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Auch die Ehefrau, die Henry auf den Thron mitbrachte, war einem schillernden Märchen entstiegen. Sie war keine jungfräuliche Prinzessin. Eleanor war die mächtigste Erbin in Europa, eine strahlende Persönlichkeit, die ihr Herzogtum Aquitanien mit eigener Kraft regiert hatte, bis sie den schwächlichen und frommen König Ludwig von Frankreich heiratete – einen Mann, der sie dermaßen langweilte, dass es ihr nur recht war, als die Ehe schließlich geschieden wurde. Im selben Jahr war der neunzehnjährige Henry Plantagenet auf der Bildfläche erschienen, hatte der schönen dreißigjährigen Eleanor den Hof gemacht, sie geheiratet und ihre gewaltigen Ländereien übernommen, womit sein Herrschaftsgebiet in Frankreich größer wurde als das des gekränkten König Ludwig.

Die Geschichten, die sich um Eleanor rankten, waren zahlreich und skandalös. Sie hatte in Begleitung barbusiger Amazonen an Ludwigs Kreuzzug teilgenommen. Sie hatte mit ihrem Onkel Raymond, dem Fürsten von Antiochia, geschlafen. Sie hatte dieses getan, jenes getan …

Doch wenn ihre neuen englischen Untertanen erwartet hatten, mit weiteren Pikanterien unterhalten zu werden, so wurden sie enttäuscht. Während der folgenden zehn Jahre hielt sich Eleanor mehr oder weniger ruhig im Hintergrund und tat ihre Pflicht als Königin und Ehefrau, indem sie Henry fünf Söhne und drei Töchter gebar.

Wie von einem gesunden König nicht anders erwartet wurde, hatte Henry auch noch andere Kinder von anderen Frauen – welcher Herrscher nicht? –, aber Eleanor schien das gelassen hinzunehmen und ließ sogar den jungen Geoffrey, einen Bastard, den ihr Mann mit einer Prostituierten gezeugt hatte, zusammen mit den legitimen Kindern am königlichen Hof erziehen.

Eine einigermaßen glückliche Ehe also, wie die meisten.

Bis …

Was hatte zum Zerwürfnis geführt? Das Erscheinen von Rosamund, jung, hübsch, die höchstgeborene unter Henrys Frauen? Auf jeden Fall wurde seine Affäre mit ihr legendär, lieferte den Stoff für Lieder. Er vergötterte sie, nannte sie Rosa Mundi, Rose der Welt, hatte sie in einem Turm in der Nähe seiner Jagdhütte in Woodstock untergebracht und drum herum ein Labyrinth bauen lassen, durch das kein anderer hindurchfand …

Die arme Eleanor war jetzt über fünfzig und unfähig, weitere Kinder zu bekommen. War klimakterische Eifersucht der Grund für ihre Wut? Denn Wut musste es gewesen sein, die sie dazu trieb, ihren ältesten Sohn, den jungen Henry, zur Rebellion gegen seinen Vater anzustacheln. Königinnen waren schon für weitaus geringere Vergehen gestorben. Tatsächlich war es ein Wunder, dass ihr Mann sie nicht hinrichten ließ, sondern zu einer nicht unbehaglichen Gefangenschaft verurteilte.

Nun, so unterhaltsam es auch war, über derlei Dinge zu spekulieren, sie waren doch sehr weit weg. Welche Sünden auch immer zu Königin Eleanors Gefangenschaft geführt hatten, sie waren in Aquitanien begangen worden oder in Anjou oder im Vexin, jedenfalls an einem jener fernen Orte, über die die königliche Familie Plantagenet ebenfalls herrschte. Die meisten Engländer wussten nicht recht, was die Königin sich hatte zuschulden kommen lassen, Gyltha ganz sicher nicht, aber es war ihr auch egal. Ebenso wie Adelia.

Plötzlich ertönte eine laute Stimme aus dem Schlafgemach: »Das Kind ist hier? Sie hat es mitgebracht?« Jetzt nur noch in seiner Tunika tauchte ein jüngerer und schlankerer, aber noch immer sehr kräftiger Mann an der Tür auf und blickte sich wild um. Dann trabte er zu dem Korb auf dem Tisch. »Mein Gott«, sagte er, »mein Gott.«

Wehe, dachte Adelia, wehe, du fragst, von wem es ist.

Doch der Bischof starrte so ehrfürchtig in den Korb, wie die Tochter des Pharao auf den kleinen Moses im Schilf geblickt hatte. »Ist er das? Mein Gott, er sieht genauso aus wie ich.«

»Sie«, sagte Gyltha. »Sie sieht genauso aus wie du.«

Wie typisch für die kirchlichen Klatschzungen, dachte Adelia gehässig, dass sie nicht einmal das Geschlecht seines Kindes erwähnt hatten, nur dass sie es zur Welt gebracht hatte.

»Eine Tochter.« Rowley nahm das Kind mit beiden Händen auf und hielt es hoch. Die Kleine blinzelte verschlafen und krähte dann fröhlich mit ihm. »Jeder Narr kann einen Sohn haben«, sagte er. »Man muss ein Mann sein, um eine Tochter zu zeugen.«

Deshalb habe ich ihn geliebt.

»Wer ist denn Papas kleiner Fratz«, sagte er jetzt, »wer hat Augen wie Kornblumen, ja, die hat sie, ja, die hat sie, genau wie ihr Papa. Und klitzekleine Zehchen. Killekillekille. Gefällt ihr das? Ja, das mag sie.«

Adelia war sich bewusst, wenn auch hilflos, dass Pater Paton die Szene beobachtete. Sie wollte Rowley sagen, dass er sich verriet, denn seine Freude hatte nichts Bischöfliches mehr. Aber vermutlich wusste der Sekretär um sämtliche Geheimnisse seines Herrn – und jetzt war es ohnehin zu spät.

Der Bischof blickte auf. »Wird sie ein Glatzköpfchen? Oder wächst der Flaum auf ihrem Kopf noch? Wie heißt sie?«

»Allie«, sagte Gyltha.

»Ali?«

»Almeisan.« Adelia sprach zum ersten Mal, wenn auch widerwillig. »Mansur hat ihr den Namen gegeben. Almeisan ist ein Stern.«

»Ein arabischer Name.«

»Wieso nicht?« Sie war streitlustig. »Araber haben die Welt die Astronomie gelehrt. Es ist ein schöner Name, er bedeutet ›die Leuchtende‹.«

»Ich sag ja nicht, dass er nicht schön ist. Nur, ich hätte sie Ariadne genannt.«

»Tja, Ihr wart nicht da«, sagte Adelia böse.

»Ariadne« war sein Kosename für sie gewesen. Sie waren sich auf derselben Straße und zur selben Zeit begegnet, als sie Prior Geoffrey kennenlernte. Sie wussten es zwar damals noch nicht, aber sie hatten auch dieselbe Mission. Rowley Picot war als einer von König Henrys Steuereintreibern aufgetreten, hatte aber insgeheim auf Geheiß seines königlichen Herrn nach der Bestie gesucht, die in Cambridgeshire Kinder tötete und dadurch die königlichen Steuereinnahmen verringerte. Wohl oder übel hatten die beiden schließlich gemeinsam Spuren verfolgt. Und wie Ariadne hatte sie ihn in die Höhle der Bestie geführt. Wie Theseus hatte er sie daraus errettet.

Und sie dann, wie Theseus, verlassen.

Sie wusste, dass sie ungerecht war. Er hatte sie gebeten, ja angefleht, ihn zu heiraten, doch damals hatte er sich die Gunst des Königs verdient und war für eine Position vorgesehen, für die er eine Frau brauchte, die sich nur ihm, ihren Kindern und ihren Besitzungen widmete – eine herkömmliche englische Herrin eben, keine Frau, die ihre Pflicht gegenüber den Lebenden und den Toten weder aufgeben wollte noch konnte.

Und doch konnte sie ihm nicht verzeihen, dass er genau das getan hatte, worum sie ihn gebeten hatte: sie verlassen, fortgehen, das vom König angebotene reiche Bistum annehmen.

Möge Gott ihn strafen, er hätte wenigstens schreiben können.

»Nun denn«, sagte sie, »Ihr habt sie gesehen, und jetzt gehen wir.«

»Ach ja?« Das war Gyltha. »Wollten wir nich zum Essen bleiben?«

»Nein.« Adelia hatte von Anfang an nach einem Vorwand gesucht und ihn jetzt gefunden. »Wenn irgendwer versucht hat, dieser Rosamund Clifford etwas anzutun, tut mir das leid, aber es hat nichts mit mir zu tun.«

Sie ging zu ihm, um ihm die Kleine abzunehmen. Auf einmal war sie ihm so nah, dass sie den Weihrauch von der Messe, die er gefeiert hatte, riechen konnte. Er klebte an ihm, verseuchte ihr gemeinsames Kind. Seine Augen waren nicht mehr Rowleys Augen, sondern die eines Bischofs, sehr müde – er war in einem Gewaltritt von Oxford gekommen – und sehr ernst.

»Nicht einmal, wenn das Bürgerkrieg bedeutet?«, fragte er.