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Miguel beobachtete dies von seinem Sitzplatz aus, und vor Lachen rollten ihm die Tränen über die Wangen. Da das Eis, nachdem es zu Boden gefallen war, nicht verkauft werden durfte, war die Investition des Eisverkäufers ohnehin verloren. Hätte er eine Spur von argentinischem Charme besessen, so hätte er das Eis am Stiel lächelnd umsonst verteilt. Zum Teufel damit, er konnte ebensogut andere Leute damit beglücken. Doch nicht dieser Typ. Wenn er nicht bekam, was er wollte, dann kriegten es die Zuschauer auch nicht. Wie amerikanisch.

Ein Schwanz wedelte über Harriets Wange. Baby Jesus hatte sich neben Harriets Gesicht niedergelassen und fegte jetzt wild mit dem Schwanz. In achtzehn Jahren hatte diese Masche nie ihre Wirkung verfehlt.

«Guten Morgen, Baby.»

Carmen stöhnte und schlief tief weiter. Baby miaute.

Harriets Füße bumsten auf den Boden, und wie immer, wenn sie zu Hause war, ging sie zuerst ans Fenster, das auf den langgestreckten See hinausging. Frost zog sich im Zickzack über die Fensterscheibe. Die Hügel sahen wie Purpurbrüste aus. Baby kam herüber und rieb sich an ihrem Bein. Zeit zum Aufstehen.

Unten knallte eine Tür; Miguel war auf. Harriet fühlte sich wie eine Gefangene im eigenen Haus. Unterwegs hielt ihn das Tennis im Zaum.

Baby tapste die Treppe hinunter. Harriet ging in die Küche, wo Miguel ihr lächelnd guten Morgen wünschte und sich wie­der der Zeitung zuwandte.

Baby Jesus verachtete Miguel Semana. Vielleicht war es sein Cologne, das sie abstieß, oder vielleicht mochte sie ihn als Mensch nicht. In achtzehn Jahren hatte Baby Harriet ihre Ex­pertenansicht über viele Leute kundgetan.

Harriet öffnete eine Dose Katzenfutter. Baby rieb sich krampfhafter an ihrem Bein. Sie hatte Hunger.

Baby schmatzte beim Essen. Ihre Zähne wurden schlecht. Sie bewegte sich etwas arthritisch in den Hüften, aber ihre Ohren und Augen waren gut. Ihr Herz war kräftig und ihre Sinne unvermindert scharf.

Wenn ich schon alt werden muß, möchte ich alt werden wie Baby Jesus, dachte Harriet. Die menschlichen Vorbilder taugen alle nichts.

«Der Kaffee ist heiß.» Miguel legte seine Zeitung hin und goß ihr gnädig eine Tasse ein.

«Danke, Miguel.» Während er einschenkte, klaute ihm die Katze ein Würstchen. Sie raste mit ihrer Eroberung in die Speisekammer. Harriet sagte nichts.

«Kennst du Seth Quintard gut?»

«Eigentlich nicht. Er ist Carmens Agent.»

«Wo ist mein zweites Würstchen? Ich bin sicher, daß ich noch ein Würstchen hatte.»

Eine triumphierende Mieze stolzierte durch die Küche. Sie roch förmlich nach Sieg und Würstchen. Miguel musterte sie. «Sie sieht ja auf einmal so fett aus.» Er lachte und wandte sich wieder an Harriet. «Du weißt nicht viel über die Verträge?»

«Miguel, ich halte mich da raus. Es geht mich nichts an. Wenn Carmen mich fragt, sage ich ihr meine Meinung, aber ansonsten sage ich wenig dazu.»

«Ich glaube, daß Athletes Unlimited meine Schwester übers Ohr haut.» Gewichtig legte er seinen Löffel nieder.

«Ach.»

«Wenn sie für einen Werbevertrag bezahlt wird, halten sie die Schecks drei oder vier Monate lang zurück. Natürlich legen sie das Geld inzwischen an und kassieren einen Batzen Zinsen!»

«Daran habe ich nie gedacht.»

Großzügig sagte er: «Du bist viel zu hübsch, um dir über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen. Deshalb bin ich ja hier.» «Danke, Miguel.» Baby Jesus rülpste unter dem Tisch.

5

Los Angeles, dem Pazifik verhaftet, hat eine eigentümliche erotische Macht über all jene ausgeübt, die in seinem riesigen Gebiet lebten. Sir Francis Drake landete am 17. Juni 1579 an der kalifornischen Küste. Seitdem machte eine Flut von Menschen die gleiche erhebende Entdeckung.

Das Tennisturnier war eine große Sache. Die Sponsoren, Spielerinnen und Funktionäre sahen der ersten Märzwoche freudig entgegen; man konnte rechtzeitig an- und abreisen, bevor der Smog einem Augen, Nase und Kehle verätzte.

Mit Ausnahme von Page Bartlett Campbell, die erst beim French Open zur Turnierrunde stoßen würde, ließen sich alle in LA blicken. Susan Reilly wäre lieber gestorben, als es zu verpas­sen. Rainey Rogers war da, und ihre Mutter war allgegenwärtig. Ihre überdimensionale Handtasche stand auf dem Kaffeetisch im Clubraum der Spielerinnen, ihre konservativ geschnittene Leinenjacke war ordentlich über eine Stuhllehne gehängt und ihre Spieltabellen stapelten sich auf dem Sitz. Sie und ihr Mann hatten Raineys Karriere gelenkt, seit Raineys Talent erkennbar wurde. Die Kleine war damals acht. Die Rogers hatten alles für ihre mittlere Tochter geopfert. Ihr Talent hatten sie genau rich­tig eingeschätzt, zu ihrer bereits damals ausgeprägten Disziplin immens beigetragen. Die Rogers setzten ihr nie zu. Sie dirigier­ten Rainey an all jenen unsichtbaren Fäden, die Eltern der Mittelklasse in ihren Kindern zu verankern wissen. Schwer zu sagen, wer die Spinne und wer die Fliege war; Rainey oder ihre Mutter. Augenblicklich spielte das keine Rolle. Dieses Problem würde erst viele Turniere später, in vielen Jahren auftauchen. Im Augenblick war das Problem, wie Rainey LA gewinnen konnte, wie sie Susan, Carmen und der stärker werdenden Hilda zeigen würde, daß sie bald die Spitze übernähme. Die Sportjournalisten ritten bis zum Erbrechen darauf herum.

«Auf nach Hollywood?» fragte Harriet. Jane Fulton trug ein glitzerndes T-Shirt, Donald Duck-Sonnenbrille und Plastiksanda­len. «Hast du dir die Aufmachung tatsächlich selbst ausgedacht?»

«Ricky hat mitgeholfen. Er trägt eine Fahrradkette als Hals­schmuck. Hast du die Auslosung gesehen?»

«Ja, Carmen und Susan sind bei der Auslosung in der gleichen Gruppe.»

«Susan beunruhigt mich mehr, wenn sie nicht auf dem Platz ist als drauf.» Jane nahm ihre Sonnenbrille ab.

«Was kann sie schon unternehmen?»

«Nenn es weiblichen Instinkt. Sie wird Carmens Archilles­ferse aufspüren.»

«Ich sehe noch immer nicht, was sie unternehmen kann.»

Jane zuckte die Achseln. «Verdammt, wenn ich's wüßte. Es ist bloß so ein Gefühl. Wenn Carmen sich die ersten beiden Turniere vom Grand Slam nicht unter den Nagel reißt, wird's keine Krise geben. Aber wenn sie nahe an diesen Slam kommt, spielt Susan verrückt, das sage ich dir.»

«Hoffentlich irrst du dich.» Harriet spielte mit Janes Sonnen­brille. «Wie steht sie mir?»

«Mir stand sie besser. Hier, nimm Mickymaus.» Jane reichte ihr eine blaue Kindersonnenbrille.

«Danke.»

«Susan weiß eines.»

«Was, Miz Jane?»

«Sie weiß, daß Carmen damit klarkommt, wenn es auf dem Platz Zunder gibt, aber nicht in ihrem Leben.»

«Carmen hat allerdings die Neigung, den Kopf in den Sand zu stecken.»

«Oder davonzulaufen.» Jane spähte durch ihre Brille. «Du weißt, sie lebt in einer Welt, die Konflikte formalisiert und sie vor allem abschirmt, außer Tennis. Das ist wahrhaftig die ideale Vorbereitung auf die ständigen Angriffe des Lebens gegen den eigenen Narzismus.»

Behängt wie das goldene Kalb, hielt Lavinia Sibley Archer in Los Angeles Hof, an Geschmacklosigkeit kaum noch zu übertreffen. Obwohl sie sich einbildete, über solchem Firlefanz zu stehen, mischte sie sich mit Vorliebe unter die Filmstars. Filmstars zeigten sich gern bei sportlichen Anlässen. Filmstars zeigten sich einfach überall gern. Alle bekamen, was sie wollten: Aufmerksamkeit. La­vinia umflatterte einen alternden männlichen Star, an dem so gut wie jeder Körperteil künstlich war. Er hatte gerade einen neuen Spionagefilm abgedreht. Er lehnte in der Ehrenloge, und sogleich plumpste Lavinia neben ihn und lauschte mit übertriebener Faszi­nation den Geschichten seiner mageren Tenniskünste. Ihre fal­schen Wimpern senkten sich wie vor einem König.