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«Ich bin ganz durcheinander. Jesus liebt mich, aber Homo­sexuelle sind krank.»

«Ich wünschte, du würdest das Wort nicht gebrauchen.»

«Was soll ich denn sagen? Lesbierin?»

Susans Körper erstarrte. «Das ist ja noch schlimmer. Ich will, daß du, verdammt noch mal, überhaupt nichts sagst. Wir sind keine Lesben, und wir sind keine Homosexuelle.»

«Warum muß ich mich dann jede Nacht in dein Zimmer schlei­chen? Warum muß ich so tun, als wären wir bloß gute Freundin­nen? Warum muß ich verduften, sobald Craig und Lisa auftau­chen? Und wie kommt's, daß sie immer rechtzeitig für die Fernseh­kameras da sind?» Die einst so gefügige Alicia überraschte Susan. Susan war es nicht gewöhnt, daß man ihr etwas entgegensetzte.

«Weil er mein Mann ist, und sie ist meine Tochter. Ich bin eine verheiratete Frau.»

«Und du hast eine Menge Liebhaberinnen gehabt.»

«Das Leben unterwegs ist einsam. Ich bin keine Lesbierin. Außer dir waren die sehr wenigen Frauen, mit denen ich zusam­men war, hm, Fehler.»

«Alle Fehler von Susan Reilly sollen bitte aufstehen.»

Susan verpaßte Alicia eine Ohrfeige. Alicia fing an zu weinen, und Susan überkam Reue. «Tut mir leid, tut mir leid. Du hast mich dazu getrieben. Alicia, wein nicht. Du weißt, wie über­dreht ich bin. Ich muß morgen gewinnen.»

Alicia wischte sich mit dem Handrücken die Augen. »Ja, ich weiß.»

«Außerdem, es geht nicht nur um Craig und Lisa. Denk doch, was es dem Damentennis antäte. Wir sind beruflich so jung, wenn du mal darüber nachdenkst. Wir können uns keinen Skandal erlauben. Dann wäre es aus mit uns.»

Alicia wußte nicht, ob die öffentliche Reaktion positiv oder negativ wäre, doch hatte sie gewiß nicht den Wunsch, das herauszufinden. Wenn andererseits Liebe ein so gutes Gefühl war, warum sollte sie es verheimlichen? Warum machte Gott sie zur Homosexuellen und verbot es dann? Sie begriff es nicht.

Susan zog ein Taschentuch heraus. Alicia schnaubte sich die Nase.

«Ich muß mich hinlegen. Laß uns nicht streiten. Wenn du Menschen liebst, streitest du nicht mit ihnen herum.»

Susan war nicht ganz klar, was da ablief, aber sie empfand ein Verlustgefühl. Sie verdrängte dieses Gefühl in den abgelegen­sten Teil ihres Bewußtseins. Sie war Susan Reilly, die größte Tennisspielerin der Welt. Diese anderen Frauen waren Fehler. Sie dachte einzig und allein an Tennis, und die Leute mußten begreifen, daß Tennis ihr Leben war. Diese anderen Frauen verstanden sie nicht. Sie stellten Ansprüche. Sie waren Fehler. Sie war schließlich nicht vollkommen. Man mußte ihr Fehler gestatten.

Das Problem mit Susan war nur, daß sie ständig die gleichen Fehler beging. Sie verliebte sich in eine Frau und konsumierte sie. Susan fand, daß ihre bloße Anwesenheit schon genug war. Was sonst sollte sie geben? Wenn sie die Nase voll hatte, ge­wöhnlich etwa nach einem Jahr, fand sie eine andere Frau.

Leider erinnerte sich Susan nicht mehr an das, was Jane Fulton mal gesagt hatte: «Wahnsinn ist, wenn man dauernd das gleiche tut, aber immer andere Resultate erwartet.»

Ein Aschenbecher, übervoll mit lippenstiftverschmierten Fil­tern, konkurrierte mit einer Wodkaflasche um den Platz auf dem kleinen Kaffeetisch. Lavinia war bei ihrem dritten Wodkacock­tail angelangt und ergötzte Siggy Wayne mit der Darstellung ihrer Karriere. Er hatte das alles schon gehört.

«Weißt du eigentlich, daß wir mal einen Wasserballkampf in Forest Hills hatten? O ja, das brachte die alten Spießer ganz schön ins Rotieren. Das waren tolle Zeiten.»

«Das waren mickrige Zeiten.» Siggy kippte einen Cutty Sark hinunter. Die Flasche stand neben seinem Stuhl.

Lavinias Augenbrauen, heute abend fast bogenförmig, nah­men die Bemerkung zur Kenntnis.

«Ich denke, ich habe den Chrysler-Abschluß in der Tasche.» Siggy rollte den Scotch auf der Zunge. Er war sehr stolz auf sich.

«Wirklich?» fragte Lavinia.

«Nächstes Jahr machen wir nach dem Tomahawk-Turnier ein Zitrus-Turnier in Florida. Vier Städte in vier Wochen. Das ist auch für Florida gut, weil es sich durch den April zieht. Die Touristensaison klingt nach März ab, und dies kann Leute da runterbringen.»

«Ich nehme an, es gibt Autos neben den Preisgeldern?»

«Wir arbeiten das alles gerade aus, Lundy Grenshaw von Chrysler und ich.»

«Hältst du Chrysler für das richtige Image? Offen gesagt, sie sind doch auf dem absteigenden Ast.»

«Alte Leute sind für Althergebrachtes. Sie werden in Florida amerikanische Autos kaufen. Stimmt, die Spielerinnen werden die Autos nicht mögen, aber das ist nicht der Punkt.»

«Welchen Eindruck, wird es machen, wenn wir aus den Gel­dern der Steuerzahler finanziert werden?» Lavinia ließ kaum etwas außer acht.

Siggy schwieg einen Augenblick und sagte dann: «Tennis ist eine bessere Investition als die Autos.»

Sie lachten und ließen das Thema fallen. Wenn die Verträge auf dem Tisch lagen, würde Lavinia sich darum Gedanken machen, alles noch einmal neu durchdenken, und dann tun, was in ihren Augen für den Sport am besten war.

Siggy schenkte sich einen weiteren Cutty ein. Er hatte die Hemdsärmel aufgekrempelt und die Schuhe ausgezogen. Im Laufe der Zeit war seine Beziehung mit Lavinia zu einer zwang­losen Freundschaft geworden. Er schätzte, was sie für den Sport und auch, was sie für ihn getan hatte. Neben seinem Gehalt bekam er Prozente von jedem Abschluß. Er zog genug an Land für seine hübsche Frau in Southport, Connecticut, und seine zärtliche Geliebte in New York City. Er lebte über seine Ver­hältnisse, aber das war schließlich der wunderbare amerikani­sche Stil.

Lavinia hielt ihre Karten eng an ihrem berühmten Busen. Wendell hatte sie wohlversorgt zurückgelassen, als er starb. Sie bewies ein Geschick für die Börse, und sie machte ihre eigenen Geschäfte mit Sponsoren. Lavinia tankte gehörig, produzierte sich aber nie, war nie laut und hätte nie im Leben etwas von Gucci getragen. Sie war eine Peck & Peck-Frau, nur daß es die alten Marken Peck & Peck oder Abercrombie und Fitch nicht mehr gab. Lavinia Sibley Archer gab es allerdings noch. Die Zukunft der Hemdblusenkleider war gesichert, solange Lavinia Sibley Archer lebte.

«Siggy, fällt dir etwas ein, das uns bei dem Abschluß mit Chrysler in Schwulitäten brächte?»

«Komisch, daß du diesen Ausdruck benutzt.» Sein hinter­gründiges Lächeln kam zum Vorschein. «Ein homosexueller Skandal könnte es verpfuschen.» Er fuchtelte ein bißchen mit der Hand. «Drogen könnten es verpfuschen. Vor Jahren waren wir mit Abtreibung konfrontiert, angesichts der Neuen Rechten könnte allerdings auch das wieder ein Thema werden.»

Lavinia schwenkte ihr Glas hin und her, um die Eiswürfel klimpern zu hören. «Ja, ja, uns ist eine Menge untergekommen. Aber glaubst du, daß Homosexualität sie ins Schwanken brächte?»

«Nicht bloß Chrysler. Ich glaube, auch Tomahawk würde den Schwanz einziehen.»

«Niemals! Howard Dominick und Tomahawk würden sich nie von mir lösen, vom Damentennis. Ihr Image ist untrennbar mit unserem verbunden.»

«Genau das meine ich. Angenommen, es bräche wirklich ein lesbischer Skandal über uns herein - Tomahawk will doch nicht, daß ihre Kosmetik, ihr Image mit Schwulen in Verbindung gebracht wird. So sehe ich das zumindest.»

«Auch Lesbierinnen verwenden Kosmetik.» Lavinia hob ihr Glas. «Vielleicht hast du recht, Siggy, vielleicht hast du ganz recht. Und doch kann ich nicht glauben, daß Howard Dominick sich abseilen würde.»

«Er leitet Tomahawk jetzt seit zwölf Jahren. Clark & Clark wird genauso gebeutelt wie jeder andere Konzern, und du weißt, wenn ein neuer Mann kommt, wird er alle Abteilungslei­ter hinausbugsieren und seine eigenen Leute einsetzen.»

Sie trank ihren Cocktail aus und machte sich einen neuen. «Hörst du irgendwo das Gras wachsen?»

«Gerüchte, aber Gerüchte gibt es dauernd.»

«Jensen Bainbridge wird alt.» Jensen war der Präsident von Tomahawks Muttergesellschaft Clark & Clark. «Wenn er geht, geht auch unser Sponsor.» Lavinia schwieg gedankenverloren. «Siggy, ich bin froh, daß du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Ich werde mich mal umsehen, wer ihn ersetzen könnte. Ich habe noch immer überall in den besten Gesellschaftsclubs ein paar gute Freun­dinnen. Ehefrauen wissen alles. Vielleicht rufe ich nächste Woche einfach mal Betty Bainbridge an, um der alten Zeiten willen.»

Die beiden lächelten.

«Wenn die Sache je auffliegt», sagte Siggy über seinen Drink gekauert, «meinst du, es wird wegen Carmen Semana oder wegen Susan Reilly sein? Das sind zwar nicht unsere einzigen Lesbierinnen, aber sie sind die flatterhaftesten.»

«Wegen Carmen.» Lavinias Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

«Warum?»

«Carmen ist manchmal wie ein Kind. Sie springt erst und schaut anschließend.»

Siggy rieb sich die Stoppeln an seinem Kinn. Die Nacht wuchs sich aus wie sein Bart. «Ich weiß nicht, Lavinia. Susan hat zwar eine perfekte Tarnung, aber sie hat ein Bataillon von Leuten vor den Kopf gestoßen. Früher oder später wird sie jemand zu fassen kriegen.»

Lavinia sagte nichts. Was sie dachte und was sie von sich gab, waren zwei verschiedene Dinge. Selbst wenn sie betrunken war, konnte Lavinia weiterschwatzen und hatte sich doch in der Hand. Dieser Reserve verdankte sie ihren Wimbledonsieg. Doch auf einer tieferen Ebene kapierte sie viele Dinge. Sie wußte, daß ihre Krampfadern wie Lapislazuli aussahen. Sie wußte, daß die Spieler und Spielerinnen sie als lebendes Fossil betrachteten. Sie wußte, daß sie sie hinter ihrem Rücken aus­lachten, wie die Jungen es mit den Alten immer tun. Sie spürte, daß ihr, je älter sie wurde, immer mehr alle Ereignisse ihrer Vergangenheit gleichermaßen zugänglich wurden. Sie konnte sie sich so lebendig vor Augen führen, wie in dem Moment, als sie vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren passierten. Die Ereig­nisse selbst freilich verebbten wie Schiffswracks vom Küsten­sockel der Kontinente abgleiten und im tiefen Meer zerschellen. Das Ereignis war für immer dahin. Es gab nur die Erinnerung und die Gegenwart, die ewige, chaotische, leidvolle, erfreuliche Gegenwart.

Lavinia mixte sich noch einen Wodkacocktail.