Wo blieb Salim?
Ihr Blick irrte zum Dach, und im ersten Moment war sie erleichtert, als sie sah, daß das Strohdach keineswegs in hellen Flammen stand, wie die Angreifer zweifellos gehofft hatten. Vermutlich war das Dach feucht. Es brannte nur mit kleinen, bläulichen Flammen. Dann aber sah sie den schweren Rauch, der in trägen Schwaden über das Dach kroch und mit Sicherheit auch in das Gebäude eindrang. Die Männer dort drinnen würden vielleicht nicht verbrennen, aber qualvoll ersticken. In das dumpfe Hämmern und die Schreie mischte sich bereits ein immer lauter werdendes, qualvolles Husten.
Robin konnte nicht mehr still sitzen bleiben. Sie sprang auf, zog das Schwert aus der Scheide und machte einen Schritt, blieb dann aber stehen. Sie zählte mittlerweile mehr als acht Gestalten. Salim hatte recht: Es wäre Selbstmord, irgend etwas zu unternehmen, ganz gleich, was. Sie konnte nichts anderes tun, als hilflos zuzusehen, wie die Männer in dem Haus dort drüben qualvoll starben.
Plötzlich barst der Waldrand nicht weit von ihr entfernt auseinander, und ein schwarzes Gespenst brach hervor. Salim hatte sich so weit über den Hals seines Pferdes gebeugt, daß das Tier und er fast zu einem einzigen, rasenden Schatten zu verschmelzen schienen. Er hatte den Schild erhoben, und das tödliche silberne Rad eines Morgensternes kreiste über seinem Kopf.
Der Angriff kam so überraschend, daß der erste von Ottos Männern nicht einmal begriff, was ihn umbrachte. Salims Morgenstern fand mit tödlicher Sicherheit sein Ziel und zerschmetterte seinen Schädel, und noch bevor er zu Boden fiel, sprengte Salim bereits an dem zusammenbrechenden Körper vorbei und attackierte einen zweiten Mann. Dem gelang es zwar, seinen eigenen Schild in die Höhe zu reißen und zwischen sich und den heruntersausenden Morgenstern zu bringen, aber der Hieb war so gewaltig, daß er den Schild einfach zerschmetterte und seinen Arm brach. Der Mann wurde zurückgeschleudert, und Salim sprengte weiter und attackierte schon wieder den nächsten Feind. Für einen Moment sah es fast so aus, als könnte er das knappe Dutzend Männer ganz allein besiegen.
Natürlich konnte er es nicht, und er wollte es auch gar nicht. Der ganze Sinn seines selbstmörderischen Überfalles war, die Angreifer vom Haus wegzulocken, und es gelang ihm tatsächlich. Shalima pflügte durch die Reihen der Männer wie ein toll gewordener Schlitten durch ein Kornfeld. Drei, vier Männer warfen sich entsetzt zur Seite, um Salims tödlicher Waffe zu entgehen, der Rest setzte mit wütendem Gebrüll zur Verfolgung an. Für einen Augenblick war vor der Tür des brennenden Gasthauses niemand mehr.
Robin rannte los.
Sie war gute zwanzig oder fünfundzwanzig Schritte von der Tür entfernt, und es war schier unmöglich, daß sie diese Strecke zurücklegen sollte, ohne aufgehalten zu werden, aber das Wunder geschah: Salims Ablenkung war so erfolgreich, daß sie das Haus unbehelligt erreichte. Im vollen Lauf und ohne innezuhalten warf sie sich gegen den Baumstamm, der schräg gegen die Tür gerammt worden war.
Der Anprall schleuderte sie zurück und zu Boden. Der Baumstamm zitterte nicht einmal, aber Robin sah aus den Augenwinkeln, wie mindestens zwei der Angreifer herumfuhren und mit gewaltigen Sätzen in ihre Richtung rannten, und über ihr fing das Dach des Gasthauses nun doch Feuer, und das mit einem einzigen, krachenden Schlag. Flackerndes, rotes Licht erhellte von einer Sekunde auf die andere die nähere Umgebung, und ein Schwall intensiver Hitze schlug ihr entgegen und nahm ihr den Atem, als sie aufsprang. Brennendes Stroh und Funken regneten auf sie herab. Robin riß schützend den Schild über den Kopf, ignorierte die beiden Männer, die in ihre Richtung rannten, und zerrte und riß mit verzweifelter Kraft an dem Balken.
Diesmal bewegte er sich. Aber nicht weit genug. Die Männer hatten den Balken nicht einfach gegen die Tür gelehnt, sondern sein anderes Ende regelrecht in den Boden hineingerammt, und das verzweifelte Anrennen der im Haus gefangenen Tempelritter gegen die Tür machte alles nur noch schlimmer.
Robin warf sich noch einmal und mit verzweifelter Kraft gegen die Barrikade, sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln und warf sich instinktiv herum. Eine Schwertklinge hackte dicht neben ihr in den Balken. Robin wirbelte herum, riß ihren Schild in die Höhe und stieß damit zu, genau wie Salim es ihr gezeigt hatte. Das Ergebnis war verblüffend: Der Mann stolperte zurück, ließ seine Waffe fallen und stürzte zu Boden, aber schon war der zweite Angreifer heran und schlug zu.
Robin parierte seinen Hieb mit hochgerissenem Schwert, drehte die Klinge um eine Winzigkeit und vollführte eine kreiselnde, blitzschnelle Bewegung aus dem Handgelenk, als das Schwert funkensprühend an ihrer eigenen Waffe entlangglitt. Das Schwert wurde dem Angreifer aus der Hand gerissen und flog im hohen Bogen davon, und Robin war mit einem blitzschnellen Schritt hinter ihm und trat ihm wuchtig in die Kniekehle. Der Angreifer stolperte und fiel mit hilflos rudernden Armen gegen den Balken, und wozu Robins Kräfte nicht gereicht hatten, das vollendete sein Anpralclass="underline" Der Balken rutschte zur Seite, und die Tür des Gasthauses flog auf und prallte mit solcher Wucht gegen die Wand, daß sie zersplitterte. Lodernder Feuerschein und eine brodelnde Rauchwolke quollen aus der Tür, dann taumelte eine Gestalt in einem rußgeschwärzten, weißen Wappenrock ins Freie, brach in die Knie und übergab sich qualvoll.
Die Gefahr war noch nicht vorbei. Irgendwo, am anderen Ende der Welt, wie es schien, kämpfte Salim gegen mehrere Männer zugleich, aber der Großteil der Angreifer hatte mittlerweile gesehen, was geschah, und stürmte heran.
Auch der Mann, den Robin zuerst niedergeschlagen hatte, war schon wieder auf den Beinen und hatte sein Schwert aufgelesen.
Robin erstarrte, als sie in sein Gesicht sah. Es war finster, brutal und von einer langen Narbe gezeichnet, die über Stirn, Auge und Wange bis zum Mundwinkel hinunter reichte.
Es war Otto, Gunthar von Elmstatts ehemaliger Waffenmeister.
Da sie selbst einen Helm trug, war es unmöglich, daß er sie erkannt hatte, aber das hinderte ihn nicht daran, sie sofort und mit haßverzerrtem Gesicht anzugreifen.
Es gelang Robin, seine beiden ersten Schläge mit mehr Glück als Können zu parieren, aber schon sein dritter Hieb war so hart, daß er ihren rechten Arm lahmte und das Schwert aus ihren gefühllosen Händen glitt. Otto schrie triumphierend auf und riß seine Waffe zum entscheidenden Schlag in die Höhe, und wie aus dem Nichts wuchs eine riesenhafte Gestalt in Weiß und Rot neben Robin auf. Ihr Schwert bewegte sich so schnell, daß es zu einem fließenden Schatten zu werden schien, und enthauptete Otto. Sein Schädel flog davon und rollte wie ein grausiger Ball über den Boden, während sein kopfloser Torso noch einen Moment reglos, ja, sogar mit erhobenem Schwert, stehenblieb und dann stocksteif nach vorne kippte, um Robin im Zusammenbrechen unter sich zu begraben. Sie schrie vor Entsetzen und Ekel. Ottos Leichnam lag wie eine Zentnerlast auf ihr und drohte sie zu ersticken, als wollte er noch im Tode seine Rache an ihr vollziehen, und sein Blut lief warm und klebrig über ihre Hände.
Als es ihr endlich gelungen war, sich ihrer grausigen Last zu entledigen, hatte sich das Blatt gewendet. Mindestens vier, wenn nicht mehr Tempelritter waren auf dem Schlachtfeld erschienen, auch wenn sie ihren Gegnern an Zahl noch immer hoffnungslos unterlegen waren, so war der Kampf doch damit entschieden.
Die Tempelherren schlachteten ihre Gegner regelrecht ab. Das Gemetzel - denn mehr war es nicht - dauerte nur noch wenige Augenblicke, dann lagen die meisten Angreifer tot oder schwer verwundet am Boden, und die wenigen Überlebenden suchten ihr Heil in der Flucht.