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Die Wolken über dem Stadion wirkten wie Thors geballte Fäuste. Ein Regenguß ließ die Leute schutzsuchend flüchten. Ebenso plötzlich kam wieder die Sonne hervor, die Schulkinder in Uniform saßen als erste wieder auf ihren Plätzen, und dann watschelten die Melbourner Matronen zu ihren Clubsesseln.

Eine viktorianisch angehauchte Dame beobachtete eine junge Frau im Bikini. Sie schnaubte: «Was bleibt denn da für ihren Ehemann?»

Bunte Zelte, die draußen vor dem Stadion aufgestellt waren, beherbergten die verschiedensten Wohltätigkeitsvereine. Jeden Tag wurde für irgendeinen ehrenwerten Zweck Geld gesam­melt, und die Sammelnden hatten das Vergnügen, ihr frommes Tun mit einem Schwätzchen hier und da verbinden zu können.

Sponsoren buhlten um Aufmerksamkeit. Ein gigantischer Tennisball in Ballongröße schwebte über dem Tennisgelände. Der Ballfabrikant hatte sich das ausgedacht. Alle beklagten seine Phantasielosigkeit, aber alle bemerkten ihn.

In dieser Woche wurde gutes Tennis geboten. Schmettie Kittredge schaffte es bis ins Halbfinale und legte einen fabelhaf­ten Kampf gegen Susan Reilly hin. Susan besiegte sie, aber es dauerte eine Weile. Susan war beim US Open mit einer Strafe von 500 Dollar belegt worden. Sie zahlte, entschuldigte sich wortreich und war nun darauf aus, unter Beweis zu stellen, daß sie sich auf dem Platz benehmen konnte. Carmens Halbfinale verlief weniger dramatisch, aber für sie zufriedenstellend. Sie warf Rainey Rogers in zwei Sätzen aus dem Rennen.

Die Medien machten viel Wirbel um die Konfrontation zwi­schen Carmen und Susan - ehemalige Teampartnerinnen, heute erbitterte Gegnerinnen. Niemand erfuhr je, warum sie erbitterte Gegnerinnen waren, wenngleich die Spekulationen in Austra­lien wie überall wilde Blüten trieben.

Susan becircte ein hübsches Mädchen mit rotgelocktem Haar. Sie hätte ein gutes Maskottchen abgegeben. Für Susan war sie ideal, weil sie Susan für ideal hielt. Sie planten, gemeinsam in den Sonnenuntergang zu entschweben.

Ricky vergrub sich in seine Arbeit. Manchmal leistete Harriet ihm in der Kabine Gesellschaft, freilich nicht bei Carmens Matches.

Harriet entdeckte, daß sie die amerikanische Tenniscrew ver­mißte. Miranda Mexata war nicht da. Sie war nur in den Verei­nigten Staaten befugt und in keinem anderen Land. Zu schade, denn die Funktionäre hätten etwas Hilfe brauchen können. Dagegen vermißte Harriet weder Seth Quintard noch Siggy Wayne. Aber was soll's, ging es Harriet einmal zu ihrer eigenen Überraschung durch den Kopf, sie müssen schließlich auch essen.

Besonders vermißte sie Lavinia Sibley Archer und ihre An­sprachen, die so atemberaubend irrelevant waren. Lavinia legt von Connecticut aus organisatorisch letzte Hand an die neube­lebte Damenturnierrunde, die wie immer in Washington, D. C., ihren Höhepunkt haben würde.

Am Morgen des Finales kam Harriet nur mit Mühe aus dem Bett. Sie hatte es bereits bis zu einer Zeitzone irgendwo im Pazifik geschafft, war aber noch nicht bis Australien gelangt. Sie zog die Schreibtischschublade auf und griff nach ihrer Flasche mit Vitaminpillen. Darunter lag eine Bibel. Ein früherer Gast hatte ein rotes Band zwischen die Seiten gelegt. Neugierig schlug Harriet das Buch auf und las die folgende Korinther- Stelle:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle.

Wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnisse und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetze, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Ricky pochte an die Tür. «Kommst du mit zum Finale?» «Gerade habe ich mich entschlossen hinzugehen, dank der Bibel.»

Er klopfte mit dem Knöchel an die Tür zwischen ihren Zimmern. «Also kommst du schließlich doch noch auf Noahs Arche.»

«Warum glaubst du, es wird Regen geben?»

«Nein, ich fragte mich bloß, wie lange du widerstehen könn­test, Carmen spielen zu sehen.»

«Ich komme mit auf die Arche, als Einhorn, als schwarzes Einhorn.»

Er lachte. «Na, dann los.»

Als Carmen und Susan den Platz betraten, begrüßte sie herzli­cher Applaus. Inzwischen war die Sportwelt über den Grand Slam in heller Aufregung. Man hätte denken können, es handle sich um das Jüngste Gericht.

Harriet sah Carmen seit August zum erstenmal wieder. Mein Leben lag einmal in ihren Armen, dachte sie. Wie konnten Menschen, die einander so gut kannten, sich derart fremd wer­den?

Timothy lümmelte sich in einem Stuhl direkt hinter der Grundlinie. Bonnie Marie war diskret in einer Sponsorenloge versteckt. Miguel war daheim in Argentinien, wieder einmal in Ungnade gefallen. Vor einem Monat war Carmen ein Stein aus einer Halskette gebrochen. Als sie sie zum Reparieren brachte, sagte ihr der Juwelier, sie sei aus Strass und künstlichen Dia­manten. Miguel hatte ihren Schmuck nicht im Safe deponiert, wie er sagte. Er hatte das Zeug kopieren lassen und den echten Schmuck verkauft.

Carmen lief sich warm. Jede Frau schlug mit Macht. Die Returns wurden zur Grundlinie zurückgepeitscht. Beide wirk­ten locker. Jedesmal wenn Susan einen Ball traf, blies ihr neuer Schatz ihr Küsse herüber.

Carmens Blick schweifte über die Tribünen. Automatisch suchte sie oben nach Ricky. Natürlich hatte sie gehört, daß Harriet da war. Sie hatte sie nicht gesehen. Als sie jetzt hochschaute, sah Carmen sie. Einen Moment lang war es, als hätte sich nichts geän­dert - Harriet lehnte an der Wand, außerhalb des Kamerabildfelds, Ricky hatte seine Kopfhörer auf und ... keine Jane. Carmen blinzelte und sah rasch zu Bonnie Marie hinüber, um sich zu vergewis­sern. Sie verdrängte ihre Gedanken und fixierte ihre, wenn sie von sich selbst einmal absah, älteste Gegnerin auf der anderen Seite des Netzes. Susan hatte einen Adlerblick.

Der erste Satz, schwer erkämpft, ging an Carmen. Im zweiten Satz brachte es Susan, sie spielte wie eine Wahnsinnige, bis zum Tie-Break und hatte ihn in der Tasche. Jeder folgende, haßer­füllte Punkt erregte die Menge. Die Australier waren wie die Italiener, in jeder Situation erfaßten sie sofort das Drama. Sie gingen zwar anders damit um, vibrierten aber wie Stimmgabeln. Carmen donnerte einen so harten Vorhand-Cross, daß ihr Schlä­ger wie ein geschleuderter Speer zitterte.

Wäre Qualm vom Platz aufgestiegen, hätte sich kein Zu­schauer gewundert. Diese beiden verabscheuten einander mit verbissener Intensität. Jeder Punkt war eine Herausforderung, ein Duell. In diesem Match gab es keine Defensive, es bestand nur aus Angriff und Gegenangriff. Es schien, als wären selbst die Fehlpässe aus Gehässigkeit gefeuert.

Keine Frau konnte den Aufschlag der anderen durchbrechen. Sicher mußte eine von ihnen irgendwann langsamer, erschöpft, ungenau werden. Aber mit jedem Punkt, ob sie ihn gewann oder verlor, wurde Susan auf manische Weise stärker. Falls sie die Menge überhaupt hörte, merkte man es ihr doch niemals an. Carmen preßte die Lippen über den Zähnen zusammen. Tiefe Falten zogen sich an ihrem Mund entlang. Sie wirkte zehn Jahre älter als 24. Die Anspannung verdoppelte noch ihre Konzentra­tion.

Im Krieg gibt es einen Todesstreifen. Auch Tennis hat einen: Niemandsland. Auf jeder Seite dieses Todesstreifens, auf halbem Weg ans Netz, kann eine Spielerin überleben. In der Mitte erwartet sie freilich der Tod. Schnelligkeit und ein stahlharter Halbvolley retten sie vielleicht. Andernfalls gehen die Lichter aus.

Der dritte Satz raste dahin, wenngleich die Punkte lang wa­ren. Susan attackierte bewußt Carmens solide, aber unspektaku­läre Rückhand. Sie war die einzige Schwäche in ihrem Repertoire. Im Tennis gibt es zwei Theorien, und nur diese zwei: entweder durchbricht man die Schwächen des Gegners, oder man durchbricht seine Stärken. Die Stärken zu durchbrechen ist schwerer, doch ist das geschafft, werden die Resultate schneller erreicht, weil das gegnerische Spielkonzept rasch in sich zusam­menbricht. Susan entschied sich für den längeren, aber sichere­ren Weg. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers nimmt über 25 pro Jahr um 1 Prozent ab. Susan war um den Bruchteil einer Sekunde langsamer als zu ihrer Bestzeit - das wußte sie, dafür ging sie berechnend genug mit ihren Fähigkei­ten um. Zu ihrer Bestzeit Mitte Zwanzig hätte sie versucht, Carmens Vorhand zu durchbrechen. Jetzt nutzte sie ihre Jahre auf dem Platz und plante jeden Punkt. Sie fegte Carmen nicht weg, sie nahm sie auseinander.