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Er ging durch.

»Festhalten!« schrie Salim. »Halt dich fest!«

Robin klammerte sich mit aller Kraft an den Zügeln fest. Wahrscheinlich machte sie damit alles nur noch schlimmer, aber sie konnte nicht anders. Aus ihrer Angst wurde von einem Lidzucken zum anderen nackte Panik. Sie preßte die Schenkel mit aller Gewalt gegen den Pferdeleib, krallte sich in die Zügel und beugte sich weit über den Hals des Tieres, um irgendwie ihr Gleichgewicht zu halten.

»Anhaltenl« schrie sie. »Halt an! Sofortl«

Ihr Schrei schien es eher schlimmer zu machen. Der Hengst griff mit gewaltigen Sätzen aus. Der Boden schien nur noch so unter ihr hinwegzufliegen. Salim spornte Shalima zu noch größerer Schnelligkeit an, streckte den Arm aus, so weit er konnte, und versuchte wieder, nach Robins Zaumzeug zu greifen. Er verfehlte es, und der Hengst schien sein Tempo noch einmal zu steigern. Die Hügel und der Waldrand sprengten ihnen regelrecht entgegen. Robin riß und zerrte immer verzweifelter am Zaumzeug, aber das Pferd wurde nur noch schneller, und sie konnte sich jetzt nur noch mit allergrößter Mühe im Sattel halten.

Salim versuchte zum dritten Mal, die Zügel zu fassen, aber seine Hand griff auch diesmal ins Leere, dann hatte der Hengst den Waldrand erreicht, und Salim mußte notgedrungen zurückfallen.

Obwohl Unterholz und Gebüsch gerade am Waldrand so dicht waren, daß ein Durchkommen fast unmöglich schien, preschte der Hengst mit unvermindertem Tempo weiter. Zweige und tiefhängendes Geäst schrammten über Robins Arme und Beine, zerrissen ihre Kleider und peitschten ihr Haar. Robin riß schützend den rechten Arm vors Gesicht, aber es nutzte nichts. Der Hengst jagte noch immer wie von Sinnen dahin, und der Wald wurde immer dichter. Manchmal schienen die Lücken zwischen den Bäumen kaum breit genug, um das Tier hindurchzulassen, und manche Äste trafen sie mit der Gewalt von Fausthieben. Das Pferd wieherte schrill vor Schmerz und Panik, wurde aber immer noch nicht langsamer. Es konnte nur noch Augenblicke dauern, bis es gegen einen Baum prallte oder Robin einfach von seinem Rücken gefegt wurde. Hinter ihr schrie Salim, und sie hörte an dem anhaltenden Splittern und Krachen, daß er seine Stute rücksichtslos durch das Unterholz peitschte, um mit ihr Schritt zu halten.

Schließlich kam es, wie es kommen mußte: Der Hengst streifte einen Baumstamm, wieherte vor Schmerz und Schrecken und geriet ins Straucheln, und Robin wurde mit unglaublicher Kraft von seinem Rücken und im hohen Bogen durch die Luft geschleudert. Noch bevor sie zu Boden fiel, sah sie, wie der Hengst endgültig das Gleichgewicht verlor und ebenfalls stürzte.

Sie schlug schwer auf dem Waldboden auf, überschlug sich drei-, vier-, fünfrnal hintereinander und wäre wahrscheinlich noch weiter gerollt, hätte nicht ein Busch ihrem Sturz ein jähes Ende bereitet.

Salim sprang aus dem Sattel, noch bevor sein Pferd auch nur sichtbar langsamer geworden war, und war mit wenigen, gewaltigen Sätzen bei ihr. »Robin! Liebste! Bei Allah! Ist dir etwas passiert?«

Robin richtete sich benommen auf und verzog das Gesicht, als ein stechender Schmerz durch ihr verlängertes Rückgrat fuhr. In ihren Ohren rauschte das Blut.

»Ist dir etwas passiert?« keuchte Salim. »Robin!«

Robin schüttelte noch immer benommen den Kopf und griff nach Salims hilfreich ausgestreckter Hand, aber sie ignorierte sowohl seine besorgten Blicke als auch die fast komisch anmutenden Gesten, mit denen er sie zurückzuhalten versuchte, sondern schob ihn einfach zur Seite und humpelte auf den gestürzten Hengst zu.

Das Tier wieherte kläglich, versuchte zwei- oder dreimal vergeblich, auf die Beine zu kommen und schaffte es erst, als Robin nach seinem Zaumzeug griff und ihm half - auch wenn es natürlich nur eine rein symbolische Geste war.

»Ist dir etwas passiert?« fragte sie. »Du darfst nicht verletzt sein, bitte nicht!« Sie wußte, daß ein Sturz für ein Pferd fatale Folgen haben konnte, wenn nicht tödliche - vor allem bei dieser Geschwindigkeit. Wenn sich der Hengst ein Bein gebrochen hatte, dann war es um ihn geschehen, und das durfte nicht geschehen, nicht jetzt, nicht, wo sie ihn gerade erst bekommen hatte!

»Verdammt noch mal!« Salim riß sie grob an der Schulter herum. »Was machst du dir Sorgen um dieses Pferd? Ist dir etwas passiert?!«

Robin schüttelte den Kopf und versuchte, seine Hände einfach abzustreifen, aber er verstärkte seinen Griff nur, so daß es nun fast weh tat. Er würde sie nicht eher loslassen, bis er eine Antwort bekommen hatte.

»Mir ist nichts passiert«, behauptete sie - ohne ganz sicher zu sein, daß das auch wirklich stimmte. Ihr tat nichts Bestimmtes weh, aber ihr ganzer Körper fühlte sich taub an, und ihre Finger- und Zehenspitzen kribbelten fast unerträglich.

»Laß mich los!« sagte sie wütend. »Ich muß nach Wirbelwind sehen!«

»Wirbelwind?«

Da Salim immer noch nicht reagierte, riß sie ihren Arm nun gewaltsam los und wandte sich wieder dem Hengst zu. »Wirbelwind«, bestätigte sie. »Du hast doch selbst gesagt, daß ich mir einen Namen für ihn aussuchen soll, oder?«

Besorgt musterte sie den Hengst. Sein geschecktes Fell war zerschunden und zerkratzt. Aus einigen besonders tiefen Schrammen sickerte Blut, und er schien nicht richtig auf der Stelle stehen zu können, sondern zog immer wieder den linken Vorderhuf an. Er war am ganzen Leib in Schweiß gebadet. Flockiger weißer Schaum tropfte aus seinem Maul, und sein Atem ging pfeifend.

Salim maß sie mit einem sonderbaren Blick, trat aber dann wortlos an ihr vorbei und ließ sich neben dem Hengst auf die Knie sinken. Mit schnellen, sehr routiniert wirkenden Bewegungen tastete er seine Fesseln ab und stand dann auf, um prüfend mit der Hand über die Flanke und schließlich über den Hals des Tieres zu fahren.

»Er hat sich nichts gebrochen«, sagte er, »und die paar Kratzer sind rasch verheilt. Aber das war pures Glück. Er hätte sich dabei umbringen können. Du hättest dich umbringen können, verdammt!« Seine Augen blitzten vor Zorn, als er sich zu ihr herumdrehte.

»Aber ich habe doch gar nichts getan!« verteidigte sich Robin.

»Du hast die Nerven verloren«, erwiderte Salim. »Du warst leichtsinnig und bist in Panik geraten, als du gemerkt hast, daß du mit der Situation nicht mehr fertig wirst. Und das darf einfach nicht passieren, verstehst du? Ein Pferd spürt die Gefühle seines Reiters ganz genau. Du darfst niemals die Kontrolle über dich verlieren, oder du verlierst die Kontrolle über dein Tier. Hast du das verstanden?«

»Ja«, antwortete Robin.

»Gut.« Salim sah nicht überzeugt aus, aber er beließ es dabei. »Dann laß mich jetzt sehen, wie es dir geht.«

Robin wich einen Schritt zurück, als er nach ihr greifen wollte. Salim blinzelte überrascht und sah plötzlich ein bißchen verletzt aus.

»Entschuldige«, sagte Robin. »Aber mir fehlt wirklich nichts. Ich habe Glück gehabt.«

Salim hüllte sich in beleidigtes Schweigen, und Robins schlechtes Gewissen begann sich zu regen. Salim war wirklich in Sorge um sie. »Bitte entschuldige«, sagte sie noch einmal. »Ich war nur... nur erschrocken.«

»Dazu hast du auch allen Grund«, knurrte Salim. »Ich glaube, dir ist gar nicht klar, was für ein Glück du gehabt hast. Als ich gesehen habe, wie du gestürzt bist, da... da habe ich schon das Schlimmste befürchtet!«

»Zu früh gefreut«, antwortete Robin. »So schnell wirst du mich nicht los.« Salim blieb ernst und sah sie nur wortlos und auf eine Art an, die Robin fast unangenehm war. Vielleicht, weil sie sie nicht zu deuten vermochte.