Prior Geoffrey schmunzelte. »Das ist Lady Adelia, fürwahr.«
Nun denn. Der junge Mann verbeugte sich und warf den Umhang nach hinten, damit das gestickte Wappen auf seinem Rock zum Vorschein kam: zwei aufsteigende Hirsche und ein Schrägkreuz. »Von meinem ehrwürdigen Herrn, dem Bischof von St. Albans.«
Eine Schriftrolle wurde vorgestreckt.
Adelia nahm sie nicht entgegen. Ihre Lebhaftigkeit war verflogen. »Was will der denn?« Die Frage wurde mit einer Eiseskälte ausgesprochen, die dem Boten fremd war. Er sah hilflos zum Prior hinüber.
Prior Geoffrey schaltete sich ein. Er hatte eine ähnliche Schriftrolle erhalten. Noch immer auf Latein sagte er: »Offenbar benötigt unser Bischof Eure Kenntnisse, Adelia. Er hat Euch nach Cambridge bestellt – es geht um einen Mordversuch in Oxfordshire. Mir scheint, die Sache ist von großer politischer Tragweite.«
Der Bote hielt ihr weiterhin die Schriftrolle hin, Adelia nahm sie weiterhin nicht entgegen. Sie wandte sich an ihren Freund.
»Ich fahre da nicht hin, Geoffrey. Ich will nicht.«
»Ich weiß, meine Liebe, aber deshalb bin ich ja mitgekommen. Ich fürchte, Ihr müsst.«
»Ich will ihn nicht sehen. Ich bin hier glücklich. Gyltha, Mansur, Ulf und das Kleine hier …« Sie hielt den Säugling hoch. »Ich mag das Sumpfland, ich mag die Menschen. Zwingt mich nicht.«
Ihr Flehen zerriss ihm fast das Herz, aber er blieb hart. »Meine Liebe, ich habe keine andere Wahl. Wie unser Bischof schreibt, handelt es sich um eine Angelegenheit des Königs. Des Königs! Daher habt auch Ihr keine andere Wahl. Denn Ihr seid die geheime Waffe des Königs.«
Kapitel zwei
Cambridge hatte nicht erwartet, seinen Bischof so bald wiederzusehen. Vor achtzehn Monaten, nach seiner Ernennung zum Bischof von St. Albans, hatte sich die Stadt für ihn herausgeputzt und all den Prunk aufgeboten, der einem Manne zukam, dessen Wort nur unwesentlich weniger zählte als das Gottes, des Papstes und des Erzbischofs von Canterbury.
Mit ebensolchem Prunk hatte sie ihn zu seiner Antrittsrundreise durch die Diözese verabschiedet, für die er, da sein Bistum wie alle Bistümer Englands riesengroß war, zwei Jahre benötigen würde.
Und doch war er jetzt vorzeitig zurück, jedoch ohne den schwerfälligen Tross, der ihn bei seinem Aufbruch begleitet hatte, vielmehr mit schnellen Reitern, die nur wenige Stunden vor ihm eintrafen, um sein Kommen anzukündigen.
Dennoch, die Menschen kamen aus den Häusern geströmt. Massenhaft. Manche fielen auf die Knie oder hielten ihre Kinder in die Höhe, damit sie den Segen des großen Mannes empfingen, andere liefen neben seinen Steigbügeln her und klagten ihm ihr Leid mit der Bitte um Hilfe. Die meisten erfreuten sich einfach nur am Spektakel.
Ein beliebter Mann, Bischof Rowley Picot. Ein Sohn der Stadt. Kreuzfahrer, und noch dazu vom König für das Bischofsamt auserwählt, nicht vom Papst. Was gut war, weil König Henry II. ihnen irgendwie näher und seine Macht unmittelbarer war als die des Vatikans.
Und auch nicht so ein furztrockener Knochen von Bischof. Einer, der gerne jagte und aß und trank und auch Gefallen an den Damen fand, so hieß es, aber allen Genüssen entsagte, seit Gott ihm auf die Schulter geklopft hatte. Und hatte er nicht die Kindermörder, die die Stadt vor einiger Zeit in Angst und Schrecken versetzt hatten, der Gerechtigkeit zugeführt?
Mansur und Adelia, denen der Bote des Bischofs mit hängendem Kopf folgte, hatten darauf bestanden, auf Cambridges Jahrmarkt nach Gyltha zu suchen, und nun, da sie sie gefunden hatten, hob Mansur sie hoch, damit sie über die Menschenmenge hinweg sehen konnte, wie der Bischof vorbeiritt. »Angezogen wie ein Pfingstochse, Gott segne ihn«, meldete Gyltha nach unten zu Adelia. »Willst du das Kleine nich mal gucken lassen?«
»Nein«, sagte Adelia und drückte das Kind noch enger an sich.
»Mit Bischofsstab und allem Drum und Dran«, fuhr Gyltha fort. »Aber ich find, der Hut passt nich zu ihm.«
Vor ihrem geistigen Auge sah Adelia einen beleibten und gewichtigen, mitratragenden Mann, der wie die meisten Bischöfe all die Heuchelei und Engstirnigkeit einer Kirche repräsentierte, die sich nicht nur ihr entgegenstellte, sondern jeglichen Fortschritt ablehnte, der für die geistige und körperliche Gesundheit der Menschen notwendig war.
Eine Hand berührte ihre Schulter. »Wenn Ihr mir folgen würdet, Mistress. Seine Lordschaft wird Euch eine Audienz in seinem Haus gewähren, doch zuvor muss er den Sheriff empfangen und die Messe lesen.«
»Uns eine Audienz gewähren«, äffte Gyltha ihn nach, als Mansur sie wieder auf den Boden stellte. »Nich zu fassen.«
»Äh.« Der Bote des Bischofs – wie sich herausgestellt hatte, hieß er Jacques – war noch immer etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Sarazenen und Fischweiber gehörten nicht zu der Sorte Mensch, mit der er normalerweise dienstlichen Umgang pflegte. Ein wenig hilflos sagte er: »Mistress, ich glaube, mein Herr erwartet, dass dieses Gespräch mit Euch unter vier Augen stattfindet.«
»Diese Lady und dieser Gentleman begleiten mich«, beschied Adelia ihm. »Oder ich komme nicht mit.«
Es machte sie traurig, wieder in Cambridge zu sein. Die schlimmsten Augenblicke ihres Lebens und die schönsten hatten sich in dieser Stadt ereignet. Der Ort wurde von Geistern heimgesucht, deren Gebeine in Frieden ruhten, während andere noch immer einen Gott anriefen, der sie nicht erhört hatte.
»Und der Hund auch«, fügte sie hinzu und sah, wie der arme Bote die Augen verdrehte. Das kümmerte sie nicht. Es war schon ein Zugeständnis gewesen, überhaupt herzukommen. Als sie noch schnell bei ihr zu Hause vorbeigeschaut hatten, damit sie entsprechende Winterkleidung für sie alle einpacken konnte, hatte sie sich sogar die Haare gewaschen und ihr bestes Gewand angezogen, auch wenn es inzwischen nicht mehr das hübscheste war. Weiter würde sie allerdings nicht gehen.
Die bischöfliche Residenz – in jeder größeren Stadt der Diözese gab es eine – war in einem der Gebäude von St. Mary’s untergebracht, und dort wimmelte es von Dienern, die für den unerwarteten Besuch Vorbereitungen trafen.
Gefolgt von Wächter, dem Hund, wurden die drei in einen großen Raum im ersten Stock geführt, wo man dabei war, Staublaken von schweren, kunstvollen Möbeln zu entfernen. Eine offene Tür am hinteren Ende bot Einblick in ein weißgetünchtes und vergoldetes Schlafgemach, in dem Lakaien Brokatvorhänge an den Baldachin eines prächtigen Bettes hängten.
Als einer von ihnen Mansur hineinschauen sah, eilte er zur Tür und schlug sie ihm vor der Nase zu. Wächter hob ein Bein und pinkelte an den mit Schnitzereien verzierten Türbogen.
»Braver Hund«, sagte Gyltha.
Adelia stellte den Binsenkorb mit ihrem schlafenden Kind auf eine messingbeschlagene Truhe, zog einen Hocker heran, öffnete ihr Mieder und begann zu stillen. Was für ein außergewöhnliches Kind, dachte sie, während sie es ruhig betrachtete. Es war an das friedliche Sumpfland gewöhnt und zeigte doch keinerlei Angst in dem hektischen Trubel, der heute in Cambridge geherrscht hatte, nur Interesse.
»Also«, sagte Gyltha zu ihr. Die beiden Frauen hatten noch keine Gelegenheit gehabt, sich ungestört zu unterhalten.
»Ich höre.«
»Was will Seine Lordschaft denn eigentlich von dir?«
Adelia zuckte die Achseln. »Ich soll einen Mordversuch in Oxfordshire untersuchen, hat Prior Geoffrey wenigstens gesagt.«
»Hätte nich gedacht, dass du deswegen herkommst.«
»Wollte ich auch nicht, aber anscheinend ist es ein Befehl des Königs.«
»Mist«, sagte Gyltha.