Der Hieb war so kraftvoll geführt, dass sich die Bronzeklinge des Kriegers verbog und sein Arm herumgerissen wurde. Er stolperte, fiel ungeschickt auf ein Knie herab und stürzte mit einem keuchenden Schmerzensschrei gänzlich ins Gras, als er den Fehler beging, sich ausgerechnet mit dem verletzten Arm abstützen zu wollen. Lea versetzte ihm einen Tritt, der ihm nicht nur die Waffe aus der Hand prellte, sondern ihn auch haltlos herumrollen ließ, war mit einer einzigen, schnellen Bewegung endgültig über ihm und packte ihr Schwert mit beiden Händen, um es ihm in die Brust zu stoßen.
»Halt!« Sarns Stimme war scharf und befehlend wie der Schrei eines angreifenden Raubvogels, und irgendetwas war darin, das selbst durch die Raserei zu dringen schien, die Arris Mutter ergriffen haben musste, denn sie führte die begonnene Bewegung nicht zu Ende, sondern blieb mit erhobenem Schwert und gespreizten Beinen über dem gestürzten Krieger stehen, sah über die Schulter zu Sarn zurück...
... und erstarrte.
Vielleicht war es auch gar nicht Sarns Befehl gewesen, der sie innehalten ließ, sondern der Umstand, dass Rahn den Arm nun um Arris Hals geschlungen hatte, um ihren Kopf so weit nach hinten zu biegen, dass sie kaum noch atmen konnte. In seiner anderen Hand lag plötzlich etwas Scharfes und Hartes. Arri konnte nicht erkennen, was es war, denn er drückte es mit solcher Kraft gegen ihre Kehle, dass sie spürte, wie ihre Haut aufriss und warmes Blut an ihrem Hals herunterlief.
»Leg das Schwert weg, oder deine Tochter stirbt«, sagte Sarn kalt. »Sofort!«
Lea machte keinerlei Anstalten, ihre Waffe loszulassen oder auch nur von dem Krieger zurückzuweichen, der noch immer wie erstarrt zwischen ihren gespreizten Beinen lag und vor Angst kaum zu atmen wagte. Ihr Blick tastete mit einer Kälte über Arris Gesicht und dann ganz offensichtlich über das Rahns, die Arri einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Sie hatte Todesangst. Rahn zwang ihren Kopf mit solcher Gewalt in den Nacken, dass sie kaum noch atmen konnte, und die Klinge an ihrer Kehle schmerzte fürchterlich, und doch jagte ihr das, was sie in den Augen ihrer Mutter las, die allergrößte Angst ein. Da war Angst um sie, natürlich, aber viel mehr überwog Leas Zorn - und ganz unübersehbar die kühle Berechnung, mit der sie ihre Aussicht abschätzte, mit einem raschen Schritt bei ihnen zu sein und Rahn zu töten, bevor er seine Waffe einsetzen konnte; vielleicht auch die ganz nüchterne Überlegung, dass Sarn es wohl nicht wagen würde, sie töten zu lassen, musste er doch wissen, dass sein eigenes Leben damit ebenfalls verwirkt wäre.
»Das wagst du nicht«, sagte sie kalt. »Keiner von euch würde es überleben.«
»Mein Leben liegt in den Händen der Götter«, erwiderte Sarn ruhig. Er schürzte abfällig die Lippen. Obwohl Arri sein Gesicht nicht sehen konnte, war es noch beinahe zu hören. »Sie werden mich beschützen. Und wenn nicht, so ist es vielleicht ihr Wille.« Sie spürte, wie er eine befehlende Geste machte, auf die hin Rahn den Druck auf ihre Kehle noch einmal verstärkte, sodass aus dem einzelnen Blutstropfen, der aus dem winzigen Schnitt quoll, nun ein schmaler, aber beständiger Strom wurde. Sie konnte kaum noch atmen.
»Ich wusste ja schon immer, dass du ein Dummkopf bist, Rahn«, sagte ihre Mutter höhnisch. »Aber mir war bis heute nicht klar, wie dumm du bist. Glaubst du, dass es deinem Herrn gefällt, die einzige Geisel, die zwischen euch und dem sicheren Tod steht, ganz aus Versehen umbringst?« Plötzlich wurde ihre Stimme schärfer, befehlend und nur einen Deut davon entfernt, wirklich zu schreien. »Lass sie los, du Dummkopf! Sie erstickt!«
Im ersten Moment schien Rahn den Druck auf Arris Kehle eher noch zu verstärken, dann aber nahm er zumindest die Hand von ihrer Stirn, sodass sie den Kopf wieder heben und qualvoll hustend und würgend nach Luft ringen konnte. Die Messerklinge verblieb an ihrer Kehle, und auch der Blutstrom wurde eher noch stärker. Dennoch - und obwohl sie wirklich sehr wehtat - spürte Arri selbst, dass die Wunde kaum mehr als ein oberflächlicher Schnitt war; schlimm anzusehen, aber kaum gefährlich.
»Leg die Waffe weg«, verlangte Sarn noch einmal. »Es sei denn, das Leben deiner Tochter ist dir wirklich so wenig wert.« Er lachte böse. »Willst du tatsächlich die wenigen Sommer, die mir vielleicht noch vergönnt sind, gegen all die eintauschen, die deiner Tochter noch bevorstehen?«
Arri konnte mittlerweile wenigstens wieder atmen. Sie wagte es nicht, auch nur eine Bewegung zu machen, aus Angst, sich an der scharfen Klinge, die sich noch immer in ihr Fleisch bohrte, selbst die Kehle durchzuschneiden. Aber sie konnte Sarn am Rande ihres Blickfeldes zumindest erahnen und das Gesicht ihrer Mutter ganz genau erkennen. Was sie darin las, erschreckte sie fast noch mehr als die Klinge an ihrem Hals. Da war ein brodelnder, kaum noch zu bändigender Zorn, der absolute und unbedingte Wille zu töten, und - natürlich - Angst um sie. Aber da war auch eine kalte Berechnung, die irgendetwas in Arri sich zusammenkrümmen ließ wie einen getretenen Wurm.
»Das wagst du nicht«, sagte sie noch einmal. Der Krieger unter ihr bewegte sich stöhnend, versuchte, sich auf beide Ellbogen hochzustemmen und von ihr wegzukriechen, und Lea versetzte ihm einen so harten Tritt gegen das Kinn, dass er auf der Stelle das Bewusstsein verlor und schlaff ins Gras zurücksank. Blitzartig fuhr sie herum, hielt das Schwert nun wieder nur mit einer Hand und machte mit der der anderen, freien eine warnend-abwehrende Bewegung zu Sarns letztem verbliebenen Krieger, der sich mittlerweile erholt hatte und wieder herangekommen war. Der Mann, der noch drei Schritte entfernt war, erstarrte mitten in der Bewegung und wagte es nicht, auch nur einen einzigen weiteren Schritt zu tun.
»Nun?«, fragte Lea.
Sarn wiegte den Kopf. Irgendwie sah er plötzlich aus wie ein großer, dürrer Raubvogel, der eine Beute erspäht hatte und überlegte, wie er sie am besten packen konnte. »Was - nun?«
Arris Mutter lachte böse. »Da, wo wir herkommen, nennt man so etwas wohl ein klassisches Unentschieden.«
»Das erscheint mir anders«, sagte Sarn.
»So, wie es aussieht«, fuhr Lea mit einem bösen Lächeln fort, »kann ich dir nichts tun, ohne das Leben meiner Tochter zu gefährden. Und du kannst meiner Tochter nichts tun, ohne das deine zu gefährden.«
Das mochte wahr sein, aber Arri war trotzdem der Panik nahe. Ganz gleich, wie ernst gemeint Leas Drohung auch sein mochte und wie logisch ihre Worte, gab es da etwas, das Arri ebenso wenig verborgen blieb, wie Sarn oder Rahn oder auch der letzte Krieger es übersehen konnten und vor dem ihre Mutter einfach die Augen zu verschließen schien. Sie blutete jetzt immer heftiger. Ihre Stimme war nicht leiser geworden, zitterte aber, und es war etwas wie ein spürbarer Klang von Schwäche darin, der nicht nur Arri klarmachen musste, wie es wirklich um ihre Kräfte bestellt war. Wäre sie unverletzt gewesen, hätte ihre Drohung vielleicht die beabsichtigte Wirkung erzielt; so aber musste selbst dem greisen Schamanen klar sein, dass er nichts anderes mehr zu tun brauchte, als einfach abzuwarten. Nicht einmal sehr lange.
»Vielleicht ist es ja der Wille der Götter, dass wir alle sterben«, sagte Sarn.