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Nur den wenigsten gelang es. Die Templer, außer sich vor Wut, setzten ihren Gegnern nach und holten die meisten ein, bevor sie den rettenden Wald erreichen konnten. Robin schätzte, daß nicht mehr als zwei oder drei der Rache der Krieger in Weiß und Rot entkamen.

»Seid Ihr verletzt, Bruder?«

Robin hörte die Worte zwar, aber es dauerte eine Weile, bis sie auch nur begriff, daß die Frage ihr galt. Müde hob sie den Kopf und blickte in ein bärtiges, schweißglänzendes Gesicht, aus dem ein dunkles Augenpaar voller Sorge auf sie herabblickte.

»Ich... glaube nicht«, murmelte sie. Sie hob die Hände und versuchte den Helm abzustreifen, schaffte es aber nicht. Ihr rechter Arm war noch immer gelähmt.

»Wartet, ich helfe Euch«, sagte der Tempelritter. Beinahe sanft zog er Robin den Helm ab und riß dann verblüfft die Augen auf, als er in ihr Gesicht sah.

»Oh!« entfuhr es ihm. »Ihr seid...«

»...nicht verletzt«, fiel ihm Robin hastig ins Wort. Ihr Herz hämmerte. Der Templer sah sie direkt an, und er mußte einfach erkennen, wen er vor sich hatte.

Dann wurde ihr klar, was er wirklich sah: Sie war über und über mit Ottos Blut besudelt. Ihr Wappenrock war mehr rot als weiß, und auch ihr Gesicht fühlte sich klebrig an. Der Helm, den der Templer noch in den Händen hielt, schimmerte in hellem Rot.

»Mir fehlt nichts«, versicherte sie mit zitternder Stimme. Sie war zu matt, und ihr Hals schmerzte zu sehr für langwierige Erklärungen, und so deutete sie nur mit einer Kopfbewegung auf den blutenden Torso, der neben ihr lag. Der Blick des Tempelritters folgte der Bewegung, und er verstand.

»Habt Ihr... mich gerettet?« fragte sie mühsam.

»Ich habe nur einen geringen Teil der Schuld zurückgezahlt, in der wir Euch gegenüberstehen«, antwortete der Ritter. »Ohne Euch wären wir alle elendiglich verbrannt. Mein Name ist Horace. Und Eurer?«

»Robin«, antwortete Robin erschrocken. Horace? Das war Horace, dessen bloße Anwesenheit die ganze Komturei in Angst und Schrecken versetzt hatte? Sie rettete sich in einen nur zum Teil gespielten Hustenanfall, und Horace legte den Helm aus der Hand und stand auf.

»Ruht Euch aus, Bruder Robin«, sagte er. »Was hier noch zu tun ist, darum kümmern wir uns jetzt.«

Bruder Robin schloß zum Zeichen ihres Einverständnisses kurz die Augen, und Horace wandte sich endgültig um und ging. Robin blieb noch einen Moment reglos sitzen, um neue Kraft zu schöpfen, dann hob sie müde die Hände und versuchte, sich wenigstens das ärgste Blut aus dem Gesicht zu wischen, machte damit aber vermutlich alles nur schlimmer. Sie stand umständlich auf, wobei sie fast krampfhaft versuchte, nicht in die Richtung des kopflosen Leichnames neben sich zu blicken. Eine Mischung aus Ekel und dumpfer Verzweiflung hatte sie gepackt. Sie wünschte sich weg, weit, weit weg, und sie hatte plötzlich Angst vor sich selbst. Als sie sich nach Schild und Schwert bückte, mußte sie all ihre Selbstbeherrschung aufbieten, um die Waffen an sich zu nehmen. Es war nicht das erste Mal, daß sie Tempelritter im Kampf beobachtete. Sie wußte, wozu diese hochtrainierten und von heiliger Besessenheit erfüllten Krieger Gottes in der Lage waren. Aber diesmal war sie nicht nur Opfer oder unbeteiligte Zeugin gewesen, sondern hatte an dem Kampf teilgenommen. Daß sie selbst niemanden getötet hatte, machte es keinen Deut besser. Sie betrachtete das Schwert in ihrer Hand eine Zeitlang, ehe sie es in die Scheide schob. An der bläulich schimmernden Klinge klebte Blut, Ottos Blut, das aus seinen zerschnittenen Halsschlagadern wie eine Fontäne überall hin gespritzt war - wie um ihr zu zeigen, daß sein Blut an ihrem Schwert klebte, ob sie es nun wahrhaben wollte oder nicht.

Was hatte Salim gesagt? Du bist unter dem Schwert aufgewachsen ...

Was, dachte sie schaudernd, wenn er mit diesem harmlosen Scherz der Wahrheit näher gekommen war, als sie beide in diesem Moment gewußt hatten? Vielleicht war es die Wahrheit gewesen, und vielleicht hatte der englische Soldat ihr mehr hinterlassen, als ein rostiges Schwert und einen alten Schild.

Sie bückte sich nach dem Helm, klemmte ihn unter den linken Arm und drehte sich müde herum.

Der Kampf war vorüber, und die fünf Tempelritter kümmerten sich nun gegenseitig um ihre Verletzungen, die zum allergrößten Teil aus Brandwunden und eher leichten Schnittwunden zu bestehen schienen. Dann aber sah sie, daß der Sieg vielleicht doch nicht so triumphal gewesen war, wie es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte: Zwischen den Leichen der Angreifer lag auch eine reglos ausgestreckte Gestalt in Weiß.

Sie ging hin und stockte mitten im Schritt, als sie den Toten erkannte.

Es war Jeromé.

Sein Gesicht war rußgeschwärzt, aber nur zum Teil zu erkennen. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen.

»Es tut mir leid, Robin«, sagte Horace hinter ihr. »Er war dein Freund?«

Robin deutete ein Kopfschütteln an. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, aber es war nicht der Anblick des Toten, der sie so erschütterte, nicht einmal der der grauenhaften Verletzung. Es war der Ausdruck in seinen Augen. Keine Furcht oder Schmerz. In Jeromés weit aufgerissenen, für immer erloschenen Augen stand ein Ausdruck fassungsloser Verblüffung - als hätte er seinem Mörder im allerletzten Moment ins Gesicht geblickt und könnte einfach nicht glauben, was er sah...

»Er war wohl niemandes Freund, nach allem, was ich gehört habe«, fuhr Horace fort. »Aber er war ein guter Christ und ein tapferer Mann. Wir werden für ihn beten.«

Robin nickte nur. Sie versuchte unbeholfen, das Kreuzzeichen zu schlagen, so wie sie es bei Abbé und den anderen gesehen hatte, kam aber durcheinander und ließ die Hand wieder sinken, und Horace drehte sie mit sanfter Gewalt zu sich herum und sah ihr ernst ins Gesicht. Hatte er etwas gemerkt?

»Unter all diesem Blut und Schmutz verbirgt sich noch ein sehr junger Mann, habe ich recht?« fragte er. Robin schwieg, und Horace wurde noch ernster und fuhr mit leiser, teilnahmsvoller Stimme fort: »Es war Euer erster Kampf, habe ich recht? Bisher habt Ihr Eure Klingen nur mit Euren Brüdern gekreuzt.«

Robin nickte. Sie schwieg noch immer.

»Ihr braucht Euch Eurer Gefühle nicht zu schämen«, sagte Horace mit einem verzeihenden Lächeln. »Ihr habt nun Blut an den Händen, und Ihr fragt Euch, ob Ihr damit Schuld auf Eure Seele geladen habt, denn Gott der Herr sagt, du sollst nicht töten. Ich kenne diese Gedanken. Ich selbst habe mir diese Frage immer und immer wieder gestellt, und es hat lange gedauert, bis ich eine Antwort gefunden habe.«

»Und wie lautet sie?« murmelte Robin.

Horace schüttelte leicht den Kopf. »Ein jeder muß diese Frage für sich selbst beantworten«, sagte er. »Du mußt beten, Bruder. Vielleicht wird dir im Zwiegespräch mit Gott offenbar, was ich dir nicht sagen kann.« Er lächelte aufmunternd. »Aber bedenke dies: Es ist nicht Gottes Wille, daß wir einander töten. Aber es kann auch nicht sein Wille sein, daß wir tatenlos zusehen, wie andere getötet werden. Ohne dein Eingreifen hätte keiner von uns überlebt.«

»Das war ich nicht allein.« Robin wandte sich vollends um, damit sie den Ausdruck schrecklicher Überraschung in Jeromés Augen nicht mehr sehen mußte. »Ohne Salim hätte ich es nicht geschafft. Er hat sie abgelenkt, damit ich die Tür öffnen konnte.«

»Ach ja, der Sarazene«, sagte Horace. Er lachte, aber es klang irgendwie ... falsch. »Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet ich mein Leben einmal einem Muselmanen verdanken sollte. Sind Gottes Wege nicht manchmal rätselhaft? Wäre es nicht Häresie, so könnte man glauben, daß er über einen subtilen Humor verfugt, nicht wahr?«

»Das... könnte man«, antwortete Robin vorsichtig. »Aber es steht uns nicht zu, über seine Ratschlüsse zu urteilen.«

»Gewiß nicht«, bestätigte Horace. Er gab sich einen Ruck und wechselte das Thema. »Wo ist der Sklave überhaupt?«

Ein jäher Schrecken durchfuhr Robin. Sie hatte Salim schon eine geraume Weile nicht mehr gesehen. Was, wenn auch er verwundet oder gar getötet worden war?