»Ihr habt den Eid auf das Kreuz geleistet, und Euer Leben und Euer Wohlergehen in die Hände des Ordens gelegt«, fuhr Horace fort, nachdem sie Platz genommen hatte. »Nun aber muß ich einen weiteren Eid von Euch verlangen.«
»Herr!« sagte Abbé beinahe beschwörend. »Robin wußte nichts von...«
»Er wird es erfahren«, unterbrach ihn Horace, diesmal scharf, und in einem Ton, der deutlich machte, daß er einen weiteren Einwand nicht mehr ungestraft hinnehmen würde. »Ihr werdet ihn in alles einweihen, sobald wir aufgebrochen sind. Die Zeit bis zu unserer Ankunft in Akko ist mehr als ausreichend.«
»Aufgebrochen?« fragte Robin. Was hatte er gesagt? Akko?
»Ich muß dir deinen heiligsten Eid abverlangen, daß du nichts von dem, was du in diesem Kreise hören oder später erfahren und erleben wirst, jemals über deine Lippen kommt.«
»Das gelobe ich«, sagte Robin feierlich. Sowohl die Reaktion auf Horaces als auch auf Abbés Gesicht machte ihr deutlich, daß dies nicht unbedingt die Worte waren, die sie erwartet hatten, aber zumindest Horace gab sich für den Moment damit zufrieden.
»Herr, bitte«, murmelte Abbé. »Ich weiß, es steht mir nicht zu, Eure Entschlüsse zu kritisieren, aber... ich halte es nicht für gut. Es steht zuviel auf dem Spiel, um...«
»Ihr sagt es, Abbé«, unterbrach ihn Horace. »Und sogar mehr, als Ihr in diesem Moment wißt. Nun, da auch Bruder Robin einer der unseren ist, kann ich offen reden. Ich bin hierhergekommen, um Euch davon in Kenntnis zu setzen, daß unser sofortiger Aufbruch notwendig geworden ist. Schlechte Nachrichten haben mich erreicht.«
»Schlechte Nachrichten?« Abbés Blick wanderte unsicher zwischen Horace und Robin hin und her. Er sah nicht so aus, als könne er sich im Moment eine noch schlechtere Nachricht vorstellen.
»König Amalrich ist gestorben«, sagte Horace. »Jerusalem ist nun ohne Herrscher, und die Kräfte, die seinen Sohn auf den Thron heben wollen, sind leider stärker geworden, als wir fürchteten. Wir müssen zurück. Unser Bündnis ist in Gefahr.«
»Amalrichs Sohn?« keuchte Xavier. »Balduin, dieses aussätzige, debile Kind, soll König von Jerusalem werden? Das ist lächerlich!«
»Es spielt keine Rolle«, antwortete Horace. »Die Krätze frißt schon jetzt an ihm. Er wird nicht lange leben. Die Frage ist, wieviel Schaden die, die hinter ihm stehen, während der Jahre seiner Regentschaft anrichten.«
»Und wen sie nach ihm auf den Thron heben«, sagte Abbé düster.
»Wir können uns alle vorstellen, wer das sein wird«, bestätigte Horace. »Deshalb müssen wir schnell handeln. Es gilt zu verhindern, daß Balduin zum König von Jerusalem gekrönt wird. Ihr alle wißt, was das für uns bedeutet.«
»Den Untergang«, murmelte Heinrich.
»Vielleicht nicht ganz«, wehrte Horace ab. »Aber Tatsache ist, daß die, die Amalrichs Sohn auf dem Thron sehen möchten, uns nicht wohlgesonnen sind. Unser persönliches Schicksal liegt in Gottes Hand, und ich bin sicher, daß er über uns wachen wird. Doch unsere Sache ist in Gefahr.« Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen. »Deshalb werden wir morgen bei Sonnenaufgang die Komturei verlassen und nach Köln aufbrechen, wo wir uns mit unseren Brüdern vereinigen werden. Odo von Saint-Amand selbst wird möglicherweise zu uns stoßen. Von dort aus reiten wir weiter nach Süden. Vielleicht kommen wir noch rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern. Wenn uns die Winde günstig gesonnen sind, können wir Akko noch vor dem Herbst erreichen.«
»Morgen schon?« murmelte Abbé.
»Mein Plan war heute abzureisen«, antwortete Horace. »Aber die Nacht war für uns alle anstrengend. Keiner von uns hat Schlaf oder auch nur Ruhe gefunden. So habt Ihr bis morgen Zeit, Eure Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.«
Robin starrte ihn an. Ihr Herz schlug hart und schwer, und ein sonderbares, vollkommen neues Gefühl begann sich in ihr auszubreiten. Sie sah Horace an.
»Akko?« murmelte sie.
»Jerusalem«, antwortete Horace lächelnd. »Ihr werdet die heilige Stadt der Christenheit sehen, Bruder Robin. Ich freue mich schon darauf, zusammen mit Euch in der Grabeskirche zu beten.«