Выбрать главу

Rahn zog eine Grimasse. »Du bist nicht witzig, Lea. Ich frage mich nur, ob dir immer noch nach Scherzen zumute ist, wenn ich dir erzähle, dass Sarn einen Mann nach Goseg geschickt hat, um dort um Hilfe zu bitten.«

Lea hob die Schultern. »Und?«

Diesmal antwortete Rahn nicht sofort. Er wirkte ein bisschen enttäuscht, als hätte er eine andere Reaktion auf seine Eröffnung erwartet, fing sich aber schnell wieder. »Aber du weißt nicht, dass er von deinem Geheimnis weiß.«

Lea blieb weiter ruhig. »Welchem?«, fragte sie lächelnd.

»Deinem Freund«, antwortete Rahn. »Dem Fremden.«

Lea blieb auch jetzt vollkommen ruhig, aber Arri entging dennoch nicht, dass sie noch ein wenig bleicher wurde. Sie schwieg.

»Ich will nur eines von dir wissen, Lea«, fuhr Rahn fort. Er beugte sich noch ein wenig weiter vor. Noch ein kleines Stück, dachte Arri, und er fällt vom Stuhl. Aber an der Situation war überhaupt nichts Komisches. »Sagt Sarn die Wahrheit?«

»Worüber?«

»Über dich«, antwortete Rahn. »Er behauptet, du und deine Tochter wären nur hierher gekommen, um uns auszuspähen, und dass dieser eine Fremde nur die Vorhut einer ganzen Horde ist, die kommen wird, um uns alle zu vernichten. Ist das wahr?«

»Und wenn?«, fragte Lea.

»Ist es wahr?«, beharrte Rahn.

»Unsinn!«, sagte Lea verächtlich. »Glaubst du, ich wäre noch hier, wenn es so wäre?« Sie beantwortete Rahns Frage mit einem abgehackten Kopfschütteln. »Du beginnst mich zu langweilen, Rahn. Meine Tochter und ich sind müde. Also sag, was immer du mir zu sagen hast, und dann verschwinde. Renn meinetwegen zu Sarn und erzähl ihm von dem Fremden, mit dem du mich angeblich gesehen hast, wenn es dich glücklich macht, aber stiehl mir nicht meine Zeit.«

Die Worte aber verfingen bei ihm nicht. Leas ebenso herablassender Ton, der stets ausgereicht hatte, Rahn - und nicht nur ihn - mit wenigen Worten einzuschüchtern oder auch in rasende Wut zu versetzen, je nachdem, was ihre Mutter gerade beabsichtigt hatte, schien nun einfach an ihm abzuprallen. In seinen Augen blitzte es zwar kurz und zornig auf, aber Arri spürte genau, dass der Grund dieses Zornes nicht Leas Worte waren, oder gar die Art, in der sie sprach, sondern nur die Absicht, die hinter beidem stand. Sie dachte noch einmal das Gleiche, was sie gerade schon einmal gedacht hatte, nur, dass es diesmal keine Vermutung mehr war, sondern Gewissheit: Rahn hatte sich verändert. Sogar noch viel mehr, als sie bisher geglaubt hatte.

Und sie schien nicht die Einzige zu sein, der diese Veränderung auffiel. Auch ihre Mutter wirkte einen Moment lang verwirrt, und möglicherweise sogar ein bisschen erschrocken, aber sie wäre nicht sie gewesen, hätte sie sich nicht fast augenblicklich wieder gefangen.

»Also?«, fragte sie herausfordernd, als Rahn keine Anstalten machte, auf ihre Worte zu reagieren, sondern sie nur weiter ebenso trotzig wie beinahe belustigt ansah. »Worauf wartest du noch?«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, behauptete er.

»Welche Frage?«, erwiderte Lea gepresst.

»Ob es wahr ist, dass dieser Fremde zu denen gehört, vor denen uns Sarn und die Priester aus Goseg gewarnt haben«, erwiderte Rahn. »Ich habe mit Kron gesprochen, weißt du? Und auch mit seinem Bruder. Sie können sich nicht mehr genau an die Männer erinnern, die sie überfallen haben, aber an einen doch - ihren Anführer. Und stell dir vor, erst vor ein paar Tagen habe ich einen Fremden gesehen, auf den ihre Beschreibung nur zu gut passt. Und weißt du, wo das gewesen ist? Und wer bei ihm war?«

Lea schwieg. Ihre Hand spielte mit dem Schwertgriff.

»Vielleicht hat es ja einen guten Grund, dass sich Kron und Grahl nur an einen einzigen Mann erinnern können«, mischte sich Arri ein. Ihre Mutter starrte sie fast entsetzt an, während Rahn plötzlich ärgerlich-amüsiert aussah - und Arri hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Warum hatte sie nicht einfach den Mund gehalten? Aber es war zu spät.

»Und welchen?«, fragte Rahn.

Das Wort Zorn reichte eindeutig nicht mehr aus, um das zu beschreiben, was sie in dem Gesicht ihrer Mutter las; aber jetzt noch zu leugnen, hätte nicht nur alles noch viel schlimmer gemacht, sondern wäre auch einfach albern gewesen. Sie versuchte das Gewitter zu übersehen, das in den Augen ihrer Mutter wetterleuchtete, und fuhr in patzigem Ton fort: »Vielleicht, weil es keine anderen gab, an die sie sich hätten erinnern können.«

Rahn legte den Kopf auf die Seite. »Was meinst du damit?«

»Dass Dragosz allein war«, sagte Lea, leise, kopfschüttelnd und fast tonlos; und mit einem ebensolchen Blick in Arris Richtung. Der Zorn in ihren Augen war erloschen. »Dragosz?«, fragte Rahn. »Ist das sein Name?« Lea nickte. »Und sie haben ihn angegriffen, nicht er sie.«

»Er allein?«, fragte Rahn zweifelnd. »Ein Mann gegen drei, die so stark sind wie Kron und seine Brüder? Das soll ich glauben?«

»Dragosz ist ein Krieger«, sagte Arri stolz. »Er wäre auch mit mehr Dummköpfen wie Grahl und Kron fertig geworden.«

»Arianrhod, sei jetzt bitte still«, seufzte ihre Mutter. Sie klang nicht einmal mehr gefasst, sondern nur noch müde, als wäre es ihr mittlerweile gleichgültig, was Rahn dachte oder tat. Dennoch fuhr sie an den Fischer gewandt fort: »Arri sagt die Wahrheit. Dragosz ist ein Krieger und Grahl und seine Brüder nur einfache Jäger. Sie hatten Glück, dass er sie nicht alle drei getötet hat.«

»Also ist es wahr?«, sagte Rahn. »Er gehört zu den Feinden?«

»Nein«, seufzte Lea. »Dragosz ist so wenig euer Feind wie ich es bin. Sein Volk lebt jenseits der Berge, viel zu weit entfernt, um eine Gefahr für uns zu sein. Sie könnten uns nicht einmal dann etwas antun, wenn sie es wollten. Aber das wollen sie auch gar nicht.«

»Du lügst«, behauptete Rahn. »Wenn sein Volk so weit hinter den Bergen lebt, wie du sagst, was tut er dann hier?«

»Ich...«, begann Lea heftig, brach dann mitten im Wort ab und schüttelte nur erschöpft den Kopf. »Glaub doch, was du willst. Von mir aus lauf zu Sarn und erzähle ihm, dass ich für die Feinde spioniere und euer aller Untergang vorbereite.« Sie nahm betont langsam die Hand vom Schwert und wies mit demselben Arm zur Tür. »Tu, was du willst. Geh zu Sarn und komm meinetwegen mit einem Dutzend Männern zurück, damit sie uns überwältigen können - aber tu mir einen Gefallen und gönn Arianrhod und mir vorher noch etwas Ruhe. Wir brauchen dringend ein wenig Schlaf.«

»Dich an Sarn verraten?« Rahn klang überrascht; vielleicht sogar ein kleines bisschen verletzt. »Aber warum sollte ich das tun?«

»Weil du es schon die ganze Zeit über tust«, seufzte Lea. Sie hob rasch die Hand, als Rahn antworten wollte. »Bitte, Rahn - ich bin müde und habe keine Lust mehr auf solche Spiele. Sarn hat dir nur erlaubt, dich mit mir einzulassen, damit du ihm über alles Bericht erstattest, was ich tue oder sage, nicht wahr?«

»Hätte ich es getan, dann wärst du jetzt schon tot«, antwortete Rahn, was genau genommen keine Antwort auf Leas Frage war - oder vielleicht auch doch, so genau vermochte Arri das nicht zu sagen.

»Wenn du mich nicht verraten willst, was willst du dann?«, fragte Lea.

»Ich will mit euch kommen«, antwortete Rahn.

»Mit uns...?« Lea blinzelte. »Was meinst du damit? Wohin?«

Rahns Hand spielte wieder mit dem Knüppel, den er mitgebracht hatte, aber es war jetzt nichts Bedrohliches mehr an dieser Geste. Und vielleicht, überlegte Arri, war es das auch nie gewesen. Vielleicht hatte er diese Waffe ja aus einem ganz anderen Grund mitgebracht, als sie bisher geglaubt hatte.

»Ich habe dich belauscht, vergangene Nacht«, sagte Rahn geradeheraus. »Dich und deinen... Freund. Ich habe alles gehört.«

Was hatte er gehört?, dachte Arri alarmiert. Schon wieder etwas, was ihre Mutter mit Dragosz besprochen hatte und was nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war? Sie sah Lea scharf an und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, aber es gelang ihr nicht.