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Ihr Unterricht nahm allerdings immer mehr Zeit in Anspruch, so daß ihr folgerichtig immer weniger Zeit blieb, ihren Pflichten in der Komturei nachzukommen. Abbé entging dieser Umstand natürlich keineswegs, aber da weder er noch einer der anderen Tempelritter auch nur eine entsprechende Bemerkung machten, unterstellte Robin ihnen eine Art stillschweigendes Einverständnis.

Es war eine ziemlich naive Vorstellung, und das sollte sie auch bald zu spüren bekommen.

Seit zwei Tagen befanden sich Gäste in der Komturei. Im ersten Moment war Robin fast zu Tode erschrocken, als sie das knappe Dutzend schwerbewaffneter Reiter sah, das unter dem verhaßten Banner Elmstatts durch das Tor geritten kam. Sie erkannte sofort Gunthar von Elmstatt selbst und an seiner Seite Sohn Gernot, dessen Arm wieder geheilt zu sein schien, denn er trug ihn nun nicht mehr in einer Schlinge. Zu ihrer nicht geringen Überraschung sah sie unter den Reitern auch einen Mann im unverkennbaren Weiß und Rot der Tempelritter - was so ungefähr das letzte war, was sie erwartet hätte.

Dann erinnerte sie sich an das, was Jeromé ihr erzählt hatte - es würde eine offizielle Untersuchung der Vorfälle geben, die zu Gunthars Sturm auf die Komturei geführt hatten, und zwar sowohl von weltlicher als auch von kirchlicher Seite. Vielleicht war dies die Untersuchungskommission, oder zumindest ein Teil davon. Und das wiederum würde bedeuten, daß man auch sie wieder herbeizitieren und hochnotpeinlich verhören würde.

Robin beobachtete das Geschehen mit klopfendem Herzen von ihrem Fenster aus. Ihre Gedanken jagten sich, und die verschiedensten Ideen schossen ihr durch den Kopf- eine schlechter als die andere, und eine so undurchführbar wie die andere. Sie wünschte sich, sie wäre nicht hier - und für einen Moment geriet sie so in Panik, daß sie ernsthaft mit dem Gedanken spielte, einfach davonzulaufen. Aber wie weit würde sie kommen? Und vor allem: In welche Schwierigkeiten würde sie Abbé damit bringen?

Sie sah mit angehaltenem Atem zu, wie Abbé und ein zweiter Tempelritter - sie nahm an, daß es Bruder Xavier war, war sich aber nicht ganz sicher - den Gästen entgegentraten und sie nach einer ebenso umständlichen wie gestenreichen Begrüßung ins Haupthaus führten, während sich eine Anzahl Bediensteter um die Pferde der Besucher kümmerte. Kurz bevor Abbé durch die Tür entschwand, blieb er noch einmal stehen und blickte wie zufällig in ihre Richtung. Wollte er ihr damit etwas sagen? Vermutlich. Aber sie hatte keine Ahnung, was.

Robin mußte sich noch eine gute halbe Stunde gedulden, bevor sie die Antwort auf diese Frage bekam.

Es war Salim, der sie ihr übermittelte. Noch bevor er ihre Kammer betrat, erkannte sie seinen leichtfüßigen schnellen Schritt draußen auf dem Gang, und aus ihrem unguten Gefühl wurde für einen Moment so etwas wie echte Angst. Sie war sich fast sicher, daß Salim nur geschickt worden war, um sie zu Abbé und den anderen zu bringen; vielleicht auch, um ihr vorher noch genaue Anweisungen zu erteilen, was sie zu sagen hatte und was sie unerwähnt lassen sollte.

Statt dessen aber trat Salim mit einem strahlenden Lächeln und sichtbar aufgeräumter Stimmung durch die Tür und sagte: »Gute Nachrichten, Liebste. Wir haben den ganzen Tag frei für uns. Vielleicht sogar zwei.«

Robin blinzelte verwirrt. Seit jenem Tag nannte Salim sie oft Liebste - allerdings nur, wenn sie allein waren - aber er tat es stets in einem Ton, der klar machte, daß er sie nur necken wollte, und sie reagierte schon seit langem nicht mehr darauf.

»Wie meinst du das?«

»Ich meine gar nichts«, antwortete Salim, während er sich aufmerksam im Zimmer umsah, so als suche er etwas. »Es ist Bruder Abbés ausdrücklicher Wunsch, daß ich dir den ganzen Tag Unterricht im Reiten erteile - oder worin auch immer ich will.« Er nickte und grinste dabei noch breiter, wodurch er nun wieder wie ein zu groß geratener Junge aussah, der sich gerade einen besonders raffinierten Streich ausgedacht hatte. »Das waren ganz genau seine Worte. Und er hat noch hinzugefügt: Hauptsache, ihr laßt euch vor Sonnenuntergang hier nicht wieder blicken.«

Robin war überrascht. Salims Worte erfüllten sie mit großer Erleichterung, aber auch ziemlicher Verwirrung. Hatte Abbé ihr nicht erklärt, daß sie wohl oder übel hier in der Komturei zu bleiben hatte, bis die offizielle Untersuchung der Vorgänge abgeschlossen war? Und nun schickte er sie gerade dann weg, als diese Untersuchung begann?

»Das verstehe ich nicht«, sagte sie.

»Das mußt du auch nicht«, antwortete Salim. »Statt dessen solltest du dich freuen. Wir haben den ganzen Tag für uns.« Er drehte sich herum und ging zur Tür. »Ich warte bei der Koppel auf dich. Komm in ein paar Augenblicken nach. Ach ja: Zieh dein Gewand aus. Abbé möchte nicht, daß du auffällst, wenn du über den Hof gehst.«

Robin sah ihm leicht verwirrt nach, tat aber dann, wie ihr geheißen wurde, und schlüpfte aus ihrem Gewand, um statt dessen das graue, sackähnliche Etwas anzuziehen, das Abbé ihr gegeben hatte. Sie hatte das Gefühl, daß sie darin noch mehr auffallen würde, aber sie verstand Abbés Beweggründe durchaus. Sie tat sogar noch ein übriges und wartete nicht nur eine geraume Weile ab, nachdem Salim gegangen war, sondern verließ die Komturei auch danach nicht durch das Tor, sondern durch eine schmale Tür auf der anderen Seite des Hofes, die schon seit Jahren kaum noch benutzt wurde, und die sie nur durch Zufall bei einem ihrer Streifzüge entdeckt hatte.

Sie mußte fast den ganzen Hof umrunden, mit dem Ergebnis, daß alles in allem beinahe eine halbe Stunde verging, bis sie die Pferdekoppel erreichte. Salim erwartete sie nicht nur voller Ungeduld, sondern auch mit finsterer Miene, von der sie nicht ganz sicher war, ob sie tatsächlich nur gespielt war oder nicht. So, wie sie sich überhaupt bei vielem nie ganz sicher war, was Salim sagte oder tat.

»Wo bleibst du so lange?« empfing er sie grob. »Ich war schon in Sorge um dich!«

»Dann solltest du erleichtert sein und mich nicht schelten.« Robin deutete auf Shalima und Wirbelwind, die nebeneinander auf der Außenseite der Koppel angebunden waren. »Wie ich sehe, hast du die Zeit ja nicht unnütz verstreichen lassen.« Die beiden Pferde waren bereits gesattelt und aufgezäumt. Salims Schild hing an Shalimas Sattel, und auch der Hengst trug eine kriegerische Last: Waffengurt und Schwert, und auf der anderen Seite einen großen dreieckigen Schild mit dem roten Tatzenkreuz der Tempelritter. Robin blickte fragend.

»Wir üben heute den Kampf zu Pferde«, beantwortete Salim ihre unausgesprochene Frage. »Aber es ist besser, wir reiten erst ein Stück. Ich glaube nicht, daß es Abbé recht wäre, wenn uns einer seiner Gäste zufällig dabei beobachtet.«

Robin löste Wirbelwinds Zügel vom Zaum, strich dem Hengst zärtlich mit der Hand über die Nüstern, wie sie es immer zur Begrüßung tat, und nach einer Weile fragte sie:

»Warum tust du das?«

»Was?«

Robin machte eine ausholende Handbewegung. »Das alles hier. Du lehrst mich das Reiten, das Kämpfen...«

»Das Lieben«, sagte Salim grinsend.

»...mich zu benehmen wie ein Mann«, schloß Robin ungerührt. »Du bildest mich zu einem Ritter aus.«

»Und?« fragte Salim. »Bisher hatte ich das Gefühl, daß es dir Spaß macht.«

»Das tut es ja auch«, antwortete Robin. »Ich frage mich nur, warum. Es gibt keine weiblichen Tempelritter.«

»Wenn es dir lieber ist, kann ich dir auch zeigen, wie die Weiber in meiner Heimat Stoffe färben und die Kinder wickeln«, sagte Salim spöttisch. »Wer zuerst am Waldrand ist!«

Er ließ die Zügel knallen, und Shalima warf den Kopf in den Nacken und schoß wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil los, und nur einen Moment später ließ auch Robin Wirbelwind losschnellen, so daß sie den Weg zum Wald hin in einem rasenden Galopp zurücklegten, bei dem Robin es schon fast wieder ein bißchen mit der Angst zu tun bekam. Aber sie unterdrückte ihre Furcht; schon deshalb, damit Wirbelwind ihre Gefühle nicht spürte und nervös wurde.