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Mein erster Gedanke war, dass ich zurück zu Mr. Francos Zimmer eilen musste. Trotz seiner Besorgtheit um seine Tochter ging es jetzt doch in erster Linie darum, ihn unversehrt hinauszuschaffen. Den französischen Agenten durfte keine Zeit für kleinliche Vergeltungsschläge bleiben. Man würde sie entweder stellen, oder sie mussten ihr Heil in der Flucht suchen. Gabriella würde nichts geschehen.

Als ich mich jedoch vom Bett abwandte, sah ich mich einer dunklen Gestalt gegenüber, in der ich sofort Edgar erkannte. Er stand breitbeinig da und hielt in der einen Hand eine Pistole und in der anderen eine Art Dolch.

»Du blöder Jude«, sagte er. »Ich habe dich hereinpoltern hören. Ein Bär hätte weniger Lärm gemacht.«

»Ein großer Bär oder ein kleiner Bär?«

»Willst du dich etwa mit Scherzen aus dieser Lage befreien?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, ich könnte es versuchen.«

»Das ist schon immer dein Problem gewesen. Du bist viel zu eingenommen von deiner eigenen Gewitztheit und kannst dir einfach nicht vorstellen, dass jemand es darin mit dir aufnehmen kann. Nun erzähle mir mal, was du hier willst. Bist du wegen der Pläne gekommen?«

»Ich bin deinetwegen hier. Nach meinem Besuch im Haus von Mutter Tripper habe ich festgestellt, dass ich über gewisse Neigungen verfüge, die ich nicht länger verleugnen kann.«

»Du willst mich doch hoffentlich nicht mit diesem Unsinn verwirren. Ich weiß, dass du wegen der Pläne für den Webstuhl hier bist. Denkst du, mir liegt auch nur das Geringste an Franco? Er kann sich verstecken oder er kann davonlaufen, ganz wie er will, obwohl ich denke, dass es besser für ihn wäre, sich aus dem Staub zu machen. Die Frage ist jetzt, wer dich geschickt hat. Was wissen die Briten? Hat man Cobb gefangen genommen oder konnte er entkommen? Du kannst es mir jetzt sagen, oder wir reden oben darüber. Sowie wir erst Hammond geweckt haben, kannst du dich darauf verlassen, dass er nicht zögern wird, alles aus dir herauszuquetschen, was er von dir hören möchte.«

Über Hammonds Fähigkeit, etwas aus mir herauszuquetschen, vermochte ich nichts zu sagen. Vielmehr konnte ich mich darüber freuen, dass Edgar mir genau das verraten hatte, was ich zu wissen bedurfte. Dass Hammond nämlich noch schlief.

»Hat dir je jemand gesagt«, fragte ich ihn, »wie sehr du einer Ente ähnelst? Die Sache ist nämlich die, dass ich eine Schwäche für Enten habe. Als ich noch ein Junge war, hat mir ein gut meinender Verwandter einmal eine als Geschenk mitgebracht. Und nun, Jahre später, treffe ich dich wieder, und du bist dieser Ente wie aus dem Gesicht geschnitten, so dass ich nicht umhin kann, dir meine Freundschaft anzubieten. Komm, lass uns unsere Waffen ablegen und uns einen Teich suchen, an dessen Ufer ich Brot und Käse essen kann, während du auf dem Wasser herumpaddelst. Ich würde dir gerne ein paar Krumen zuwerfen.«

»Halt dein verdammtes Lästermaul«, fuhr er mich an. »Ham-mond wird dich so gründlich zu befragen wissen, als hättest du eine Bleikugel im Bein.«

Da mochte er recht haben. »Einen Augenblick. Es gibt drei Tatsachen das Leben der Enten betreffend, die ich hier als von größter Wichtigkeit erachte. Zunächst sucht sich das Entenweibchen stets einen besonders zärtlichen und fürsorglichen Erpel für die Entenkinder. Zweitens«, hob ich an, aber mir fiel kein zweiter Punkt ein. Also musste ein Punkt genügen, und nun machte ich mir den Ratschlag von Mr. Blackburn zunutze - nämlich, was die rhetorische Wirkung der Serie betraf. Nachdem ich Edgar nun drei Punkte angekündigt hatte, würde er auch die nächsten beiden hören wollen. Also konnte ich den Moment nutzen, um ihn mit etwas anderem zu überrumpeln.

Und dieses Etwas bestand in einem kräftigen Hieb in die Magengrube. Ich hätte einen Schlag auf die Nase oder den Mund vorgezogen, einen Schlag, bei dem Blut spritzte oder Zähne flogen, aber ein Hieb in die Magengrube ließ den Gegner sich zusammenkrümmen, was bedeutete, dass, selbst wenn es ihm gelänge, die Pistole abzufeuern, der Schuss nach unten gehen würde.

Aber er schoss gar nicht, und obwohl er die Pistole auch nicht losließ, hatte ich sie ihm entwunden, ehe er auch nur zu Boden gesunken war. Ich steckte sie ein, und als Edgar sich aufraffen wollte, versetzte ich ihm noch einen Tritt in die Rippen. Er rutschte über den Boden und verlor dabei seinen Dolch, den ich ebenfalls an mich nahm, um damit seine Bettdecke in Streifen zu schneiden. Wie meine praktisch denkenden Leserinnen und Leser vermutlich schon erraten haben, benutzte ich diese, um Edgar an Händen und Füßen zu fesseln. Während ich das tat, bekam er noch ein paar Tritte in den Unterleib - nicht aus Grausamkeit oder aus bösem Willen, sondern damit er sich nicht durch Schreie bemerkbar machen konnte, bis ich ihn mit einem weiteren Stoffstreifen auch noch geknebelt hatte.

Als er mir vollkommen wehrlos zu Füßen lag, verwies ich ihn darauf, dass er gemeint hatte, ich würde mich nicht mit einem Scherz aus meiner Lage befreien können. »Wie man sich doch täuschen kann«, sagte ich. »Du fragst dich vielleicht gerade, ob ich den Konstablern sagen werde, wo sie dich finden können. Nein, das werde ich nicht tun. Irgendwann morgen werden Luke und die anderen Jungen sich an diesem Hause gütlich tun, und ich überlasse es ihnen, sich um dich zu kümmern.«

Edgar grunzte und zappelte, aber ich beachtete ihn gar nicht weiter und überließ ihn sich selbst.

Ein Stockwerk höher lief alles wie am Schnürchen. Wie zu erwarten gewesen war, schlief Hammond, und es kostete mich kaum Mühe, ihn zu überwältigen. Mit der einen Hand hielt ich ihn am Kinn, während ich ihm mit der anderen Edgars Klingenspitze in die Brust drückte, und zwar tief genug, dass es zu bluten und, wie ich an Hammonds Gesicht ablesen konnte, zu schmerzen anfing, doch nicht tiefer.

»Gib mir die Pläne«, verlangte ich.

»Niemals.« Seine Stimme blieb ruhig und gleichmäßig.

Ich schüttelte den Kopf. »Hammond, Ihr habt euch mich ausgesucht. Ihr habt gewusst, wer ich bin, als ihr mich zu einem Teil eures Planes machtet. Also weißt du, zu was ich fähig bin. Ich werde notfalls Finger abschneiden, Augen ausstechen, Zähne herausreißen. Ich glaube nicht, dass du das Zeug hast, solche Torturen zu ertragen. Aber ich zähle jetzt bis fünf, und dann werden wir es wissen.«

Er wartete nicht einmal darauf, bis ich zu zählen angefangen hatte. »Unter meinem Kissen«, stieß er hervor. »Aber es spielt keine Rolle, ob du das Original hast oder nicht. Eine gute Abschrift ist bereits außer Landes geschafft worden, und damit haben wir die Macht, den Textilhandel der East India Company zunichtezumachen.«

Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass diese Abschrift abgefangen worden war und er sich keine Hoffnung mehr auf ein Gelingen seiner Mission machen konnte. Ich nahm das Messer von seiner Brust, behielt allerdings sein Kinn fest gepackt und zog das in raues Kalbsleder gebundene Büchlein unter seinem Kopfkissen hervor. Wie ich von einer seiner Witwen wusste, waren es solche Oktavbände, die Pepper für seine Notizen benutzt hatte. Ich blätterte den Band rasch durch, und als ich die in alle Einzelheiten gehenden Zeichnungen sah, wusste ich auch, dass dies genau das war, wonach ich gesucht hatte.

Hammond jedoch bewies unerwartete körperliche Stärke. Er entwand sich meinem Griff und drehte sich zur Seite, wobei er sich, wenn auch nur oberflächlich, an der Klinge schnitt, und dann war er mit einem Satz am anderen Ende des Zimmers. Ich steckte das Büchlein ein und zog meine Pistole, konnte im Stockfinstern aber kaum zielen. Zumindest erging es Ham-mond nicht besser, falls er sich selber auch mit einer Schusswaffe zu wappnen gedachte.

Ich trat einen Schritt vor, um meinen Widersacher besser sehen zu können. Da stand er mit vor Angst weit aufgerissenen Augen in der Dunkelheit. Das Nachtgewand hing ihm lose um den Leib, als wäre er ein Gespenst. Als er den Arm hob, glaubte ich einen Augenblick lang, er hätte tatsächlich eine Pistole und hätte um ein Haar auf ihn geschossen, aber dann erkannte ich, dass er keine Waffe, sondern nur ein dünnes Glasröhrchen in der Hand hielt.