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Es war die Stimme ihrer Mutter. Und es war Schmerz, den Arri darin hörte.

Mühsam wälzte sich Arri herum. Alles drehte sich um sie. Die Nacht, der nahe Wald und die Gestalten ihrer Mutter und der beiden Krieger verschwammen vor ihren Augen, und ihr wurde wieder übel. Trotzdem stemmte sie sich zitternd auf beide Hände und das unversehrte Knie hoch und tastete dann mit zusammengebissenen Zähnen nach dem Schwert. Es lag irgendwo nur ein kleines Stück neben ihr im Gras, aber im ersten Moment konnte sie es nicht sehen und drohte in Panik zu geraten. Sie meinte zu erkennen, dass ihre Mutter jetzt auch aus einer Wunde am Arm blutete. Aber immerhin stand sie noch, und sie hatte auch ganz offensichtlich sogar die Kraft, sich zu verteidigen. Aber wie lange noch?

Endlich entdeckte sie das Schwert, genau in der anderen Richtung als der, in der sie die Waffe vermutet hatte. Hastig streckte sie die Hand danach aus und schloss die Finger um den lederumwickelten Griff. Ein Fuß in einer groben Ledersandale senkte sich auf ihre Hand hinab und presste sie mit so grausamer Kraft nieder, dass sie vor Schmerz aufschrie. »Das würde ich an deiner Stelle nicht tun«, sagte eine Stimme über ihr. »Jedenfalls nicht, wenn du weiterleben willst.«

Arri fiel schwer auf die Seite. Ihr wurde erneut schwarz vor Augen, und sie hätte das Schwert losgelassen, aber sie konnte es nicht. Der Fuß presste ihre Hand noch immer mit so grausamer Kraft auf den Boden, dass sie das Gefühl hatte, jeder einzelne ihrer Finger wäre gebrochen. Ein verzerrtes Gesicht tauchte über ihr auf, floss auseinander wie ein Spiegelbild auf schmutzigem Wasser, in das jemand einen Stein geworfen hatte, und fügte sich wieder zusammen. Dunkle, tief in den Höhlen liegende Augen blickten mitleidlos auf sie herab.

»Du dummes Kind«, sagte Sarn kalt. »Du bist jetzt schon so schlimm wie deine Mutter, aber nicht annähernd so klug, weißt du das eigentlich?«

Arri wimmerte vor Schmerz. Sie versuchte nach dem Priester zu treten, aber in ihrer Panik stieß sie mit dem verletzten Bein zu. Der Tritt hatte nicht die Kraft, den alten Mann auch nur zu erschüttern. Sarn schlug ihr Bein trotzdem mit vollkommen übertriebener Kraft zur Seite, sodass sie abermals vor Schmerz aufschrie und sich krümmte.

Als sich die schwarzen Schleier vor ihren Augen wieder lichteten, hatte Sarn den Fuß vom Schwertgriff - und ihrer Hand - genommen und bückte sich gerade nach der Waffe. Jedenfalls dachte sie im ersten Moment, es wäre Sarn. Erst nach einem Moment klärte sich ihr Blick weit genug, um sie erkennen zu lassen, dass der Mann viel größer war, viel muskulöser und breitschultriger, und dass er keinen mit Federn und gefärbten Fellstücken besetzten Umhang trug, sondern trotz der herrschenden Kälte nur den nackten Oberkörper, doch erst als er sich aufrichtete und mit dem Schwert in der rechten Hand zu ihr umdrehte, erkannte sie ihn. Sie war nicht einmal überrascht. Nur zutiefst enttäuscht, obwohl sie wusste, dass sie nicht das allermindeste Recht dazu hatte. »Steh auf!«, befahl Sarn.

Arri vernahm die Worte zwar, aber sie war nicht imstande, darauf zu reagieren. Sie konnte nur Rahn anstarren, und was sie sah, das war nicht das, was sie erwartet hatte. Der junge Fischer hielt ihrem Blick trotzig stand, aber in seinem Blick war noch etwas anderes, das Arri zutiefst verwirrte; etwas, was sie darin, noch dazu in einem Moment wie diesem, zuallerletzt erwartet hätte.

Sarn wartete vergebens darauf, dass sie auf seinen Befehl reagierte, dann trat er zurück und machte eine rasche, befehlende Geste mit der linken Hand. Die andere hielt noch immer den knorrigen Stab umklammert, auf den er sich stützte, obwohl Arri mehr denn je das Gefühl hatte, dass er ihn keineswegs brauchte.

»Rahn!«, sagte er knapp.

Rahn trat gehorsam einen Schritt auf Arri zu, blieb dann wieder stehen und blickte beinahe hilflos auf das Schwert hinab, das er in der Hand hielt; als wüsste er plötzlich nicht mehr, was er eigentlich damit sollte oder was es überhaupt war. Nachdem er vergeblich versucht hatte, die Waffe unter einen Gürtel zu schieben, den er gar nicht trug, rammte er das große Schwert kurzerhand wieder in die Erde, beugte sich dann zu Arri hinab und zerrte sie derb am Arm in die Höhe. Jedenfalls musste es für Sarn so aussehen. Aber sein Griff war nicht brutal. Seine schwielige Hand umschloss Arris Oberarme mit unerbittlicher Kraft, und doch gab er sich alle Mühe, sie beim Aufstehen zu stützen, statt sie einfach brutal in die Höhe zu reißen, was er durchaus gekonnt hätte. So weit es ihm möglich war, schien er dabei sogar Rücksicht auf ihr verletztes Knie zu nehmen.

Sarn entging dieses zwiespältige Verhalten keineswegs, denn er legte missbilligend seine runzelige Stirn noch mehr in Falten, aber zumindest für den Moment ersparte er sich jegliche Bemerkung.

»Gib Acht, dass sie keine Dummheiten macht«, sagte er, zwar an den Fischer gewandt, aber schon im Herumdrehen begriffen. Während der Bewegung ging eine sonderbare Veränderung mit ihm vonstatten - plötzlich stützte er sich schwer auf den knorrigen Stab, den er bisher nur zur Zierde in der rechten Hand gehalten zu haben schien, und aus einem nicht annähernd so alten Mann, wie er zu sein vorgab, wurde auch äußerlich wieder ein Greis, der keine körperliche Stärken ausstrahlte, sehr wohl aber die Kraft, die ihm die Last der Jahre und die damit erworbene Weisheit gab. »Sie ist gefährlich.«

»Ich weiß«, sagte Rahn. Seine Hand schloss sich ein wenig fester um Arris Oberarm; nicht annähernd so fest, wie er es gekonnt hätte, gerade genug, um ihr klarzumachen, dass er ihr wehtun konnte, wenn sie ihn dazu zwang, es aber eigentlich nicht wollte.

Arri sah wieder in die Richtung, in die der Schamane blickte, und ihr Herz machte einen erschrockenen Satz. In den wenigen Augenblicken, die sie abgelenkt gewesen war, hatte sich die Lage ihrer Mutter dramatisch verschlechtert. Sie wusste nun, wo der verschwundene Krieger war, mit dem sie selbst zuvor gerungen hatte: Er hatte sich seinen beiden Kameraden angeschlossen, sodass Lea nun gegen drei Gegner gleichzeitig stand, und Arri hatte sich auch in anderer Hinsicht nicht getäuscht - ihre Mutter war verletzt. Auch über dem linken Arm hatte sich der Stoff ihres Kleides dunkel gefärbt, und ihre Bewegungen hatten das meiste von ihrer tänzerischen Anmut verloren und wirkten abgehackt und mühsam, wenn auch immer noch sehr schnell.

Sie verteidigte sich mit verbissener Entschlossenheit gegen die drei Männer, die zwar gleichzeitig, aber vollkommen unkoordiniert auf sie eindrangen; zumindest einer von ihnen war ebenfalls verletzt und hatte das Schwert von der rechten in die linke Hand gewechselt, mit der er nicht besonders geschickt zu sein schien. Außerdem machten ihre Bewegungen klar, dass ihnen das Schicksal ihres Waffengefährten durchaus eine Warnung gewesen war. Sie sprangen zwar immer wieder vor und drangen auf Lea ein, doch aus ihren Bewegungen sprach Angst, und vielleicht war das der einzige Grund, aus dem ihre Mutter überhaupt noch am Leben war.

Arri kam nicht umhin, das Geschick und die Kampfkraft ihrer Mutter zu bewundern, trotz allem. Jeder dieser Männer war mindestens doppelt so stark wie sie, sie waren zu dritt, und sie war verletzt. Dennoch war der Kampf im Augenblick zumindest ausgeglichen.

Aber Arri sah auch, dass das nicht mehr lange so bleiben würde. Geschichten von Kämpfern, die gegen eine drei-, vier-, fünffache Übermacht fochten und diesen Kampf am Ende gewannen, gehörten ins Reich der Heldensagen, nicht in die Wirklichkeit. Ihre Mutter war verwundet. Jeder Herzschlag, mit dem ihr Blut aus den beiden tiefen Wunden herausgepresst wurde, kostete sie Kraft, jeder Schwerthieb, den sie mit ihrer eigenen Klinge auffing oder auch austeilte, zehrte weiter an ihren Reserven, die nahezu aufgebraucht sein mussten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis eines der Bronzeschwerter sein Ziel traf. Eine Frage von sehr wenig Zeit.