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Das Gesicht des armen Kerls war verzerrt vor Schmerzen und der Demütigung, die ihm widerfuhr, aber als er uns sah, begriff er irgendwie, dass wir nicht seine Feinde waren, und es mochte der mitleidige Blick in meinen Augen gewesen sein, der ihn dazu brachte, die Stimme zu erheben. »Teaser ist entkommen«, rief er. »Er ist mit dem großen Schwarzen vorne zur Tür raus.«

Also strebte auch ich der Tür zu. Ein paar Konstabler wollten sich mir in den Weg stellen, aber ich rempelte sie nur einmal kräftig an, worauf sie gleich umfielen, so dass ich und Elias, der sich dicht hinter mir hielt, ungehindert passieren konnten.

Nachdem wir uns zur Tür des großen Saales hinausgeboxt hatten, lag das Gröbste hinter uns. Zwar verfolgten uns noch drei der Konstabler, aber mehr der Form halber, damit sie hinterher ins Protokoll schreiben konnten, es wäre ihnen nicht gelungen, uns aufzuhalten. Sie verdienten einfach nicht genug, als dass sie ihr Leben hätten riskieren mögen. Es war ein Leichtes, ein Haus wie dieses auszunehmen, aber maskierte Straßenräuber überließ man lieber den Soldaten.

An der Tür hielten ein paar Sittenreformer Wache, aber als sie uns angestürmt kommen sahen, traten sie rasch beiseite. Einer bewegte sich dabei so ungeschickt, dass er mir vor die Füße fiel und ich über ihn hinwegspringen musste, um nicht selber hinzufallen.

Auf der Straße hatte sich eine Menschenmenge eingefunden, die mit uns natürlich nicht recht etwas anzufangen wusste, obwohl unser Erscheinen überwiegend mit trunkenen Jubelrufen gefeiert wurde. Zum Glück führten Stufen zur Tür von Mutter Tripper, und von dort oben konnte ich die Straße nach allen Seiten überblicken. Und da sah ich sie dann - Teaser, den ich trotz der Dunkelheit auf den ersten Blick erkannte, wurde von einem sehr großen und auffällig behänden Mann davongezerrt, dessen Gesicht ich nicht sehen konnte, aber es gab für mich keinen Zweifel, dass es sich bei Teasers Entführer um keinen Geringeren als Aadil handelte.

26

Holborn besteht aus zahllosen kleinen Straßen und finsteren Gassen und erscheint so auf den ersten Blick als idealer Ort, um unerkannt zu verschwinden, aber viele dieser Sträßchen enden als Sackgassen, und selbst ein rauer Kerl wie Aadil würde wohl ungern von zwei Verfolgern in die Zange genommen werden, während er sich mit einem Gefangenen abschleppte. Es wunderte mich daher nicht, dass ich ihn die Cow Lane auf die Schweineställe zu hinunterrennen sah. Wahrscheinlich wollte er uns zwischen den Tieren abschütteln.

Elias und ich rissen uns die Masken vom Gesicht und hetzten hinter Teaser und Aadil her. Es hatte zu regnen begonnen, nur ein leichtes Nieseln, das aber doch reichte, um den Schnee in Matsch zu verwandeln und die Eiskrusten gefährlich glatt werden zu lassen. Auf dieser ungünstigen Fläche hasteten wir so schnell voran, wie es ging, aber schon bald verloren wir Teaser und Aadil aus den Augen. Elias wollte aufgeben und verlangsamte sein Tempo, aber ich gab mich so rasch nicht geschlagen. »Zu den Docks«, rief ich. »Er wird versuchen, übers Wasser zu entkommen.«

Elias nickte nur; gewiss war er enttäuscht, dass ich ihm noch keine Pause gönnte, aber trotz seiner Atemlosigkeit hielt er tapfer durch und folgte mir durch die Gassen, bis wir an den Docks unter freiem Nachthimmel standen. Hier ertönte der Chor des menschlichen Lebens - die Austernverkäuferinnen und die Pastetenbäcker, die ihre Waren anpriesen, das Kichern der Huren, das Lachen der Betrunkenen - und natürlich die derben Späße der Hafenarbeiter. »Männer, steckt den Striemen in die Ollen«, grölten sie, womit natürlich »Riemen« und »Dollen« gemeint waren. Der Witz war so alt wie die ganze Stadt, aber er verfehlte nie seine Wirkung auf die so leicht zu belustigende Menge.

Hier tummelten sich Reiche wie Arme, und viele überquerten auf Booten den Fluss. Dann hörten wir vom Wasser her Rufe. Es war eine weitere althergebrachte Sitte, dass bei jenen, die es wagten, einen Fuß in ein Boot zu setzen, jegliche Standesunterschiede von diesem Moment an nichts mehr galten, und so konnten einfache Ruderer Damen von edlem Geblüt und vermögenden Gentlemen mit allen möglichen schlüpfrigen Unflätigkeiten kommen. Selbst dem König würde, wenn er sich entschlösse, ein Boot zu nehmen, die ihm zustehende Ehrerbietung versagt bleiben, obwohl ich bezweifelte, dass er genügend Englisch verstand, um zu erfassen, was für Beleidigungen ihm an den Kopf geworfen wurden.

Elias atmete keuchend, während er die Menschenmenge um uns herum absuchte, aber gar nicht wusste, wo er zuerst hingucken sollte. Ich hingegen konzentrierte meinen Blick auf den von unzähligen Laternen hunderter Ruderboote erhellten Fluss, der wie ein Spiegelbild des von Sternen übersäten Himmelszeltes über uns aussah. Keine fünfzehn Fuß vom Ufer entfernt erspähte ich in einem Boot den Rücken eines massigen Mannes und Teaser, der in Fahrtrichtung blickte. Zwischen den beiden befand sich der Ruderer. Teaser saß in der Falle, denn ein Sprung in das kalte Wasser hätte den sicheren Tod bedeutet - wenn er überhaupt schwimmen konnte. Er befand sich auf einem schwimmenden Gefängnis.

Ich griff Elias beim Arm, zerrte ihn die Stufen der Ufermauer hinunter und stieß ihn in das erstbeste freie Boot. Dann stieg ich mit ein.

»Hoho«, amüsierte sich der Besitzer. Er war ein junger Bursche mit kräftigen Schultermuskeln. »Zwei junge Gentlemen, die in aller Ruhe eine Bootsfahrt machen möchten, was?«

»Halt den Mund«, zischte ich und zeigte mit dem Finger auf Aadil. »Siehst du das Boot da? Für dich ist eine Münze zusätzlich drin, wenn du es einholst.«

Er warf mir einen Seitenblick zu, sprang aber sogleich ins Boot und stieß uns vom Ufer ab. Er mochte zwar ein Klugschwätzer sein, aber er wusste sich in die Riemen zu legen, und schon sausten wir durch die Wellen. Das Wasser roch halb nach Meer, halb nach Unrat, und es schlug heftig gegen die Bordwände.

»Was ist los?«, fragte der Ruderer. »Hat sich der Kerl mit eurem Lustknaben davongemacht?«

»Halt doch endlich deinen Schnabel, Bengel«, fuhr ihm Elias über den Mund.

»Bengel sagst du? Ich werde dir gleich mal mit dem Ruderblatt zeigen, wer hier ein Bengel ist, und hinterher sagen, dass dir zum ersten Mal eine Hure an dein Hinterteil gegangen ist.«

»Großes Maul und nichts dahinter«, knurrte Elias.

»Mach dir nichts daraus«, beschwichtigte ich Elias. »Diese Bootsmänner werden dir erzählen, dass oben unten ist - nur um zu schauen, ob sie dich damit in Rage bringen können.«

»Oben ist unten, mein Freund«, tönte der Ruderer. »Das weiß jeder, der kein Dummkopf ist, denn die Mächtigen sagen uns, was was ist, aber wenn wir einmal selber nachsehen, stellen wir fest, dass es sich doch anders verhält.«

Jedenfalls musste ich zugeben, dass wir ganz schön vorankamen und der Abstand zwischen uns und Aadil immer geringer wurde. Zumindest glaubte ich, dass es sich um Aadils Boot handelte, denn in dem nur von Laternen erhellten Dunkel auf dem Wasser war es nicht leicht, die einzelnen Boote auseinanderzuhalten, doch war ich mir dessen einigermaßen gewiss. Und als ich sah, wie die Gestalt in dem Boot vor uns sich um-sah und den Ruderer zur Eile drängte, wusste ich, dass wir hinter der richtigen Beute her waren.

»Sie haben uns gesehen«, sagte ich zu unserem Ruderer. »Schneller.«

»Schneller kann ich nicht«, sagte dieser. Er war schon zu sehr aus der Puste für dumme Bemerkungen.

Wieder sah ich, wie Aadils Silhouette den Kopf umwandte, seinem Ruderer etwas zuschrie und ihn beiseitestieß, als er nicht bekam, was er wollte. Nun ruderte Aadil selber.

Irgendwie hatte auch unser Ruderer das mitbekommen und fand wieder zu seinem losen Mundwerk zurück. »Was ist denn das?«, rief er seinem Kollegen zu. »Du lässt dir von dem Kerl deine Möse abspenstig machen?«

»Die krieg ich schon noch wieder«, rief der andere zurück. »Dann kannst du bald deinen süßriechenden Schwengel in sie stecken!«