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»Was das Wappen auf der Börse des armen jungen Mannes betrifft, Mistress. Da könnte es ratsam sein, Schwester Lancelyne zu konsultieren. Sie führt das Kopialbuch und Register des Klosters und hat die Sinnbilder jeder Familie verzeichnet, die je etwas gestiftet haben. Es könnte sein …«

Er hatte seine Zeit gut genutzt. Es war typisch für einen Boten, dass er versuchte, sich bei den Dienern der Häuser, die er besuchte, lieb Kind zu machen, weil er auf diese Weise eine bessere Verpflegung bekam, ehe er wieder aufbrechen musste.

Rechts und links von ihnen waren jetzt wieder Mauern. Adelias Stiefel platschten durch den Matsch von Wegen, die tagsüber gewiss viel benutzt wurden. Ihre Nase registrierte, dass sie an einem Backhaus vorbeikamen, jetzt an einer Küche, einem Waschhaus. Alles stumm und unsichtbar in der Finsternis.

Erneut offenes Gelände. Noch mehr Matsch, aber hier und dort Fußspuren in einer Schneewehe, wo jemand vom Pfad abgebogen war.

Gefahr.

Das Gefühl erfasste sie blind. Unerklärlich, aber so stark, dass sie sich duckte und unter dem Eindruck stehenblieb, als wäre sie daheim in den Gassen von Salerno und hätte den Schatten eines Mannes mit einem Messer gesehen.

Der Bote blieb ebenfalls stehen. »Was ist denn, Mistress?«

»Ich weiß nicht. Nichts.« Im Schnee waren Fußspuren, deutliche, erklärbare Fußspuren, gewiss, doch für sie, die an die Spuren auf der Brücke dachte, zeugten sie von Tod.

Sie zwang sich weiterzustapfen.

Der beißende Gestank von glühendem Eisen und ein Hauch von Wärme in der Luft verrieten ihr, dass sie eine Schmiede passierten. Jetzt ein Stallgebäude und der Geruch nach Pferdedung, der, als sie weitergingen, zu Kuhgeruch wurde – sie hatten den Kuhstall erreicht.

Jacques wuchtete eine Seite der Doppeltür auf. Dahinter kam eine breite, schmutzige Stallgasse zum Vorschein, die von meist leeren Verschlägen gesäumt war. An Michaeli wurde überall im Land Vieh geschlachtet – das Futter reichte nie, um alle Tiere über den Winter zu bringen –, doch als sie die Stallgasse entlanggingen, fiel das Licht der Laterne auf die verdreckten Hinterteile und Schwänze der Kühe, die man am Leben gelassen hatte, um den Winter über Milch zu haben.

»Wo ist sie?«

»Man hat mir gesagt, sie sei hier. Bertha!«, rief Jacques. »Bertha!«

Von irgendwo aus der Dunkelheit am hinteren Ende des Stalles drang Quieken und das Rascheln von Stroh, als wollte eine Riesenmaus in ihr Loch flüchten.

Jacques ging voraus und leuchtete mit der Laterne in den letzten Verschlag, ehe er sie an den Haken eines Deckenbalkens hängte. »Ich glaube, da ist sie drin, Mistress.« Er trat zurück, damit Adelia hineinschauen konnte.

An der Rückwand des Verschlages war ein großer Berg Stroh aufgehäuft. Adelia sprach ihn an. »Bertha? Ich will dir nichts tun. Bitte rede mit mir.«

Sie musste es mehrmals sagen, ehe der Berg sich bewegte und ein Gesicht aus dem Stroh auftauchte. Das Licht der Laterne fiel direkt von oben darauf, und im ersten Moment dachte Adelia, es wäre ein Schweinekopf, doch dann sah sie, dass es einem Mädchen gehörte, dessen ausgeprägte Stupsnase nur die Nasenlöcher sehen ließ und an einen Rüssel erinnerte. Kleine, beinahe wimpernlose Augen starrten Adelia ins Gesicht. Der breite Mund bewegte sich und gab helle Laute von sich. »Tout me ne«, so hörte es sich zumindest an. »Tout me ne, tout me ne.«

Adelia wandte sich zu Jacques um. »Ist sie Französin?«

»Soweit ich weiß, nein, Mistress, aber ich glaube, sie fleht, dass wir ihr nichts tun.«

Das Blöken veränderte sich. »Habangstvose.«

»›Ich habe Angst vor ihr‹«, übersetzte Jacques.

»Vor der Haushälterin?«, fragte Adelia.

Bertha duckte sich entsetzt. »Versaubertmiinemaus.«

»›Sie wird mich in eine Maus verzaubern‹«, half Jacques aus.

Adelia kam der beschämende, aber unwiderstehliche Gedanke, dass die Zauberkräfte der Haushälterin bei der Verwandlung dieses Kindes in ein Tier nicht stark beansprucht werden würden.

»Untutmiinfalle.« Bertha, die offensichtlich ihre Angst verlor und Mut fasste, schob sich ein Stück vor, so dass unter Kopf und Haar, das die gleiche Farbe hatte wie das Stroh ringsherum, ein magerer Hals und Körper zum Vorschein kamen. Sie starrte gebannt auf Adelias Hals.

»›Und tut sie in eine Falle‹«, sagte Jacques.

Allmählich kam Adelia hinter Berthas seltsame Sprache. Und wie immer, wenn von Zauberei die Rede war, wurde sie von Zorn erfasst. Sie war bestürzt, dass man das Mädchen mit dunklem Aberglauben in Angst und Schrecken versetzt hatte. »Sitz gerade«, sagte sie.

Die kleinen Schweinsäuglein blinzelten, und Bertha setzte sich sofort auf, während das Stroh herabrieselte. Sie war daran gewöhnt, angeherrscht zu werden.

»So«, sagte Adelia ruhiger. »Niemand macht dir zum Vorwurf, was geschehen ist, aber du musst mir erzählen, wie es dazu kam.«

Bertha beugte sich vor und zeigte auf Adelias Halskettchen. »Das da schön, was das?«

»Das ist ein Kreuz. Hast du noch nie eines gesehen?«

»Lady Ros hat so was, noch hübscher. Wofür? Zauberei?« Das war ja furchtbar. Hatte denn niemand diesem Mädchen das Christentum nahegebracht?

Adelia sagte: »Sobald ich kann, kauf ich dir eines und erklär dir, was es damit auf sich hat. Aber jetzt musst du mir ein paar Dinge erzählen. Machst du das?«

Bertha nickte, die Augen noch immer auf das Silberkreuz gerichtet.

Und so fing es an. Adelias Geduld wurde vor allem durch Berthas ermüdende, ausweichende Wiederholungen und Beteuerungen, dass es nicht ihre Schuld gewesen sei, auf eine schier unerträgliche Probe gestellt, ehe es ihr gelang, dem Mädchen überhaupt irgendwelche sinnvollen Antworten zu entlocken. Bertha war derart unwissend und leichtgläubig, dass Rosamund in Adelias Augen immer mehr an Ansehen verlor. Eine so ungebildete Dienerin war eine Schande für ihre Herrin. Von wegen schöne Rosamund, dachte sie. Es war hässlich, dieses armselige kleine Geschöpf derart zu vernachlässigen.

Schwer zu schätzen, wie alt Bertha war, und sie selbst wusste es nicht. Irgendwo zwischen sechzehn und zwanzig, vermutete Adelia, halb verhungert und ebenso blind und ahnungslos wie ein Maulwurf in seinem Loch.

Jacques hatte Adelia unauffällig einen Melkschemel in die Kniekehlen geschoben, so dass sie sich setzen konnte und nun mit Bertha auf Augenhöhe war. Er blieb direkt hinter ihr im Dunkeln stehen, sagte aber kein Wort.

Seitdem Adelia von Rosamunds Tod erfahren hatte, war sie überzeugt gewesen, letztendlich zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es sich um einen traurigen Unfall gehandelt hatte.

Sie hatte sich geirrt. Je mehr Vertrauen Bertha zu ihr fasste und je besser Adelia sie verstand, desto deutlicher wurde, dass Bertha zu einer wenn auch ahnungslosen Mordkomplizin gemacht worden war.

An jenem verhängnisvollen Tag, so erzählte die Magd, war sie vom Wormhold Tower in den Wald geschickt worden, um Feuerholz zu sammeln, keine Pilze. Sie hatte einen Schlitten hinter sich hergezogen, um ihn mit toten Ästen zu beladen, die sie mit einem Haken von den Bäumen riss.

Sie war die niedrigste von Rosamunds Mägden und hatte schon einen schlimmen Morgen hinter sich gehabt. Dakers hatte sie verprügelt, weil ihr ein Topf runtergefallen war, und ihr gesagt, Lady Rosamund sei ihrer überdrüssig und habe vor, sie zu entlassen, was für Bertha, die allein auf der Welt war, bedeutet hätte, als Bettlerin durchs Land ziehen zu müssen.

»Das ’n Drachen«, wisperte Bertha und schaute nach oben und unten, für den Fall, dass die Haushälterin flügelschlagend hereingeflogen war, um sich auf einem der Deckenbalken im Stall niederzulassen. »Wir habense immer Drachendakers genannt.«

Vor lauter Verzweiflung und aus Angst vor Drachendakers’ Zorn hatte Bertha so viel Brennholz gesammelt, dass sie den Schlitten nicht mehr von der Stelle bewegen konnte, sobald sie das gebündelte Holz auf ihm festgebunden hatte. Daraufhin hatte sie sich einfach auf den Boden gehockt und in ihrem Kummer den Wald angeheult.