»Das kannst du laut sagen.« Henry Plantagenet hatte die allerhöchste Gewalt. Man konnte versuchen, ihm auszuweichen, aber wer ihm den Gehorsam verweigerte, tat das auf eigene Gefahr.
Es gab Zeiten, da verübelte Adelia es Henry II. aus tiefstem Herzen, dass er sie auf der Britischen Insel festhielt, nur um sie, nachdem er festgestellt hatte, wie gut sie die Geheimnisse der Toten lesen konnte, gegebenenfalls erneut zu verwenden. Und es gab Zeiten, da tat sie das nicht.
Den Anfang hatte ein Briefwechsel zwischen dem englischen König und seinem königlichen Verwandten William von Sizilien gemacht, in dem er für das Problem in Cambridge um Hilfe bat, die nur Salernos Medizinschule bieten konnte. Alle waren schockiert gewesen, als Salerno der Bitte nachkam und eine Ärztin der Toten, keinen Arzt nach England schickte, doch die Dinge hatten sich gut entwickelt – zumindest für Henry II. Und zwar so gut, dass es zu einem weiteren Briefwechsel zwischen ihm und König William gekommen war, in dem er erfolgreich darum bat, Adelia noch eine Weile behalten zu können.
Das war ohne ihren Wunsch oder ihre Erlaubnis geschehen, praktisch eine Art Menschenraub, typisch für diesen Mann. »Ich bin kein Gegenstand«, hatte sie ihm entgegengeschleudert, »Ihr könnt mich nicht ausborgen, ich bin ein Mensch.«
»Und ich bin ein König«, hatte Henry erwidert. »Wenn ich sage, Ihr bleibt, dann bleibt Ihr.«
Verdammter König, er hatte sie nicht mal bezahlt, nicht für die Gefahr, nicht für den Verlust geliebter Freunde – bis zum Ende ihrer Tage würde sie um Simon aus Neapel trauern, diesen klugen und sanften Mann, der wie ein zweiter Vater für sie gewesen war. Und ihren Hund, ein weit kleinerer Verlust, aber dennoch war auch er ein Opfer.
Andererseits hatte sie ihren guten Mansur behalten, Zuneigung zu England und seinen Menschen gefasst und war mit der Freundschaft von Prior Geoffrey, Gyltha und ihrem Enkel belohnt worden – und, das Schönste von allem, sie hatte ihr Kind bekommen.
Außerdem war der Plantagenet, obwohl ein durchtriebenes, aufbrausendes, geiziges Schwein, dennoch ein großer König, ein sehr großer König, und das nicht nur, weil er über ein Reich herrschte, das sich von der schottischen Grenze bis zu den Pyrenäen erstreckte. Der Streit zwischen ihm und seinem Erzbischof von Canterbury, Thomas à Becket, würde ihm ewig wie ein Fluch anhaften, weil er mit der Ermordung des Erzbischofs geendet hatte. Aber Adelias Ansicht nach war Henry bei dem Streit im Recht gewesen, und es war verhängnisvoll für die Welt gewesen, dass die Weigerung des Juden hassenden, selbstverliebten, rückwärtsgewandten Becket, eine Reform der ebenso rückwärtsgewandten englischen Kirche zuzulassen, den König dazu getrieben hatte, jene schrecklichen Worte zu rufen: »Wer befreit mich von diesem aufsässigen Priester?«, weil ihn nämlich einige seiner Ritter beim Wort nahmen, die ihre eigenen Gründe hatten, Becket den Tod zu wünschen. Sie waren über den Kanal nach Canterbury gereist und hatten eine Tat begangen, die einen tapferen, aber törichten und kurzsichtigen Mann zum heiligen Märtyrer machte und zugleich der Kirche die Entschuldigung dafür lieferte, einen König zu geißeln, der versucht hatte, ihre Macht zu beschneiden und seinem Volk durch die anständigste und menschlichste Gesetzgebung der Welt zu größerer Gerechtigkeit zu verhelfen.
Ja, sie nannten Henry Plantagenet einen Teufel, und mitunter dachte Adelia, dass er wahrscheinlich einer war, aber sie wusste auch, dass seine durchdringenden blauen Augen weiter in die Zukunft blickten als die jedes anderen Menschen. Als er den Thron bestieg, war England vom Bürgerkrieg zerrüttet und verarmt, und er hatte ihm einen sicheren Wohlstand geschenkt, um den andere Länder es beneideten.
Es hieß, seine Frau und seine Söhne hassten ihn und hätten sich gegen ihn verschworen, und selbst das konnte Adelia nachvollziehen. Henry war allen anderen weit voraus, so schnell, dass ihre Beziehung zu ihm sich bildlich gesprochen darauf beschränken musste, sich an seine Steigbügel zu klammern, während er vorwärtspreschte.
Doch als die Kirche Adelia vor Gericht stellen wollte, als sie gerade auf der Suche nach dem Kindermörder von Cambridge war, hatte dieser vielbeschäftigte König die Zeit gefunden, sich einzumischen und sie zu entlasten.
Na ja, das gehörte sich auch so, dachte sie. Schließlich habe ich ihm viel Mühe und Geld gespart. Ich bin nicht seine Untertanin, ich bin Sizilianerin, und er hat kein Recht, mich in seinen Dienst zu zwingen.
Was eine ganz vernünftige Einschätzung gewesen wäre, wenn Adelia nicht manchmal das Gefühl gehabt hätte, dass es eine Ehre war, im Dienste Henry Plantagenets zu stehen.
Dennoch, sie verfluchte ihn noch einmal kräftig und versuchte dann, mit Rücksicht auf die Verdauung ihres Kindes nicht mehr an ihn zu denken. Das Problem war, dass der große Raum um sie herum eine Kirche widerspiegelte, die sie wütender machte, als Henry es je vermocht hätte. Hier gab es nichts, was nicht zutiefst und unübersehbar religiös war – der wuchtige Bischofssessel, ein gepolstertes Betpult mit Goldintarsien, auf dem Seine Lordschaft bequem knien konnte, um Christus anzubeten, der in Armut gestorben war, die Luft weihrauchgeschwängert.
Adelia nährte ihre Verachtung, indem sie an Prior Geoffreys Zimmer in der Priorei dachte, das umso heiliger war, als es das Weltliche mit einschloss – Angelruten in der Ecke, der Duft von gutem Essen, eine herrliche kleine Aphrodite in Bronze, die er aus Rom mitgebracht hatte, der gerahmte Brief eines Schülers, auf den er stolz war.
Als sie mit dem Stillen fertig war, nahm Gyltha ihr das Kind ab und wiegte es hin und her, damit es sein Bäuerchen machte, eine Lieblingsbeschäftigung der beiden Frauen – es gab keinen befriedigenderen Klang als diesen kleinen Rülpser. Da das frisch entzündete Kohlenbecken den Raum noch nicht richtig erwärmt hatte, legte Gyltha eine weitere Decke in den Korb, ehe sie ihn in eine dunkle Ecke stellte, damit das Kind schlafen konnte. Dann stellte sie sich neben das Kohlenbecken und sah sich zufrieden um. »Mord, hä? Die alten Freunde wieder vereint, wie in alten Zeiten.«
»Versuchter Mord«, rief Adelia ihr in Erinnerung. »Und, nein, nicht wie in alten Zeiten.«
»Aber eine kleine Reise wär mal was anderes«, sagte Gyltha. »Besser als der eiskalte Winter im Sumpfland.«
»Du liebst den Winter im Sumpfland. Und ich auch.« Adelia hatte eislaufen gelernt.
»Das heißt nich, dass ich ihn nich auch woanders genießen kann.« Selbst in ihrem fortgeschrittenen Alter war Gyltha noch eine abenteuerlustige Frau. Sie rieb sich das Hinterteil und nickte Richtung Korb. »Was wird denn Seine Lordschaft wohl zu unserem kleinen Schatz hier sagen?«
»Ich kann nur hoffen«, sagte Adelia, »dass er nicht fragt, von wem es ist.«
Gyltha blinzelte. »Ooh, das wär gemein. Aber das wird er nich, klar wird er das nich. Wieso bist du denn so krabitzig?«
»Ich will nicht, dass wir hier sind, Gyltha. Bischöfe, Könige, die haben kein Recht, irgendwas von mir zu verlangen. Ich werd’s nicht tun.«
»Hast du denn eine Wahl, Mädchen?«
Auf der Treppe draußen hörte man Schritte. Adelia biss die Zähne zusammen, doch es war nur ein kleiner Priester, der den Raum betrat. Er trug in einer Hand eine brennende Kerze und in der anderen ein Schiefertafelbuch, hob den Kerzenhalter hoch und beschrieb damit einen langsamen Kreis, um mit kurzsichtigen Augen aufmerksam in jedes Gesicht zu spähen.
»Ich bin Pater Paton, der Sekretär Seiner Lordschaft«, sagte er. »Und Ihr seid … ja, ja.« Um sich zu vergewissern, legte er das Buch auf einen Tisch, klappte es auf und hielt die Kerze darüber. »Ein männlicher Araber und zwei Frauen, ja.« Er blickte auf. »Ihr werdet Transportmittel, Diener und Vorräte erhalten, für die Reise nach Oxford und zurück, jeweils einen Wintermantel, Brennmaterial sowie einen Schilling pro Tag, bis Seine Lordschaft mit der geleisteten Arbeit zufrieden ist. Darüber hinaus habt Ihr keinerlei Ansprüche zu stellen.«