Wenn ja, konnte es gefährlich werden. Gier, Lust, Rache; die Motive waren ihm einerlei, aber politische Kunden waren meist von hohem Stand und neigten dazu, ihre Beteiligung an der Tat zu verschleiern, indem sie einen weiteren Mörder dungen, um den ersten, also ihn selbst, zu töten. Das war stets lästig und hatte lediglich zur Folge, dass noch mehr Blut floss, allerdings nie seines.
Ah-ha. Der unsichtbare Kunde hatte sich bewegt, und einen winzig kleinen Moment lang hatte seine Stiefelspitze unter dem Vorhang hervorgelugt. Ein Stiefel aus feinstem Hirschleder, wie seine eigenen, und neu, vielleicht erst kürzlich in Oxford gefertigt – ebenfalls wie seine eigenen.
Es wäre also angebracht, einmal bei den hiesigen Stiefelmachern vorbeizuschauen.
»Dann sind wir uns einig?«, fragte der Vorhang.
»Wir sind uns einig, Mylord.«
»Fünfundsiebzig Mark, sagtet Ihr?«
»In Gold, wenn Ihr die Güte hättet, Mylord«, sagte der Mörder noch immer heiter. »Das Gleiche gilt für die hundert, nach getaner Arbeit.«
»Also gut«, sagte der Kunde und wies seinen Diener an, den Beutel mit dem Honorar zu überreichen.
Und dabei unterlief ihm ein Fehler, den weder er noch sein Diener bemerkte, den der Mörder indes höchst interessant fand. »Gib Master Sicarius den Beutel, mein Sohn«, sagte der Kunde.
Ja, das Klimpern von Goldmünzen, als der Beutel überreicht wurde, war kaum weniger befriedigend als die Tatsache, dass der Mörder jetzt den Berufsstand seines Kunden kannte.
Und er war verblüfft.
Kapitel eins
Die Frau auf dem Bett war nicht mehr imstande, zu schreien. Bis auf das Trommeln ihrer Füße und das Schlagen ihrer Fäuste waren ihre Krämpfe so lautlos, als vollführe sie eine Pantomime der Qual.
Die Fürbitte der drei Nonnen, die bei ihr knieten, hätte gespielt sein können; jede bewegte nur lautlos den Mund, denn jedes Geräusch, sogar das Zischeln eines geflüsterten Gebetes, löste bei der Patientin eine neue Konvulsion aus. Sie hatten die Augen geschlossen, um ihr Leiden nicht mit ansehen zu müssen. Nur die Frau, die am Fußende des Bettes stand, schaute mit ausdrucksloser Miene zu.
Auf dem Bildteppich an den Wänden vergnügten sich Adam und Eva in kerngesunder Unschuld in Flora und Fauna des Garten Eden, während die Schlange im Baum und Gott auf einer Wolke die beiden wohlwollend betrachteten. Es war ein kreisrunder Raum, dessen Schönheit jetzt das grässliche Aussehen seiner Besitzerin verhöhnte: das einst helle Haar, das nun schwarz und schweißverklebt war, die dicken Venenstränge, die sich auf dem ehemals weißen Hals abzeichneten, die Lippen zu einem schauerlichen Grinsen verzerrt.
Was getan werden konnte, war getan worden; Kerzen und brennende Weihrauchgefäße erwärmten ein Zimmer, dessen Rautenfenster und Holzläden fest verschlossen worden waren, damit sie nicht klapperten.
Mutter Edyve hatte sämtliche Reliquiare ihres Klosters Godstow zu Verfügung gestellt, um der leidenden Frau die Hilfe der Heiligen zukommen zu lassen. Da sie zu alt war, um selbst hinzufahren, hatte sie Schwester Havis, der Priorin von Godstow, erklärt, was zu tun war. Getreu ihren Anweisungen hatte man der Frau das Schienbein der heiligen Scholastika an den wild schlagenden Arm gebunden und ihr aus der Phiole mit der Milch der heiligen Maria einige Tröpfchen auf den armen Kopf geträufelt. Zudem wurde ihr ein Splitter des heiligen Kreuzes in die Hand gelegt, der allerdings während eines Krampfes durchs Zimmer geflogen war.
Bemüht, kein Geräusch zu machen, stand Priorin Havis auf und ging hinaus. Die Frau, die am Fußende des Bettes gestanden hatte, folgte ihr. »Wo geht Ihr hin?«
»Pater Pol holen. Ich habe nach ihm gesandt, er wartet in der Küche.«
»Nein.«
Als strenge, aber hochgeborene Christin begegnete Havis den Elenden mit Langmut, doch bei dieser Frau lief ihr stets ein kalter Schauer über den Rücken. Sie sagte: »Es ist an der Zeit, Dakers. Sie muss die Sterbesakramente empfangen.«
»Ich werde Euch töten. Sie wird nicht sterben. Und ich töte den Priester, wenn er heraufkommt.«
Die Frau sprach monoton und leidenschaftslos, dennoch glaubte ihr die Priorin. Alle Diener waren schon geflohen, aus lauter Angst davor, was Dakers tun würde, falls ihre Herrin starb.
»Dakers, Dakers«, sagte sie – Verrückte sollte man stets mit Namen ansprechen, damit sie sich ihrer selbst entsannen –, »wir dürfen einer Seele, die ihre Reise antritt, nicht den Trost der Letzten Ölung versagen. Schau …« Sie fasste die Haushälterin am Arm und drehte sie zu dem Zimmer um, wo die Kranke sich erneut aufbäumte. Nur Fersen und Hinterkopf ruhten noch auf dem Bett und bildeten eine Brücke des Leidens.
»Keine sterbliche Hülle kann eine solche Pein ertragen«, sagte Schwester Havis. »Sie stirbt.« Und damit wandte sie sich zur Treppe.
Als sie Schritte hinter sich hörte, umklammerte sie fest das Geländer, um gewappnet zu sein, falls sie einen Tritt in den Rücken bekam. Sie ging weiter, doch sie war erleichtert, als sie unten ankam und hinaus in die weißkalte frische Luft trat, um dann hinüber zur Küche zu gehen, die mit ihren Abzügen für die Feuerstellen der Küche in Fontrevrault nachempfunden war und sich wie ein übergroßer Pfefferstreuer einige Meter vom Turm entfernt erhob.
Die Flammen in einer der Feuerstellen waren die einzige Lichtquelle und warfen einen unruhigen Schimmer auf die Laken, die zum Trocknen an Haken befestigt waren, an denen sonst Kräuter und Speckseiten hingen.
Pater Pol, ein verhuschter kleiner Mann und heute Abend verhuschter denn je, hockte auf einem Stuhl, eine dicke schwarze Katze auf dem Schoß, als bräuchte er ihren Trost an diesem Ort.
Sein Blick traf den der Nonne und wanderte dann fragend zur Gestalt der Haushälterin hinüber.
»Wir sind jetzt bereit für Euch, Pater«, erklärte die Priorin.
Der Priester nickte erleichtert. Er stand auf, setzte die Katze behutsam auf den Stuhl, tätschelte sie ein letztes Mal, hob dann das Chrismatorium hoch, das zu seinen Füßen stand, und eilte hinaus. Schwester Havis wartete einen Moment ab, ob die Haushälterin mitkam, sah, dass dem nicht so war, und folgte schließlich Pater Pol.
Allein gelassen starrte Dakers ins Feuer.
Der Segen des Bischofs, der vor zwei Tagen zu ihrer Herrin gerufen worden war, hatte nichts bewirkt, ebenso wenig wie der ganze Plunder aus dem Kloster. Der christliche Gott hatte versagt.
Nun denn.
Jetzt war Eile geboten. Sie holte verschiedene Gegenstände aus dem Schrank in ihrem winzigen Zimmer neben der Küche. Als sie zurückkam, murmelte sie vor sich hin. Sie legte ein ledergebundenes Buch mit einem Schloss daran auf den Hackklotz. Darauf kam ein Kristall, dessen Facetten im Feuerschein kleine grüne Lichter durch den Raum flirren ließen.
Sie entzündete sieben Kerzen und träufelte von jeder einzelnen etwas Wachs auf den Klotz, um sie sicher hinstellen zu können. Die Kerzen bildeten einen Ring um das Buch und den Kristall und spendeten ein ebenso ruhiges Licht wie die aus Bienenwachs oben im Turm, nur dass sie nicht so wohlriechend waren.
Der Kessel, der an einer Winde über dem Feuer hing, war mit kochendem Wasser gefüllt, so wie immer in letzter Zeit, weil die Laken aus dem Krankenzimmer ständig gewaschen werden mussten. So viele Laken.
Die Frau vergewisserte sich, dass die Wasseroberfläche brodelte. Sie sah sich nach dem Deckel für den Kessel um, einer großen, sauber gelochten Holzscheibe mit einem geschwungenen Eisengriff in der Mitte, fand ihn und stellte ihn vorsichtig auf den Boden zu ihren Füßen. Aus den verschiedenen Feuereisen an der Herdstelle, Holzzangen, Spieße und so weiter, suchte sie sich einen langen Schürhaken aus und legte ihn ebenfalls neben den Deckel auf den Boden.