Schauspiel, um sie einzuschüchtern, und daß er in Wahrheit etwas vollkommen anderes von ihr wollte.

Aber was?

»Was soll ich nur mit dir tun, Kind?« murmelte er. Erst danach nahm er die Hände herunter, seufzte noch einmal und sah sie bekümmert an. »Kannst du mir das sagen?«

»Ich... ich verstehe nicht«, sagte Robin stockend.

»Und wie könntest du auch«, seufzte Jeromé. »Sag mir, Kind: Magst du Bruder Abbé?«

Robin sah ihn alarmiert an. Sie nickte, sagte aber nichts. Doch sie spürte, daß sie sich jetzt jedes Wort, das sie sprach, doppelt gründlich überlegen mußte; nicht nur um ihretwillen.

»Dann solltest du vielleicht wissen, in welch große Schwierigkeiten du ihn bringst«, fuhr Jeromé fort. »Du bist eine Gefahr für ihn, weißt du das? Für uns alle hier, aber für ihn am allermeisten.«

»Eine ... Gefahr?«

»Du verstehst es nicht einmal, wie?« fragte Jeromé mit einem traurigen Lächeln. »Du dürftest nicht hier sein. Allein deine Anwesenheit hier verstößt gegen unsere Regeln, und das aufs schwerste. Käme allein diese Tatsache den falschen Leuten zu Ohren, so wäre es um ihn geschehen. Er würde in Ungnade fallen, möglicherweise mit Schimpf und Schande davongejagt - oder Schlimmeres.«

»Wollt Ihr, daß ich fortgehe?« fragte Robin.

»Wenn es nur so einfach wäre«, seufzte Jeromé und schüttelte den Kopf. »Bei allem ist es doch so, daß wir dich brauchen. Der Mord an deiner Familie und allen anderen aus deinem Dorf darf nicht ungesühnt bleiben, und du bist nun einmal die einzige, die weiß, was wirklich geschehen ist. Es wird eine Untersuchung geben, sowohl von weltlicher als auch kirchlicher Seite. Und jetzt, wo Otto entkommen ist, ist dies nun einmal der einzige Ort, an dem du sicher bist. Siehst du nun das Dilemma, in dem wir uns alle befinden?«

»Ich glaube, ja«, antwortete Robin. »Ich werde wieder lügen müssen.«

In Jeromés Augen blitzte es kurz und zornig auf, aber er beherrschte sich. »Manchmal ist es der Wahrheit dienlicher, sie nicht sofort auszusprechen, sondern den richtigen Moment abzuwarten«, sagte er. »Wichtig ist, daß wir die Wahrheit kennen.« Seine Stimme wurde eine Winzigkeit schärfer. »Kennen wir sie?«

»Herr?«

»Ich möchte gerne glauben, daß alles nur gelogen ist«, sagte Jeromé. »Aber ist es das? Diese böse Verleumdung über einen der unseren, der sich angeblich mit einer Frau aus eurem Dorf getroffen hat... ist es wirklich nur eine Verleumdung?«

»Das weiß ich nicht, Herr.« Robin wich seinem Blick aus.

»Und eben das zu glauben, fällt mir schwer«, sagte Jeromé. »Du kannst mir die Wahrheit sagen. Ich habe nicht vor, sie gegen jemanden zu benutzen, wenn es das ist, was du fürchtest. Wenn einer unserer Brüder wirklich vom rechten Weg abgekommen ist, so wird dieses Geheimnis diesen Raum hier nicht verlassen, darauf hast du mein Wort. Aber ich muß die Wahrheit wissen, um uns alle zu schützen.«

»Aber ich sage die Wahrheit!«

Jeromés Stimme wurde wieder eine Spur schärfer. »Du hast schon einmal gelogen«, sagte er.

Das war so ungeheuerlich - und zugleich so unverfroren! -, daß es Robin im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlug und sie Jeromé nur mit offenem Mund anstarren konnte. Erst nach einer geraumen Weile war sie überhaupt fähig, auch nur ein paar fast gestammelte Worte hervorzubringen. »Aber... aber Ihr... Ihr habt es doch selbst von mir verlangt!«

»Und wer hat von dir verlangt, nicht zu verraten, daß du ihn in eurem Dorf gesehen hast?« wollte Jeromé wissen.

Robin schossen die Tränen in die Augen - Tränen der Wut und des Zorns, nicht der Angst. Jeromé konnte das allerdings nicht wissen, und so sah er für einen kleinen Augenblick deutlich zufrieden aus, glaubte er Robin doch nun genau da zu haben, wo er sie haben wollte.

Am liebsten wäre sie aufgesprungen und einfach aus dem Zimmer gelaufen, ganz egal, was Jeromé gesagt hätte. Warum quälte er sie so? Er wußte die Wahrheit doch sowieso!

»Wen willst du schützen?« fragte Jeromé geradeheraus. Warum sagte sie es ihm eigentlich nicht? Sie war Abbé nichts schuldig. Was er für sie getan hatte, war nichts im Vergleich mit dem, was ihr durch seine Schuld angetan worden war. Wenn hier jemand in der Schuld eines anderen stand, dann er in ihrer.

Die Tür flog auf, und Abbé stürmte herein. »Was geht hier vor?« fragte er scharf. Jeromé wollte antworten, aber Abbé ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen, sondern fuhr in noch schärferem, fast schon schreiendem Ton fort: »Wer hat Euch die Erlaubnis gegeben, Robin zu verhören?«

»Ich habe sie nicht verhört«, verteidigte sich Jeromé. »Ich habe lediglich...«

»Schweigt!« unterbrach ihn Abbé. Jeromé wollte aufstehen, aber Abbé machte eine zornige Handbewegung, die ihm nicht nur das Wort abschnitt, sondern ihn die begonnene Bewegung auch nicht zu Ende führen ließ, so daß er wieder auf den Stuhl sank. Obwohl er weiter stocksteif aufgerichtet und mit gestrafften Schultern dasaß und mit unbewegtem Gesicht zu Bruder Abbé aufsah, schien er gleichsam in sich zusammenzusinken.

Abbé wandte sich an Robin. »Geh hinaus!«

Robin sprang auf, rannte regelrecht aus dem Raum und warf die Tür hinter sich zu. Als sie weiterstürmen wollte, wäre sie um ein Haar gegen Salim geprallt.

»Das war Rettung im letzten Augenblick, wie?« fragte er grinsend.

»Ja«, antwortete Robin verwirrt. »Wenn Bruder Abbé nicht gekommen wäre ...« Sie unterbrach sich, als sie Salims Stirnrunzeln bemerkte. »Hast du etwa... ?«

»Wer, glaubst du, hat ihm gesagt, wo er dich findet?«

Robin wollte etwas darauf erwidern, aber Salim schüttelte rasch den Kopf und ergriff sie bei den Schultern. »Nicht hier«, sagte er. »Sie werden es nicht schätzen, belauscht zu werden.«

Das hatte Robin nicht vor. Aber obwohl die Tür hinter ihnen sehr dick war, konnte sie Abbés Stimme mittlerweile wieder deutlich hören, und auch wenn sie die Worte nicht verstand, so war doch deutlich, daß er jetzt wirklich schrie. In jener Nacht im Turm, da hatte sie geglaubt, daß Abbés Kampfeswille ein für allemal und unwiderruflich gebrochen war. Ein fataler Irrtum, dem auch Jeromé offenbar erlegen war.