Kurz bevor er den Wald erreichte, schwenkte Salim nach links und ließ das Pferd noch schneller ausgreifen. Auch Robin versuchte - trotz des unguten Gefühls, das sie hatte - Wirbelwind zu einer noch schnelleren Gangart anzutreiben. Der Waldrand flog nur noch so an ihnen vorüber, und als Salim endlich anhielt, da waren nicht nur die Pferde verschwitzt und vollkommen außer Atem, sondern auch ihre Reiter. Der Hengst und die schwarze Stute tänzelten aufgeregt auf der Stelle, so daß Robin und Salim einige Mühe hatten, sie ruhig zu halten.
Sie hatten sich ein gutes Stück von der Komturei entfernt, aber für Salims Geschmack offenbar noch nicht weit genug. Er deutete nach vorne, beugte sich gleichzeitig zur Seite und löste den Schild von seinem Sattelgurt. »Hinter dem Waldrand«, sagte er. »Nimm deinen Schild. Und sei auf der Hut.«
Er sprengte weiter, und Robin sah, daß er sein Schwert aus dem Gürtel zog, bevor er hinter dem Grün verschwand. Wenigstens wußte sie jetzt, was er gemeint hatte, als er ihr riet, auf der Hut zu sein. Sie griff nach ihrem eigenen Schild, befestigte ihn mit einiger Mühe an ihrem linken Arm und zog ebenfalls das Schwert, bevor sie Wirbelwind antraben ließ.
Obwohl Salim sie vorgewarnt hatte, traf sein Angriff sie vollkommen überraschend. Ganz in Schwarz gekleidet und auf seinem nachtschwarzen Pferd war er regelrecht mit dem Waldrand verschmolzen und tauchte wie aus dem Nichts auf. Sein Schwert stocherte nach ihr. Robin hob instinktiv den Schild, und Salims Klinge glitt mit einem Geräusch daran ab, das ihr ein eisiges Prickeln über den Rücken laufen ließ.
Sie versuchte zurückzuschlagen, aber Salim war bereits wieder außerhalb ihrer Reichweite. Er ließ Shalima zwei oder drei Schritte weit rückwärts tänzeln, kam dann wieder heran und führte diesmal einen geraden Stich aus. Irgendwie gelang es Robin, ihn zu parieren, aber sie verlor durch die hastige Bewegung fast das Gleichgewicht, und Salim hätte sie ohne Mühe aus dem Sattel stoßen können, wenn er es gewollt hätte.
Er verzichtete darauf, sondern wich wieder zurück und begann sie zu umkreisen. Seine Hiebe prasselten in immer schnellerem Rhythmus auf sie herab. Schon nach wenigen Augenblicken war ihr linker Arm taub, und es fiel ihr schwer, Salims Schwerthiebe abzufangen oder ihnen wenigstens auszuweichen. Dabei gab sich Salim alle Mühe, sie nicht wirklich zu treffen.
Robin war bald nicht nur vollkommen erschöpft, sondern auch der Verzweiflung nahe. Es war bei weitem nicht das erste Mal, daß sie mit Schwert und Schild kämpften, aber es waren zwei grundverschiedene Dinge, dies mit beiden Beinen auf dem sicheren Boden zu tun oder auf einem wild hin und her wankenden Pferderücken. Dazu kam, daß Salim kaum noch Rücksicht zu nehmen schien. Seine Schläge kamen immer schneller, und sie wurden spürbar härter. Zwei- oder dreimal traf er sie sogar, und sie trug nur deshalb keine schwere Verletzung davon, weil Salim die Waffe jedesmal im letzten Moment drehte, so daß sie nur die Breitseite der Klinge traf. Dabei handelte sie sich jede Menge schmerzhafte Prellungen und blaue Flecken ein.
Schließlich gab sie einfach auf und ließ Schwert und Schild sinken - just in dem Moment, in dem Salim einen weiteren Hieb führte. Im letzten Moment riß er die Klinge zurück und sog erschrocken die Luft ein.
»Bist du verrückt?« keuchte er. »Soll ich dich umbringen?!«
»Das versuchst du doch die ganze Zeit schon«, schnappte Robin. »Ich kann das nicht!«
»Darauf falle ich nicht rein«, sagte Salim. »Jedesmal, wenn du das sagst, tun mir hinterher ein paar Tage lang alle Knochen weh. Wehr dich - und noch ein kleiner Tip: Man kann auch einen Schild als Waffe benutzen.«
Er täuschte einen Schwerthieb an. Als Robin ihren Schild hochriß, um seine Klinge abzulenken, stieß er plötzlich mit seinem eigenen Schild zu. Der Zusammenprall brachte Robin aus dem Gleichgewicht. Sie kämpfte mit wild rudernden Armen und wenig damenhaft fluchend um ihre Balance, erlangte sie irgendwie zurück und schlug in jäher Wut nach Salim.
Der Tuareg lachte und schlug ihr Schwert mit seinem eigenen Schild zur Seite, und das war endgültig zuviel. Robin wurde vom Schwung ihrer eigenen Bewegung und vor allem des Gewichts des Schwertes nach vorne gerissen, fiel aus dem Sattel und landete schwer im Gras.
Als sie aufsah, blickte sie direkt in Salims unverschämt grinsendes Gesicht. »Hast du dir weh getan?« fragte er fröhlich.
»Kaum.« Robin gab sich Mühe, ihn mit Blicken aufzuspießen, tat so, als spucke sie einen Mund voll Gras aus und stemmte sich in die Höhe. Der Schild war ihr zwar vom Arm geglitten, lag aber unmittelbar neben ihr im Gras, doch das Schwert war ein gutes Stück davongeflogen. Als sie hinüber ging und sich danach bücken wollte, schüttelte Salim den Kopf und sprang aus dem Sattel.
»Laß es liegen«, sagte er. »Ich glaube, du hast recht - dieses Schwert ist einfach zu schwer für dich. Hier - probier einmal das aus.«
Er löste einen länglichen, in graues Tuch eingeschlagenen Gegenstand von seinem Sattel, warf ihn ihr zu und machte eine auffordernde Kopfbewegung, ihn auszupacken.
Als Robin es tat, kam ein nicht ganz armlanges, schmales Schwert zum Vorschein.
Es dauerte einen Moment, bevor sie es überhaupt erkannte. Die beidseitige Schneide war sorgsam poliert und geschärft worden, hatte aber jetzt einen sonderbaren, bläulichen Schimmer. Die Parierstange glänzte in einem Farbton wie Kupfer und Gold, und der Griff war mit feinstem Leder neu umwickelt worden.
»Aber das ist doch...«
»Ich war in deinem Dorf«, sagte Salim. Er hob die Schultern. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich es gefunden hatte, und es ist auch nicht mehr ganz so wie früher. Es hat im Feuer gelegen, weißt du? Der Schild ist völlig verbrannt, fürchte ich. Aber wenigstens hast du jetzt das Schwert deines Vaters zurück.«
Es war tatsächlich das Schwert des englischen Soldaten, des Mannes, der ihr Vater gewesen sein sollte. Robin hatte die Waffe noch nie in einem solchen Zustand gesehen, trotz der blauen Verfärbung, die das Feuer darauf hinterlassen hatte. Es hatte zeit ihres Lebens an der Wand über ihrem Bett gehangen, im Laufe der Jahre aber Staub und Flecken angesetzt, so daß es nach und nach unansehnlich geworden war, und obwohl Robins Mutter eine sehr reinliche Frau gewesen war, hatte sie das Schwert niemals sauber gemacht, und Robin hatte auch irgendwann begriffen, warum. Sie hatte nicht gewagt, es zu berühren.
»Probier es aus«, sagte Salim. »Nur keine Angst. Es ist vollkommen in Ordnung. Das Feuer hat es nur härter gemacht.«
Robin warf das Tuch zu Boden und ergriff das Schwert fest mit der rechten Hand. Es war viel schmaler und damit leichter als die wuchtigen Breitschwerter der Tempelritter, mit denen sie bisher geübt hatte, und es fühlte sich... besser an. Robin ließ die Klinge ein paarmal prüfend durch die Luft sausen. Sie spürte ihr Gewicht kaum.
»Besser?« fragte Salim.
Ob es besser war? Robin war im ersten Moment nicht einmal in der Lage zu antworten. Sie war einfach überglücklich. Gewiß nicht, weil dieses Schwert um so vieles besser in ihrer Hand lag. Salim hatte ihr einen Teil ihrer Vergangenheit zurückgebracht, alles, was ihr von ihrem Leben überhaupt noch geblieben war. Für sie war dieses Schwert niemals eine Waffe gewesen, sondern ein Gegenstand, der zu einer vollkommen anderen, fremden Welt gehörte, und für ihre Mutter zugleich ein Symbol für etwas, das Robin nie verstanden hatte, das für sie aber von ungeheurem Wert gewesen war. Nun aber war es zu etwas anderem geworden; zu einem Erbe, von dem sie niemals geahnt hatte, daß es ihr zuteil werden würde.
»Eigentlich ist es kein Wunder, daß du so bist, wie du nun einmal bist«, sagte Salim. »Immerhin bist du unter dem Schwert geboren und aufgewachsen.«