»Wieso kommt die eigentlich mit?«
»Weiß der Himmel. Soll ’nen fixen Verstand haben.«
»Noch fixer macht sie bestimmt die Beine breit. Ist das der Bastard Seiner Lordschaft?«
»Könnte von sonst wem sein.«
Das Gespräch war bewusst so geführt worden, dass Adelia es hören konnte.
Verdammt, das würde ihm schaden. Henry II. hatte Rowley gegen den Willen der Kirche ernannt, die einen aus ihren Reihen zum Bischof von St. Albans machen wollte und noch immer auf einen Grund hoffte, den Kandidaten des Königs aus dem Amt zu drängen. Wenn seine Feinde erfuhren, dass er ein illegitimes Kind gezeugt hatte, wäre das die Chance, auf die sie warteten.
Verfluchte Kirche, dachte Adelia. Unsere Affäre war zu Ende, ehe er Bischof wurde. Verflucht soll sie sein, weil sie ihren Dienern eine unmögliche Enthaltsamkeit aufzwingt. Verflucht soll sie sein, wegen ihrer Heuchelei. Die Christenheit wimmelte von Priestern, die einer Vielzahl von Sünden frönten. Und wie viele von denen wurden verurteilt?
Und verflucht soll sie sein wegen ihres Frauenhasses – eine Missachtung der halben Erdbevölkerung, mit der Folge, dass diejenigen, die sich partout nicht wie die Schafe in den kirchlichen Pferch sperren lassen wollten, als Huren und Ketzerinnen und Hexen verurteilt wurden.
Verflucht sollt ihr sein, dachte sie mit Blick auf die Männer des Bischofs, seid ihr denn so unschuldig? Sind eure Kinder etwa alle ehelich geboren? Wer von euch hat schon bei einer Frau gelegen, ohne mit ihr verheiratet zu sein?
Und verflucht sollst du sein, Bischof Rowley, dass du mich in diese Lage gebracht hast.
Dann verfluchte sie alle noch einmal, weil sie sie so wütend gemacht hatten, obwohl sie doch gerade Allie stillte.
Pater Paton entging ihren Verwünschungen. Unsympathisch, wie er war, behandelte er sie doch zumindest so wie alle anderen – als geschlechtslosen und bedauerlichen Kostenfaktor.
Jacques, der Bote, ein linkischer, großohriger und etwas übereifriger junger Mann, schien ihr gewogener zu sein als die anderen, aber der Bischof hielt ihn ständig auf Trab und ließ ihn mit Botschaften vorausgaloppieren, so dass sie ihn kaum zu Gesicht bekam.
Kaum merklich ging der Icknield Way in den Ridgeway über. Die Kälte wurde immer beißender und raubte Menschen und Pferden die Kraft, doch zumindest näherten sie sich nun der Themse und der Abtei Godstow, die sich auf einer ihrer Inseln erhob.
Jacques stieß erneut zu ihnen, tauchte zwischen den Bäumen auf wie ein berittener weißer Bär. Er schüttelte sich den Schnee ab, während er sich vor Rowley verneigte. »Die Äbtissin Mutter Edyve entsendet Eurer Lordschaft ihre Grüße und freut sich darauf, Euch und Eure Begleiter willkommen zu heißen, wann immer es Euch beliebt. Überdies soll ich Euch sagen, dass der Leichnam von Lady Rosamund noch heute über den Fluss zum Kloster gebracht werden soll.«
Rowley sagte erschüttert: »Dann ist sie also tot.«
»Davon gehe ich aus, Mylord, denn die Nonnen beabsichtigen, sie zu beerdigen.«
Der Bischof blickte ihn erbost an. »Reite zurück zur Abtei. Sag ihnen, wir treffen heute Abend ein, und ich bringe einen Sarazenenarzt mit, der Lady Rosamunds Leichnam examinieren und die Ursache ihres Todes feststellen soll.« Er drehte sich zu Adelia um und sagte auf Latein: »Ihr wollt Euch die Leiche doch ansehen, oder?«
»Ich denke, ja.« Obwohl ihr nicht klar war, was die Tote ihr würde verraten können.
Der Bote nahm sich noch rasch die Zeit, etwas Brot, Käse und einen Krug Ale in seine Satteltasche zu stopfen, ehe er sich wieder aufs Pferd schwang.
»Solltet Ihr nicht zuerst ein wenig rasten?«, fragte Adelia ihn.
»Sorgt Euch nicht um mich, Mistress. Ich schlafe im Sattel.«
Sie wünschte, sie könnte das, doch es kostete sie schon Kraft, sich überhaupt im Sattel zu halten. Die Mäntel, die Pater Paton besorgt hatte, waren aus billiger Wolle, und sie, Gyltha und Mansur wären auf dem Pferderücken erfroren, wenn sie nicht ihre dicken Biberfellmäntel mitgenommen hätten. Im Sumpfland wimmelte es von Bibern, und die Mäntel hatte ihr ein dankbarer Fallensteller geschenkt, den Adelia von einer Lungenentzündung kuriert hatte.
Am Nachmittag erreichte der Reiterzug das tiefer gelegene Dorf Thame und die Straße nach Oxford. Es schneite noch immer, und die Dämmerung brach an, doch der Bischof sagte: »Jetzt dauert es nicht mehr lange. Wir zünden Laternen an und ziehen weiter.«
Sie kamen nur mühsam voran. Die Pferde mussten mit Decken behängt werden, obwohl sie in Bewegung blieben. Kurz darauf wurden ihnen auch die Fransenstirnbänder angelegt, die normalerweise dazu dienten, die Fliegen abzuhalten, jetzt jedoch verhindern sollten, dass die Tiere durch die wirbelnden dicken Flocken, die ihnen an den Wimpern klebten, die Sicht verloren.
Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Wenn die Straße nicht zwischen Hecken verlaufen wäre, sie hätten die Orientierung verloren, ob mit oder ohne Laternen, und wären auf einem Feld oder im Fluss gelandet. Wenn die Hecken an einer Kreuzung endeten, ließ Rowley haltmachen, bis sie den richtigen Weg wiedergefunden hatten. Die Männer mussten förmlich danach suchen, wobei sie sich einander unentwegt etwas zuriefen, damit sich keiner verirrte – ein Fehler, der sie in dieser Kälte das Leben gekostet hätte.
Vorsichtshalber mussten die Frauen mit dem Baby wieder in den Fuhrwagen steigen, wo Pater Paton bereits Zuflucht gesucht hatte mit der Begründung, wenn er länger in der Kälte bliebe, würde er seine für einen Sekretär unverzichtbare Schreibhand verlieren.
Sie hängten eine Laterne an den Bogen über ihren Köpfen, bereiteten ein Lager aus Stroh und nahmen dann Allie zwischen sich, um sie mit ihren Körpern zu wärmen. Die Kälte drang wie Nadeln durch die Ösen der Plane, so eisig, dass sie den Geruch des Strohs und selbst den des Hundes zu ihren Füßen nicht mehr wahrnahmen.
Sie bewegten sich im Schritttempo – Mansur führte die Pferde –, doch tiefe Löcher, die vom Schnee verdeckt wurden, brachten den Wagen immer wieder jäh ins Schwanken und rüttelten sie durch, so dass an Schlaf nicht zu denken war. Zudem hätten sie aus Sorge um die anderen, die das Wetter draußen erdulden mussten, ohnehin kein Auge zutun können.
Gyltha sagte bewundernd über Rowley: »Er wird nich halten, was?«
»Nein.«
Dieser Mann hatte einen Mörder quer durch die Wüsten von Outremer verfolgt, da würde er sich von einem englischen Schneesturm nicht aufhalten lassen.
Aber damals war er noch jünger, dachte Adelia. Laut sagte sie: »Mach dir um ihn keine Sorgen. Er macht sich auch keine um …« Der Wagen wankte bedenklich, und sie umklammerte mit der rechten Hand eine Strebe, während sie mit der linken ihr Kind fester packte, damit sie nicht von einer Seite zur anderen flogen. Die Laterne schwang im Halbkreis, und Gyltha fuhr hoch, um die Kerze zu löschen, die sonst die Plane hätte in Brand setzten können.
»… uns«, beendete Adelia den Satz.
In der Dunkelheit weiter hinten hörten sie Pater Paton um Errettung beten, während draußen schrille arabische Flüche auf Pferde niederprasselten, die nicht mehr ziehen wollten. Eins von beidem hatte wohl geholfen, denn nach einem weiteren heftigen Ruck setzte sich der Wagen wieder in Bewegung.
»Weißt du«, ertönte Gylthas Stimme, als setzte sie ein Gespräch fort, »Rowley erinnert sich noch an den Krieg zwischen Matilda und Stephen. Er ist jünger als ich, aber er wurde in diese Zeit hineingeboren, und seine Eltern haben sie durchgemacht, genau wie ich. König Stephen ist friedlich im Bett gestorben. Und Königin Matilda ist noch immer gut beieinander. Aber der Krieg zwischen den beiden … war für uns einfache Leute entsetzlich. Wir starben zu Hunderten. Es war … es war, als hätten wir alle in der Luft gehangen ohne was zum Festhalten. Es gab kein Gesetz mehr, es gab nix mehr. Meinen Pa haben sie einfach vom Feld weggeholt, damit er für Hugh Bigod eine Burg baut. Er ist nie wiedergekommen. Erst nach drei Jahren haben wir erfahren, dass er von einem Stein erschlagen wurde. Ohne ihn sind wir fast verhungert.«