»Wir werden sie erst sehen, wenn sie bereit sind. Sie kommen von hinten durch den Irrgarten.«
»Es gibt noch einen anderen Eingang?«
Der König grinste. »Mach es wie der Maulwurf, sorg immer für einen zweiten Ausgang. Und nun weiter, erzählt mir den Rest.«
Jacques’ Flucht machte ihr zu schaffen. Sie dachte an das kleine namenlose Grab auf dem Friedhof der Nonnen … Das einzig Gute war, dass der Mörder seinem Auftraggeber das einzige Pferd vor der Nase weggeschnappt hatte.
Die Finger des Königs trommelten erneut, also fuhr sie mit ihrem Bericht da fort, wo sie aufgehört hatte.
Und wurde sogleich wieder unterbrochen. »He, wo will Dakers denn hin?«
Adelia war sofort an seiner Seite. Der Nebel hatte angefangen, die Augen zu narren. Er trieb in Schwaden und Wirbeln dahin, dass man meinte, Schneehügel wären geduckte Männer und Tiere, doch die dünne schwarze Gestalt von Rosamunds Haushälterin, die da Richtung Irrgarten kroch, konnte er nicht verbergen.
»Was schleift sie denn da mit?«
»Weiß der Himmel«, sagte der König. »Einen Sägebock?«
Es war jedenfalls etwas großes Eckiges, viel zu schwer für das menschliche Knochenbündel, das nach jedem Zug an der Last zusammenbrach, sich aber immer wieder aufrappelte und erneut zog.
»Sie ist natürlich verrückt«, sagte der König. »War sie schon immer.«
Es war quälend, eine solche Anstrengung mit anzusehen, aber sie schauten dennoch hin und mussten ihre Augen immer wieder neu an das sich ständig verändernde Grau gewöhnen, während Dakers wie eine Ameise ihre Last weiterzerrte.
Lass es doch liegen, was immer es ist, flehte Adelia sie an. Sie haben dich noch nicht gesehen. Geh und stirb eines natürlichen Todes.
Ein weiteres Blinzeln, und da war nur noch Nebel.
»Also …«, sagte der König. »Ihr hattet eines von Eynshams Machwerken aus diesem Zimmer mit nach Godstow genommen und es dem Priester gegeben … Weiter.«
»Er hat eine unverkennbare Handschrift«, erklärte sie ihm. »Ich habe nie eine vergleichbare gesehen, sehr geschwungen, wirklich schön, er verwendet klassisch eckige Kapitalbuchstaben und füllt sie dann mit Schnörkeln aus, und seine Minuskeln …«
Henry seufzte, und Adelia sprach hastig weiter. »Jedenfalls, Schwester Lancelyne, das ist die Bibliothekarin von Godstow, hat einmal an Eynsham geschrieben und angefragt, ob sie seine Ausgabe von Boethius’ Trost der Philosophie haben könnte, um sie zu kopieren, und er hatte in einem Antwortschreiben abgelehnt …«
Sie sah wieder die gelehrte kleine Nonne vor ihren leeren Regalen. »Falls wir je hier rauskommen, möchte ich, dass Schwester Lancelyne sie bekommt.«
»Eine ganze Philosophie? Eynsham hat einen Boethius?« Die Augen des Plantagenet leuchteten. Er gierte nach Büchern, und wenn es um die anderer Leute ging, war ihm nicht zu trauen.
»Ich hätte gerne«, sagte Adelia sehr deutlich, »dass Schwester Lancelyne sie bekommt.«
»Na schön, meinetwegen. Aber sie soll gut auf sie aufpassen. Weiter, erzählt weiter.«
»Und wo wir schon mal dabei sind …« Ein wenig Gutes sollte schon dabei herausspringen. »Falls Emma Bloat Witwe werden sollte …«
»Das wird sie«, versprach der König. »O ja, das wird sie.«
»Dann soll sie nicht wieder in eine andere Ehe gezwungen werden.«
Mit ihrem eigenen Vermögen und Wolvercotes Ländereien wäre Emma heiß begehrt. Und als Witwe eines Barons des Königs wäre es zudem Henrys Vorrecht, sie erneut zu verheiraten, eine kostbare Ware auf dem königlichen Markt.
»Bin ich hier auf dem Pferdemarkt?«, fragte der König. »Feilscht Ihr etwa? Mit mir?«
»Ich verhandele. Betrachtet das als mein Honorar.«
»Ihr werdet mich noch ruinieren«, sagte er. »Also gut. Können wir jetzt bitte fortfahren? Ich brauche Beweise für Eynshams Schandtaten, um sie dem Papst vorzulegen, und ich glaube kaum, dass eine schnörkelige Schrift da genügen wird.«
»Pater Paton hat das geglaubt.« Adelia schloss kurz die Augen. »Der arme Pater Paton.«
»Wie dem auch sei …« Henry sah zu dem Tisch hinüber. »Der Bastard scheint seinen Brief mitgenommen zu haben.«
»Es gibt noch mehr. Aber wir können nicht beweisen, dass er einen Mörder gedungen hat für … diejenige, die er getötet hat.«
»Darum mach ich mir keine Sorgen«, sagte der König. »Er wird es uns wahrscheinlich sagen.«
Ich hab einen Mann zur Folter verdammt, dachte sie. Plötzlich war sie müde und wollte nichts mehr sagen. Falls es Schwyz gelang, den Berg Holz unten in der Halle zum Brennen zu bringen, war es ohnehin sinnlos.
Sie kürzte ab, was noch zu sagen blieb. »Dann kam Rowley. Er hat seinem Reitknecht Walt gesagt, er soll auf mich aufpassen, wenn die Abtei angegriffen wird. Und Walt hat es nichtsahnend dem Mörder erzählt, der es wiederum Eynsham erzählt hat – der Abt hat große Angst vor Euch und beschloss zu fliehen und mich mitzunehmen.« Es hörte sich fast an wie eine Geschichte aus Kindermund. »Das ist alles«, sagte sie und schloss die Augen. »Mehr oder weniger.«
Das Tröpfeln von den Eiszapfen nahm zu, prasselte wie Regen auf die Fenstersimse des stillen Raumes.
»Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar«, sagte der König gedankenversunken.
Es war ein Lob.
Sie öffnete die Augen, versuchte zu lächeln und schloss sie wieder.
»Er ist ein guter Kerl, der junge Geoffrey«, sagte Henry. »Sehr anhänglich. Gott segne ihn. Ich hab ihn von einer Dirne, Ykenai – eigenartiger Name, der Himmel allein weiß, zu welcher Rasse ihre Eltern gehörten, denn sie weiß es jedenfalls nicht. Eine üppige Frau, gemütlich. Ich sehe sie noch immer gelegentlich, wenn ich in London bin.«
Adelia war wieder ganz wach. Er erzählte ihr etwas, als Gegenleistung, als Lohn für ihre Mühe. Es ging um Rosamund, ohne dass ihr Name erwähnt wurde.
»Ich habe ihr einen Pastetenladen eingerichtet, den sie sehr erfolgreich betreibt, nur dass sie jetzt noch dicker ist als früher. Wir reden über Pasteten, es ist gar nicht so einfach, Pasteten zu machen.«
Füllige Frauen, gemütliche, gutgefederte Matratzen, wie Rosamund es auch gewesen war. Frauen, die über einfache Dinge sprachen, die ihn nicht forderten. Frauen, die sich von Eleanor so stark unterschieden wie Kreide von Käse – und vielleicht hatte er beides geliebt.
Von der Frau und von der Geliebten verraten. Ob Rosamund vom Ehrgeiz zerfressen war oder durch den gerissenen Abt dazu getrieben wurde, das Ergebnis blieb dasselbe. Sie hätte fast einen Krieg ausgelöst. Die einzige weibliche Zuflucht, die dieser Mann, dieser Herrscher, besaß, lebte in London in einem Pastetenladen, wo sie ihm immerhin einen treuen Sohn geboren hatte.
Henrys Stimme drang gehässig vom Fenster her. »Als der Bischof von St. Albans bei Euch war, hat er Euch da von seinem Eid erzählt?« Er wollte jemanden verletzen, der gleichfalls verraten worden war.
»Ja«, sagte sie.
»Er hat ihn in meiner Anwesenheit geschworen. Mit der Hand auf der Bibel. ›Ich schwöre bei Gott und allen Heiligen im Himmel, dass ich mich ihrer enthalten werde, solange Ihr sie sicher behütet und beschützt.‹«
»Ich weiß«, sagte sie.
»Ha.«
Zum ersten Mal seit Tagen hörte sie Vogelgezwitscher, als würden kleine gefrorene Herzen auftauen und wieder zum Leben erwachen.
Henry beugte sich vor, nahm ihr den restlichen Käse aus der Hand, zerbröselte ihn und streute die Krümel auf den Fenstersims.
Sofort kam ein Rotkehlchen angeflogen, um sie aufzupicken, und seine Flügel streiften fast Henrys Hand, ehe es wieder davonflatterte.
»Ich bringe England den Frühling zurück«, sagte der König. »Sie werden mich nicht besiegen, bei Gott, das werden sie nicht.«
Sie haben dich besiegt, dachte Adelia. Deine Männer kommen nicht. Du wirst von allen verraten.