»Sie haben ihn getötet«, rief die Königin vom Ufer aus. Sie wischte die Hand des Soldaten, der sie festhielt, vom Arm, als wäre sie ein Staubkorn.
Der König trat vor, um ihr an Bord zu helfen. »Eleanor.«
»Henry.«
»Die Verkleidung gefällt mir. Steht Euch gut.«
Sie war gekleidet wie ein Junge, und sie sah wirklich gut darin aus, obwohl niemand auf diese Verkleidung hereingefallen wäre. Schlank genug dafür war sie, doch der schlammfarbene kurze Umhang, die Stiefel und die keck sitzende Kappe, unter der sie ihr Haar verborgen hatte, das alles wurde mit zu viel Stil getragen.
Der Jubel auf der Seite der Abtei war verstummt. Die Menschen am anderen Ufer beobachteten in gespannter Stille die Begegnung zweier verfeindeter Olympier und warteten auf die Donnerschläge.
Es kamen keine. Adelia kauerte im Heck und sah zwei Menschen, die einander zu gut und zu lange kannten, um einander jetzt noch zu überraschen. Sie hatten acht Kinder und hatten gemeinsam um den Tod eines der Kinder getrauert, sie hatten gemeinsam große Länder beherrscht, gemeinsam Gesetze gemacht, gemeinsam Aufstände niedergeschlagen, sie hatten gemeinsam gestritten, gelacht und geliebt, und wenn all das jetzt in dem metaphorischen Versuch geendet hatte, einander zu zerfleischen, so lag es doch noch in ihren Augen und hing in der Luft zwischen ihnen.
Als ob sie es selbst jetzt nicht ertragen könnte, für ihn unweiblich auszusehen, nahm Eleanor ihre Kappe ab und warf sie im hohen Bogen in den Fluss. Es war ein Fehler. Die jungenhafte Kleidung wurde grotesk, als sich das lange, graumelierte Haar einer Fünfzigjährigen über ihre Schultern ergoss.
Sanft, barmherzig, zog ihr Mann seinen Mantel aus und legte ihn um sie. »Da, meine Liebe.«
»Nun, Henry«, sagte sie. »Wo geht’s diesmal hin? Zurück nach Anjou und Chinon?«
Der König schüttelte den Kopf. »Ich dachte eher an Sarum.«
Sie schnalzte mit der Zunge. »Oh, bitte nicht Sarum, Henry, das ist in England.«
»Ich weiß, Werteste, doch Ihr habt nun mal die leidige Angewohnheit, aus Chinon zu fliehen.«
»Aber Sarum«, beharrte sie. »Wie langweilig.«
»Na ja, mal sehen, wenn Ihr schön brav seid, lass ich Euch zu Ostern und Weihnachten hinaus.« Er winkte den Ruderern, sich in die Riemen zu legen. »Aber jetzt geht es erst einmal nach Oxford. Da warten ein paar Rebellen darauf, von mir gehenkt zu werden.«
Adelia erwachte aus ihrer Verzückung und geriet in Panik. Zwischen ihr und ihrem Kind lag ein Fluss. »Mylord, Mylord, lasst mich vorher aussteigen.«
Er hatte sie vergessen. »Ach so, ja natürlich.« Und zu den Ruderern: »Ans andere Ufer.«
Gegen die reißende Strömung kamen sie nur langsam voran, und der König machte die ganze Zeit seinem Unmut Luft. Als die Barkasse endlich am gegenüberliegenden Ufer eine Stelle zum Anlegen erreichte, war sie längst weit an der Abtei vorbei. Adelia wurde aus dem Boot gehoben und auf einer verlassenen Weide in den Matsch gestellt, in dem sie bis zu den Stiefelrändern versank.
Dem König gefiel das. Er beugte sich mit neugewonnenem Humor über die Reling. »Ihr müsst zurückplatschen«, grinste er.
»Ja, Mylord. Danke, Mylord.«
Das Boot legte wieder ab, und vom Heben und Senken der Ruder regneten glitzernde Tropfen aufs Wasser.
Plötzlich rannte der König in der Barkasse bis zum Heck, um ihr noch etwas zu sagen. »Was den Eid des Bischofs angeht«, rief er. »Macht Euch deswegen keine Sorgen. ›… solange Ihr sie sicher behütet und beschützt …‹ Sehr schön formuliert.«
Sie rief zurück. »Findet Ihr?«
»Ja.« Die rasch größer werdende Entfernung zwischen ihnen zwang ihn zu brüllen. »Adelia, Ihr seid meine Totenleserin, ob es Euch gefällt oder nicht …«
Jetzt sah sie nur noch das Plantagenet-Banner mit den drei Leoparden darauf flattern, weil die Barkasse in einer waldgesäumten Flussbiegung verschwand, doch die Stimme des Königs klang munter über die Bäume hinweg: »Ihr werdet niemals sicher sein«, rief er.
Anmerkung der Autorin
Der Platz, den die schöne Rosamund Clifford in den Legenden einnimmt, ist größer als der in historischen Dokumenten, wo sie nur beiläufig Erwähnung findet, und ich hoffe, ihr Schatten wird mich nicht wegen des fiktiven Porträts verfolgen, das ich von ihr gezeichnet habe.
Aus dem English Register of Godstow Nunnery, das von Andrew Clarke herausgegeben und von der Early English Text Society veröffentlicht wurde, geht hervor, dass die Abtei zur damaligen Zeit hohes Ansehen genoss und effizient verwaltet wurde. In ihr herrschte ein so aufgeschlossener Geist, dass die Leiche von Rosamund Clifford, der Geliebten Henrys II., vor dem Altar beigesetzt werden konnte, wo ihr Grab zu einem beliebten Wallfahrtsort wurde. Als der bedeutende Bischof Hugh of Lincoln das Kloster 1191, also zwei Jahre nach Henrys Tod, besuchte, war er, obgleich er mit Henry befreundet gewesen war, entsetzt, das Grab an dieser Stelle vorzufinden. Er ordnete an, dass Rosamund ausgegraben und an anderer, weniger heiliger Stätte im Kloster bestattet werden sollte.
Die Rebellion der Familie Henry Plantagenets spielte sich größtenteils auf dem Festland ab, aber da sich Romanautoren vor allem der Lücken in mittelalterlichen Dokumenten bedienen, habe ich mir erlaubt, einen solchen Aufstand auch nach England zu verlegen, wo sich, wie erwiesen ist, zumindest einige seiner unzufriedenen Barone rasch auf die Seite des jungen Henry und Eleanors schlugen.
Eleanor von Aquitanien überlebte den Tod Henrys und die Gefangenschaft, die er ihr aufzwang. Sie überlebte sogar alle ihre Söhne bis auf König John. Sie war schon über siebzig, als sie die Pyrenäen überquerte, um die Hochzeit ihrer Enkelin vorzubereiten, eine Entführung erduldete und später eine Belagerung. Sie starb im Alter von 82 Jahren und wurde neben ihrem Ehemann und ihrem Sohn Richard I. in der Abtei von Fontevrault beigesetzt, in deren herrlicher Kirche heute ihre Grabplastiken zu bewundern sind.
Ich stehe dazu, wie meine Figuren sich per Boot zwischen Godstow und anderen Orten bewegen. Selbst heute noch ist die Themse um die Insel herum, auf der die Überreste der Abtei stehen, und ein gutes Stück flussaufwärts schiffbar. Es steht zu vermuten, dass ihre Zuflüsse im Laufe der Jahrhunderte ihren Lauf verändert haben, und über die inzwischen verschwundenen Zuflüsse des Cherwell kam man besser voran als auf dem Landweg. Wie Professor W. G. Hoskins, der Vater der Landschaftsarchäologie, in seinem Fieldwork to Local History (Faber and Faber) feststellt: »Im Mittelalter und auch noch danach erfolgte der Inlandshandel größtenteils über den Flussweg, und zwar in weit größerem Umfang, als im Allgemeinen angenommen wird.« Zudem gibt es Belege dafür, dass die Themse in den extrem kalten Wintern des zwölften Jahrhunderts zufror.
Biber waren übrigens im zwölften Jahrhundert an den englischen Flüssen weit verbreitet. Erst im achtzehnten Jahrhundert wurden sie wegen ihrer Pelze so stark bejagt, dass sie ausstarben.
Und so unwahrscheinlich es auch klingt, es wurde tatsächlich Schlafmohn zur Opiumgewinnung im Sumpfland Ostangliens angebaut, nicht nur im zwölften Jahrhundert, sondern auch in den Jahrhunderten danach. Man nimmt an, dass die Römer die Pflanze mit nach England brachten – wie so vieles andere auch. Das von den Menschen im Sumpfland als »Godfreys Arznei« bezeichnete Mittel war eine Mischung aus Opium und Sirup und wurde im zwölften Jahrhundert viel verabreicht.
Henrys Söhne wendeten sich alle einer nach dem anderen gegen ihn, und als er 1189 in Chinon vermutlich an Darmkrebs starb, wusste er, dass sein jüngster und liebster Sohn John die Rebellion seines älteren Bruders Richard unterstützte.
Aus erzähltechnischen Gründen habe ich das Gut Wolvercote mit einem fiktiven Lord versehen. Der wahre Besitzer des Gutes zur damaligen Zeit war ein gewisser Roger D’Ivri, und mir liegt kein Hinweis darauf vor, dass D’Ivri sich je an einem Aufstand gegen Henry II. beteiligt hat. Interessant ist jedoch, dass er später, ob nun freiwillig oder nicht, sein Gut dem König übergab, der es der Abtei von Godstow zum Geschenk machte.