»Iggsi-biddsi«, murmelte sie, »sischnu schischnu, adonei-manuei, iilam, piilam …« Für den Ahnungslosen mochte es sich wie der Hüpfreim eines Kindes anhören, andere jedoch hätten die bewusst verfälschten Versionen der heiligen Namen Gottes in den verschiedensten Glaubensrichtungen herausgehört.
Dakers bückte sich unter den Laken hindurch, ging zu dem Stuhl, auf dem Pater Pol gesessen hatte, und hob die Katze auf, wiegte und streichelte sie, wie er zuvor. Es war eine gute Katze, eine verdienstvolle Mäusefängerin, die einzige, die sie hier zuließ.
Sie trug das Tier zur Feuerstelle, strich ihm mit einer Hand ein letztes Mal übers Fell und griff mit der anderen nach dem Deckel für den Kessel.
Noch immer leise vor sich hin murmelnd, warf sie die Katze ins kochende Wasser, legte rasch den Deckel auf und hielt ihn so lange fest, bis sie den Schürhaken durch den Griff geschoben hatte.
Einen kurzen Moment lang klapperte der Deckel gegen den Schürhaken, und ein greller Schrei pfiff durch die Deckellöcher. Dakers kniete sich auf den Rand der Feuerstelle und übergab ihr Opfer dem göttlichen Herrn.
Wenn Gott versagt hatte, war es Zeit, den Teufel um Hilfe zu bitten.
Gut achtzig Meilen Luftlinie gen Osten half Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar zum ersten Mal einem Kind auf die Welt – oder versuchte es zumindest.
»Pressen, Ma«, sagte die älteste Schwester des Ungeborenen hilfsbereit an der Seite stehend.
»Sag ihr doch so was nicht«, entgegnete Adelia. »Sie darf erst pressen, wenn es so weit ist.« In dieser Phase der Geburt hatte die arme Frau wenig Einfluss auf die Dinge.
Und ich auch nicht, dachte Adelia niedergeschlagen, ich hab doch keine Ahnung.
Es ließ sich schlecht an. Die Wehen zogen sich nun schon eine Ewigkeit hin, und der Mutter, einer tapferen Frau aus dem Sumpfland, gingen allmählich die Kräfte aus.
Draußen auf der Wiese sang Mansur unter den aufmerksamen Blicken von Adelias Hund den anderen Kindern – die allesamt ohne Schwierigkeiten und nur mit Hilfe einer Nachbarin und eines Brotmessers geboren worden waren – Wiegenlieder aus seiner Heimat vor, und es verriet einiges über das Ausmaß von Adelias Verzweiflung, dass sie sich in diesem Augenblick weder an seiner Stimme erfreute noch an dem befremdlichen Umstand, die Molltöne einer engelsgleichen arabischen Kastratenstimme im englischen Sumpfland zu hören. Sie konnte nur das Durchhaltevermögen der leidenden Frau auf dem Bett bewundern, die ein gekeuchtes »Das iss schön« herausbrachte.
Der Ehemann ließ sich nicht verzaubern. Er verbarg sich und die Sorge um seine Frau im unteren Teil der Hütte bei der Kuh. Seine Stimme drang die Holztreppe herauf ins Obergeschoss – teils als Heuboden, teils als Wohnraum genutzt –, wo die Frauen kämpften. »Das hat nie so lang gedauert, wenn Goody Baines sie auf die Welt geholt hat.«
Schön für Goody Baines, dachte Adelia. Aber bei der Geburt dieser Kinder hatte es eben auch keine Komplikationen gegeben, und es waren einfach zu viele gewesen. Später würde sie darauf hinweisen müssen, dass Mistress Reed in zwölf Jahren neunmal entbunden hatte; ein weiteres Kind würde sie wahrscheinlich umbringen, falls das bei diesem nicht schon geschah.
Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür, und vor allem für die Mutter in den Wehen musste sie Zuversicht verströmen, deshalb rief sie munter: »Dann seid froh, dass ich jetzt hier bin, Mann, und sorgt dafür, dass immer reichlich Wasser kocht.«
Ich, dachte sie, eine Anatomin und noch dazu eine Ausländerin. Mein Fachgebiet sind Leichen. Ihr habt allen Grund, Euch Sorgen zu machen. Wenn Ihr wüsstet, dass ich nur einmal bei einer Geburt dabei war, und da war ich die Gebärende, Ihr würdet schlottern vor Angst.
Die unbekannte Goody Baines hätte vielleicht gewusst, was zu tun war. Ebenso Gyltha, Adelias Gefährtin und Betreuerin ihres Kindes, doch beide Frauen hielten sich unabhängig voneinander auf dem Jahrmarkt in Cambridge auf und würden erst in ein oder zwei Tagen zurückkommen. Kaum waren sie aufgebrochen, hatten bei Mistress Reed die Wehen eingesetzt. In diesem entlegenen Teil des Sumpflandes verfügte bekanntermaßen nur Adelia über medizinische Kenntnisse, und daher hatte man sie geholt.
Und wenn die Frau im Bett sich die Knochen gebrochen oder irgendeine Krankheit zugezogen hätte, dann wäre Adelia tatsächlich in der Lage gewesen, ihr zu helfen, denn Adelia war Ärztin. Sie war nicht nur erfahren im Umgang mit Kräutern, beherrschte nicht nur die praktischen Kenntnisse, die Frauen von Generation zu Generation weitergaben, und sie war auch kein Scharlatan, wie so viele Männer, die sich als Doktoren ausgaben und ihre Patienten mit widerwärtigen und viel zu teuren Arzneien übers Ohr hauten. Nein, Adelia war Absolventin der großartigen, liberalen, fortschrittlichen und vielbewunderten Medizinschule in Salerno, die der Kirche zum Trotz auch Frauen zum Studium zuließ, wenn sie nur intelligent genug waren.
Adelia hatte ihre Lehrer überzeugen können, dass sie es, was den Verstand betraf, mit den schlausten Männern nicht nur aufnehmen, sondern sie sogar übertreffen konnte, und war daher in den Genuss einer männlichen Ausbildung gekommen, die sie später vervollständigt hatte, indem sie in der anatomischen Abteilung ihres jüdischen Ziehvaters beim Sezieren von Leichen half.
Es war also eine einzigartige Ausbildung, die ihr jedoch im Augenblick nichts nützte, denn Salernos Medizinschule hatte in ihrer Weisheit – und es war wahrhaftig Weisheit – die Geburtshilfe den Hebammen überlassen. Adelia hätte Mistress Reeds Neugeborenes heilen können; wäre es tot gewesen, hätte sie eine Obduktion durchführen können, um festzustellen, woran es gestorben war – aber sie konnte ihm nicht auf die Welt helfen.
Sie reichte der Tochter der Frau eine Schüssel Wasser und ein Tuch, ging durchs Zimmer, nahm ihren eigenen Säugling aus dem Weidenkörbchen, setzte sich auf einen Heuballen, öffnete ihr Mieder und begann zu stillen.
Sie hatte eine Theorie über das Stillen wie über praktisch alles: Es sollte von ruhigen, heiteren Gedanken begleitet werden. Wenn sie das Kind sonst stillte, setzte sie sich meistens in die Tür ihres kleinen, reetgedeckten Hauses in Waterbeach und ließ den Blick und die Gedanken über das Sumpfland entlang der Cam wandern. Zunächst hatte das flache Grün schlecht abgeschnitten gegen die Erinnerung an das mediterrane Panorama ihrer Heimat mit der dramatisch zerklüfteten Landschaft vor einem türkisblauen Meer. Doch auch das Flache besaß eine gewisse Schönheit, und allmählich hatte sie den endlosen Himmel über weiten Flächen mit Weiden und Erlen ebenso zu schätzen gelernt wie die reichen Fisch- und Jagdgründe des Sumpflandes. »Berge?«, hatte Gyltha einmal gesagt. »Halt ich nix von. Die sind bloß im Weg.«
Außerdem war das hier jetzt die Heimat des Kindes in ihren Armen, ein weiterer Grund, sich für die Gegend zu erwärmen.
Aber heute wagte Adelia es nicht, Augen und Gedanken für ihr Kind auf angenehme Dinge zu richten. Ein anderes Kind musste gerettet werden, und sie würde es nicht wegen ihrer eigenen Unwissenheit sterben lassen. Und auch die Mutter nicht.
Adelia entschuldigte sich stumm bei dem kleinen Wesen, das sie hielt, und rief sich die Leichen von Schwangeren mit ungeborenem Fötus ins Gedächtnis, die sie seziert hatte.
Es waren erbarmungswürdige Kadaver gewesen, doch wenn sie auf dem Marmortisch im großen Seziersaal in Salerno lagen, hatte Adelia sich gezwungen, kein Mitleid zu empfinden, so, wie man es sie im Umgang mit allen Toten gelehrt hatte, um ihnen besser dienen zu können. Für Gefühle war beim Sezieren kein Platz, nur für klare, ausgebildete, forschende Vernunft.
Jetzt tat sie hier das Gleiche, in einer wackeligen kleinen Hütte am Rande der zivilisierten Welt. Sie verdrängte das Leiden der Gebärenden aus dem Kopf und ersetzte es durch ein Bild, das die inneren Organe zeigte, Position, Druck, Verlagerungen. »Hmm.«