»Oh, vor langer Zeit«, sagte er. »Da war ich noch nicht lange in England. Na, ich will Euch sagen, wann: Ich war gerade erst der Bote des Bischofs geworden – in meinem Metier ist es stets nützlich, wenn man einen Grund hat, das Land zu bereisen. Nebenbei bemerkt, Mistress, ich hoffe, ich habe dem Bischof gut gedient …« Er meinte das aufrichtig. »Ich bilde mir gern ein, dass ich hervorragende Dienste leiste, ganz gleich, in welchem Bereich.«
Ja, hervorragend. Als Rowley sich in die Abtei geschlichen und seine Männer gewarnt hatte, war ihm der Gedanke, dass sein Bote nicht wie die Übrigen von dem bevorstehenden Angriff erfahren sollte, natürlich nicht gekommen – doch nicht der enervierende, diensteifrige Jacques, einer seiner eigenen Leute.
»Offen gestanden, die Arbeit für St. Albans wird mir fehlen«, sagte er gerade, »doch als Walt mir erzählte, dass der König kommt, musste ich Eynsham davon in Kenntnis setzen. Ich konnte doch nicht zulassen, dass der werte Abt in Gefangenschaft gerät. Er schuldet mir Geld.«
»Wie geht das?«, fragte sie. »Spricht es sich einfach so herum, wenn ein Mörder seine Dienste anbietet?«
»Im Grunde ja. Bislang hatte ich keinen Mangel an Aufträgen. Natürlich möchte sich kein Kunde zu erkennen geben, aber wisst Ihr, wie ich herausgefunden habe, dass es sich bei diesem um unseren Abt handelte?«
Vor lauter Freude wurde seine Stimme so laut, dass eine Eule von ihrem Baum aufflatterte und Schwyz an der Spitze sich umdrehte und ihn beschimpfte. »Wisst Ihr, woran ich ihn erkannt habe? Ratet.«
Sie schüttelte den Kopf.
»An seinen Stiefeln. Der werte Abt trägt außerordentlich schöne Stiefel, wie ich. Ach ja, und er hat seinen Diener als ›mein Sohn‹ angesprochen, und da hab ich mir gesagt: ›Bei allen Heiligen, das ist ein Mann der Kirche, ein reicher Mann der Kirche.‹ Ich musste mich nur ein wenig unter Oxfords besten Stiefelmachern umhören. Das Problem ist jedenfalls, die zweite Hälfte des Honorars zu bekommen.« Ein Plausch über die Misslichkeiten der freien Berufe. »So viel als Anzahlung, so viel nach getaner Arbeit. Bei der zweiten Rate sträuben sie sich immer ein bisschen, findet Ihr nicht auch?«
Sie sagte nichts.
»Na, ich erlebe das jedenfalls oft. Um an mein restliches Geld zu kommen, musste ich mich an Lord Eynsham heften wie Fischleim. Eigentlich ist es in diesem Fall gar nicht seine Schuld. Die Umstände waren schwierig: der Rückzug von Wormhold, der Schnee … doch wie es aussieht, werden wir auf dem Weg nach Norden seiner Abtei einen Besuch abstatten – dort bewahrt er sein Gold auf, in seiner Abtei.«
»Er wird Euch töten«, sagte sie. Die Bemerkung sollte ihn nur am Reden halten; sein Schicksal war ihr gleichgültig. »Er wird Schwyz befehlen, Euch die Kehle durchzuschneiden.«
»Sind die beiden nicht ein interessantes Paar? Schwyz vergöttert ihn förmlich. Sie haben sich in den Alpen kennengelernt, wie ich höre. Ich hab mich schon gefragt, ob sie … na ja, Ihr wisst schon … aber ich glaube nicht, was meint Ihr? Ich würde gern Eure Meinung als Ärztin hören …«
Einer der Söldner im Zuggeschirr wurde langsamer und winkte dem Boten mit wedelnden Armen, er solle seinen Platz einnehmen.
Die Stimme an Adelias Ohr wurde zu einem vertraulichen Flüstern, veränderte sich von der eines Klatschmauls zu der eines Mörders. »Sorgt Euch nicht um mich, Mistress. Unser Abt hat zu viele Feinde, die er still und leise zum Schweigen bringen muss. Schwyz hinterlässt die Spur eines Schlächters. Ich nicht. Nein, nein, meine Dienste werden immer benötigt werden. Sorgt Euch lieber um Euch selbst.«
Er schlug die Plane zurück und wollte vom Schlitten steigen.
»Werdet Ihr es sein, der mich tötet, Jacques?«, fragte sie.
»Ich hoffe nicht, Mistress«, sagte er höflich. »Das täte mir leid.«
Und dann war er weg, weigerte sich jedoch, das Zuggeschirr zu übernehmen. »Mein lieber Freund, ich bin doch kein Ochse.«
Und auch kein Mensch, dachte sie, ein lusus naturae, ein Werkzeug, das für sein Tun nicht verantwortlich zu machen ist, so schuldlos wie eine Waffe, die an der Wand hängt und von ihrem Besitzer für ihre wunderbare Funktionalität bewundert wird.
Der Parfümhauch, den er zurückgelassen hatte, wurde von dem Geruch nach Schweiß und feuchtem Schmutz verdrängt, als der nächste Mann unter die Plane kroch und sogleich zu schnarchen begann.
Inzwischen hatte sich der Abt auf das Trittbrett hinter ihr gestellt, statt den Schlitten anzuschieben, so dass die Männer im Zuggeschirr, die jetzt auch noch sein Gewicht schleppen mussten, kaum noch von der Stelle kamen und das Gleichgewicht zu verlieren drohten. Sie beschwerten sich.
Auf einen Befehl von Schwyz hin schnallten sie die Schlittknochen ab und stapften in ihren Stiefeln weiter, die nicht so leicht wegrutschten.
Und die, wie Adelia jetzt sah, Wasser aufspritzen ließen. Auch von den dahingleitenden Schlittenkufen sprühte es nass auf. Inzwischen waren keine Sterne mehr zu sehen, und der bleiche Mond hatte einen noch bleicheren Hof. Schwyz hatte eine Fackel angezündet und hielt sie hoch, während er übers Eis lief.
Es taute.
Über Adelias Kopf ertönte ein sonores Dröhnen: »Ich will mich ja nicht beklagen, mein lieber Schwyz, aber wenn das so weitergeht, marschieren wir bald auf dem Grund des Flusses. Wie weit noch?«
»Nicht mehr weit.«
Nicht mehr weit bis wohin? Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, deshalb konnte sie auch nicht abschätzen, welche Strecke sie zurückgelegt hatten. Noch immer zeigten beide Ufer das immer gleiche zerzauste Bild von Schilf und Schnee.
Es war irgendwie noch kälter geworden. Das hatte mit der höheren Feuchtigkeit in der Luft zu tun, aber auch mit ihrer Angst. Jetzt, wo Eynsham ohne Störung und offenbar ohne verfolgt zu werden flussaufwärts hatte ziehen können, würde er beruhigt sein. Sobald sie in sicherem Territorium waren, würde er die dann unnötige Last, die er mitgeschleppt hatte, loswerden.
»Da vorne«, rief Schwyz.
Weiter vorne war nichts außer einem schwachen Glimmen am westlichen Himmel, wie ein einsamer Stern, der die Kraft hatte, den Nebel zu durchdringen, hinter dem sich die anderen verbargen. Eine Burg, in der nur ein Licht brannte. Ein Turm?
Und jetzt näherten sie sich einem Landungssteg, weißgesäumt und vertraut.
Und dann wusste sie es.
Rosamund hatte auf sie gewartet.
In Adelias Erinnerung war Wormhold ein Ort, wo scheußlich-schrille Farben aufblitzten und Männer und Frauen wie im Wahn sprachen und handelten.
Jetzt wurde der Turm im Morgennebel wieder zu dem, was er war – ein Mausoleum. Jede architektonische Anzüglichkeit war verschwunden. Und der Irrgarten war für diejenigen, die den Schlitten durch den Matsch hineinzogen, bloß ein schnurgerader und öder Gang aus grauen Büschen, der zu einem Monument führte, das sich wie ein gigantischer Grabstein vor einem trüben Himmel erhob.
Die Tür über der Treppe stand offen und hing jetzt schief in den Angeln. Der Scheiterhaufen in der Halle, der nicht hatte brennen wollen, war noch immer da, ein Berg zerbrochener Möbel, der genau wie die Wände im Licht von Schwyz’ Fackel feucht glänzte.
Ein Rascheln von davonhuschenden Ratten betonte die Stille in der Halle ebenso wie der Versuch des Abtes, die Haushälterin herzurufen: »Dakers. Wo seid Ihr, meine Beste? Euer alter Freund ist zu Besuch. Robert von Eynsham.«
Er drehte sich zu Schwyz um, während das Echo verhallte. »Sie weiß doch nicht, dass ich es war, der sie hat einsperren lassen, oder?«
Schwyz schüttelte den Kopf. »Wir haben sie angelogen, Rob.«
»Gut, dann bin ich noch immer ihr Verbündeter. Aber wo steckt die alte Krähe denn? Wir brauchen was zu essen. Dakers.«
Schwyz sagte: »Wir können nicht lange bleiben, Rob. Der Schweinehund ist uns auf den Fersen.«
»Ach, hör doch auf, ihm die Mächte der Finsternis zuzuschreiben, mein Lieber, wir haben den Drecksack ausmanövriert.« Er verzog das Gesicht. »Ich denke, ich geh besser hoch und suche nach meinen Briefen. Wenn unsere Schöne Rosamund einen behalten hat, dann vielleicht auch noch andere. Ich hab der fetten Kuh gesagt, sie soll sie verbrennen, und was macht sie? Frauen sind ja so unzuverlässig.« Er zeigte auf den Scheiterhaufen. »Steck das Zeug an, wenn es so weit ist. Aber zuerst was essen, denke ich, dann ein Schläfchen, und wenn unser liebenswerter König eintrifft, sind wir längst weg und haben ihm zur Begrüßung ein warmes Feuerchen hinterlassen. Dakers.«